AlteTante schrieb:Die Bibel dagegen ruft nicht zum eigenständigen Handeln auf, sondern eher, sich mit allem zufrieden zu geben.
Das ist dann eher eine Plattitüde. Als Erzvater Jakob in seiner tiefsten Krise war, zum Teil selbst-, zum Teil fremdverschuldet, da drosch er auf seinen Gott ein; und selbst als er darüber mit zerschmetterter Hüfte halb am Boden lag, ließ er seinen Gott nicht ziehen. Darauf gab ihm Gott den Ehrennamen "Israel", denn "Du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gesiegt" (1.Mose32,22-32). Wer um sein Leben ringt, wer dafür kämpft, was daraus werden soll, wer sein "Glück" einfordert, der wird zum "Vater des Volkes Gottes". Und genauso wendet sich die Syrophönizien total beharrlich an Jesus und läßt sich nicht abwimmeln, bis sie erreicht hatte, was sie von ihm wollte. Und wurde dafür von Jesus gelobt; ihr Glaube wurde gelobt.
Klar ruft die Bibel - AT wie NT - zum eigenständigen Handeln auf, und dazu, sich nicht mit allem zufrieden zu geben.
Natürlich gibt es auch Passagen, die dem entsprechen, was Du da schreibst, keine Frage. Aber wenn Du die Bibel so "zusammenfaßt", liegst Du schlicht falsch.
Nicht ohne Grund gibt es im Christentum ein Gebet, welches sehr weit verbreitet und bekannt und beliebt ist:
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Ähnlich auch Luthers paradoxe Beschreibung der "Freiheit des Christenmenschen":
Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
Auch wenn es nach Widerspruch aussieht, so liegt die Wahrheit - nein, nicht in der Mitte, sondern: dort, wo beide Positionen gelten, nicht nur eine. Die Bibel arbeitet viel mit solchen Widersprüchen. Um zu bestimmen, was den Menschen zum Menschen macht, geben die beiden Schöpfungsberichte vom Anfang der Bibel zwei weitere Beispiele. Nach dem ersten, dem Siebentage-Schöpfungsbericht, ist der Mensch das Ebenbild Gottes, was etwas gutes ist. Im zweiten, dem Edenbericht, ist es hingegen etwas Schlechtes, zu "sein wie Gott". Ebenso beauftragt Gott im ersten Schöpfungsbericht den Menschen, über die Schöpfung zu herrschen, im zweiten Bericht dagegen erschafft Gott den Menschen und setzt ihn in den Garten (die Natur), ihn zu bewahren und zu bebauen, also zum Dienen.
Theologen werden oft scherzhaft/bitter karikiert mit "Frag zwei Theologen nach ner Erklärung, und Du erhältst fünf". Aber die Welt ist nicht einfach, und einfache Erklärungen sind daher selten richtig. Ne Medaille hat nun mal zwei Seiten, und erst wenn Du beide Seiten berücksichtigst, kannst Du sie verstehen, erklären, erfassen.
AlteTante schrieb:Und selbst, wenn Jesus in einer Geschichte mit einer Frau (der Samariterin) über Religion diskutiert (was den Jüngern ausdrücklich negativ auffällt), ist es schon bei Paulus wieder mit dem Ansatz an Gleichberechtigung der Frau vorbei, und sie hat (wieder) in der Gemeinde zu schweigen.
Paulus anerkennt auch die Apostolin Junia und läßt sie grüßen, nennt sie "ausgezeichnet". Steht in Römer16,7. (Meist wird in den Übersetzungen der Männername "Junias" angegeben, auch der wäre in der Akkusativform "jounian", wie es dort steht. Nur gab es keinen Namen Junias, nur Junia als Frauenname. Und zwar nicht bloß in dem Sinne, daß halt kein Männername Junias aus der Zeit sonst noch bezeugt ist, sondern von der Namensbildung her läßt sich Junia herleiten als Feminimform von Junius, aber eine Bildung Junias läßt sich nicht erklären.)
Wenn Paulus also sogar weibliche Apostel anerkennt, wie sollte der meinen, daß das Weib in der Gemeinde zu schweigen habe? Daß Frauen im Gemeindeleben und in der Gemeindeleitung eine große Bedeutung hatten, erkennen wir aus den Paulusbriefen, aber auch aus johanneischer Literatur. Was es nun mit dem paulinischen Schweigegebot auf sich hat, ist bis heute nicht zufriedenstellend geklärt, es ist nicht einmal sicher, daß es von Paulus stammt. Sicher ist nur, es stand nicht ursprünglich an dieser Stelle.
1.Korinther14:
33 Denn Gott ist nicht [ein Gott] der Unordnung, sondern des Friedens. Wie [es] in allen Gemeinden der Heiligen [ist],
34 sollen eure Frauen in den Gemeinden schweigen, denn es wird ihnen nicht erlaubt, zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt.
35 Wenn sie aber etwas lernen wollen, so sollen sie daheim ihre eigenen Männer fragen; denn es ist schändlich für eine Frau, in der Gemeinde zu reden.
36 Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen? Oder ist es zu euch allein gelangt?
Der Vers 36 als Argument ist völlig unsinnig. Weil Jesus ein Mann war, dürfen Männer predigen und Frauen nicht? Wieso? Jesus war ein Mensch, also dürfen Menschen predigen. Oder: Jesus war ein Jude, also dürfen nur Juden predigen, aber Heiden nicht? Willkürlicher Unsinn! - Na und das "oder ist es zu euch allein gelangt?" ist ja noch unsinniger, ist ja auch nicht zu den Männern allein gelangt, sodaß auch den Männern mit diesem "Argument" das Schweigen aufgedrückt werden müßte.
Jetzt laß ich mal die unterstrichene Passage weg und zitier ein bissel mehr:
29 Propheten aber lasst zwei oder drei reden, und die anderen lasst urteilen.
30 Wenn aber einem anderen, der dasitzt, eine Offenbarung [zuteil] wird, so schweige der erste.
31 Denn ihr könnt einer nach dem anderen alle weissagen, damit alle lernen und alle getröstet werden.
32 Und die Geister der Propheten sind den Propheten untertan.
33 Denn Gott ist nicht [ein Gott] der Unordnung, sondern des Friedens. [...]
34 [...]
35 [...]
36 Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen? Oder ist es zu euch allein gelangt?
37 Wenn jemand meint, ein Prophet oder [sonst] ein Geistbegabter zu sein, so erkenne er, dass das, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn ist.
38 Wenn aber jemand das nicht erkennt, so wird er auch [von Gott] nicht erkannt.
39 Daher, Brüder, eifert danach, zu weissagen, und hindert das Reden in Sprachen nicht.
40 Alles aber geschehe anständig und in Ordnung.
Im ganzen Kapitel behandelt der Apostel Probleme in der gottesdienstlichen Versammlung in der Gemeinde zu Korinth. Daß manche eingesetzen Geistesgaben höher bewertet werden als andere, daß alles quer durcheinander eingesetzt wird... Vers 29 benennt nun ein weiteres konkretes Einzelproblem, und das ist auf der Höhe von Vers 33a noch nicht abgeschlossen, sondern wird auch noch in Vers 37 thematisiert. Somit sollte also auch das Dazwischenliegende zu diesem Thema gehören.
Und da paßt nun auch Vers 36. Die Logik der Argumentation: Wärt Ihr, die Korinther, die Urgemeinde, von der aus das Wort Gottes ausgegangen ist, dann könntet Ihr auch festlegen, was als Gemeindeordnung zu gelten hat. Oder wäret Ihr die einzigen Menschen, zu denen das Wort Gottes gelangt ist, und sonst gäbe es keine Christen, dann könntet Ihr ebenfalls selbst bestimmen, wie es in so ner Christengemeinde abläuft und funzt. Seid Ihr aber weder das eine noch das andere, dann seid Ihr der Euch vorgegebenen Tradition verpflichtet.
Hier ist das Argument stimmig und einem Paulus wahrlich würdig.
Was da überhaupt nicht paßt, ist V.33b-35, das Weib schweige in der Gemeinde. Es gehört nicht zum Thema der gottesdienstlichen Prophezeiungsabfolge, ja es zerreißt diesen Zusammenhang. Und es zerstört das Argument V.36. Offensichtlich wurden 33b-35 erst sekundär hier eingefügt. Kann man auch daran gut erkennen, daß der, der es eingefügt hat, das Argument von V.36 noch richtig verstanden hat, denn er läßt seinen Einschub mit dem Argument "ist so in allen Gemeinden üblich:" beginnen.
Es ist zwar denkbar, daß dieser nachgetragene Einschub von Paulus selbst stammt, doch ist das alles andere als wahrscheinlich.
Paulus kann recht gut argumentieren bzw. Argumente und Sachverhalte erkennen/erfassen. Sollte ihm dieser faux pas passeieren, a) den thematischen Zusammenhang zu zerreißen, b) die Zerstörung des Arguments V.36 zu übersehen? Desweiteren akzeptiert Paulus durchaus die gemeindlichen Aktivitäten von Frauen, namentlich die Predigt der Junia. Überdies ist Paulus dafür bekannt für sein "Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus" (Galater3,28) - und nicht für Geschlechterdiskriminierung.
AlteTante schrieb:Während religiöse Geschichten wie in der Bibel den Menschen nicht nur Jahrhunderte lang von seriös wirkenden scheinbar weiseren Leuten (Priestern etc.) als Wahrheit präsentiert wurde. Sondern man eine lange Zeit sogar gezwungen wurde, daran zu glauben bzw. Glauben vorzutäuschen. In Zeiten der Inquisition sogar recht intensiv gezwungen wurde.
Auch das ist weit mehr Klischee und Aufklärungsmärchen, als Du ahnst. Vor allem gilt eine gewisse Verpflichtungzur offiziellen Lehre eben auch nur denen, die "dazugehören". Wer kein Christ ist, muß da nix anerkennen und wird auch nicht von der Inquisition belangt. Es gab vereinzelte Ausnahmen, gar Exzesse, etwa als nach der Reconquista, der Vertreibung der islamischen Herrschaft von der iberischen Halbinsel, die dortigen Juden gezwungen wurden, entweder Christen zu werden oder das Land zu verlassen - anderenfalls wurden sie hingerichtet.