Ein Alptraum europäischer Politik
16.03.2006 um 22:57Erst wenn Europa dem Balkan mit eindeutiger Integrationspolitik begegnet, wird dasunselige Erbe Slobodan Milosevics überwunden werden.
Unwissen, moralischerFeigheit und einem hohen Maß am Verdrängen europäischer Tragödien verdankte es SlobodanMilosevic, so lange Zeit ungehindert die politischen Geschicke des post-jugoslawischenRaumes zu dominieren.
Dem Westen eine Jugoslawien-Orientierung verkaufend, dieer nicht besaß, machte er sich daran, planmäßig all das zu zerstören, wofür einReformprojekt Jugoslawien post Tito auch hätte stehen können: einen multinationalen, hochföderalisierten Staatenbund mit einer Integrationsperspektive in Richtung der damaligenEuropäischen Gemeinschaft. Erst nachdem er bereits über ein Jahrzehnt an der Macht warund eine Reihe von Kriegen anzettelte, zunächst um seinen politischen Aufstieg zuinszenieren und später seinen Machterhalt zu sichern, trat man ihm im Kosovo-Krieg 1999erstmals direkt entgegen.
Davor hatte er mit seiner Armee, den Paramilitärs undseinen lokalen Helfershelfern bereits im Kosovo, in Slowenien, Kroatien und Bosniengewütet. Er log westlichen Politikern offen ins Gesicht und fand viele, die ihm nur zugerne glaubten, er brach jede Vereinbarung und genoss doch das hilflose Vertrauen, dasser das nächste Versprechen einhalten würde. Er erklärte seine Opfer zu Tätern undSelbstmördern und erntete oft genug nicht Widerspruch, sondern diplomatische Floskeln undsogar Signale, die er zu Recht als klammheimliche Zustimmung deutete. Warum sahen, vonseinen Opfern abgesehen, zunächst nur wenige in ihm den vollkommen skrupellosen und immerexpansiver agierenden Untäter, der er war?
Es ist schon unverständlich, warumjemand, der alles andere als charismatisch nur die bauernschlaue Banalität des Bösenausstrahlte, im Serbien der späten 80er- und frühen 90er-Jahre zu einer politischen Ikonewerden konnte. Doch gibt es dafür zumindest ein Motiv - das des nationalen Rausches unddes unbedingten Unterwerfungswillens. Noch unverständlicher und schließlich weitausschlimmere Konsequenzen zeitigend war jedoch, wie Milosevic in Europa so lange (noch weitüber Dayton hinaus) als Biedermann und nicht als Brandstifter gelten konnte. Dies sagtmindestens ebenso viel über den fehlenden politischen Instinkt seiner Verhandlungspartneraus wie über deren geringes europäisches Bewusstsein.
Die mitten in Europagelegenen Schauplätze von Kriegen, Massakern und Vertreibungen wurden zu einem außerhalbEuropas vermuteten Balkan verschoben, das Schlachten flugs zur kulturellen Tradition derEingeborenen erklärt, gegen die eben nichts bis wenig zu machen sei. So wurde dasEuropäische dieser Verbrechen geografisch wie historisch bestritten und ihnen und v. a.ihren Verbrechern mit einer vor allem (west-)europäischen Lethargie begegnet. Es warendie gemeinhin als ahistorisch und europapolitisch ahnungslos verschrienen Amerikaner, diedies viel besser verstanden als der Großteil ihrer europäischen Verbündeten, und weitausbewusster und entschlossener agierend von diesen beispielsweise bei der frühen Beendigungdes Bosnienkrieges ausgebremst wurden.
Zählt es nicht zum politischenVermächtnis Europas des 20. Jahrhunderts, dass Appeasement gegenüber Aggressoren diesenur ermutigt und sie schlussendlich mit viel mehr Einsatz und einer viel höherenOpferbilanz doch gestoppt werden müssen? Auch dem satten und wehleidige Nabelschaubetreibenden Europa blieb diese Lektion am Schluss nicht erspart. Es musste endlich imKosovo doch einen Krieg gegen Milosevic führen, der diesen zu Hause auch prompt politischzu Sturz brachte und ihn nicht politisch festigte, wie die zahlreichen europäischenKriegsgegner damals unkten. Und es muss bis heute viele Nachkriegs-Wiederaufbauprojektebetreiben und damit einen Teil der Milosevicschen Hinterlassenschaft verwalten.
Oft übernimmt Europa eine entschlossene Haltung und seine Verantwortung noch genau sowiderwillig wie zu Amts- und Lebzeiten von Milosevic.
War es damals der Unwillensich am jenseits von Europa vermuteten Kriegsschauplatz zu engagieren, herrscht heute derUnwillen, diesen Teil Europas als europäisch anzusehen und ihm mit einer eindeutigenIntegrationspolitik zu begegnen.
Dazu zählt die klare und endgültige Lösung deroffenen Statusfragen ebenso wie die Sühnung der Kriegsverbrechen und das Anlegen strengerKriterien an demokratische und rechtsstaatliche Strukturen. Wieder wird manchmal eineTradition des Wegschauens, des nicht so genau Hinschauens und des Verharmlosens gepflegt,die schon den unaufhaltsamen Aufstieg und den langjährigen politischen Erfolg vonMilosevic ermöglichte. Nur wenn man mit dieser Haltung bricht, wird das unselige Erbe,das Slobodan Milosevic hinterlassen hat, überwunden werden.