DerKlassiker schrieb:Nach Deutschland kamen Leute aus anderen Ländern freiwillig, i. d. R. weil sie sich dort eine bessere Zukunft erhofften, die ihnen ihr Herkunftsland offenbar nicht bieten konnte. Dabei wurde auch nie gefragt, ist es der deutschen Urbevölkerung eigentlich recht, dass wir uns in dem Land niederlassen, das ihre Vorfahren seit jeher bewohnen. Gäbe es eine Analogie zu den USA, wären die ethnischen Deutschen wohl am ehesten in der Position der amerikanischen Ureinwohner, die Migranten in der der europäischen Kolonisten und eine Gruppe, die in der Position der verschleppten Afrikaner wäre, gibt es hier ja gar nicht, sofern man das nicht an Herkunftsmerkmalen festmachen will, was man ja nicht will. Daran wird deutlich, dass da keinerlei Analogie besteht und deshalb kann man eine solche auch nicht zugrundelegen.
Was soll denn eine deutsche "Urbevölkerung" sein dessen Vorfahren hier schon seit "jeher" das Land bewohnen?
Eine durchgehend einheitliche Volksgemeinschaft gab es hier jedenfalls nie, denn Deutschland war schon immer ein Land der Aus- und Einwanderer. Hier siedelten schon viele Völker mit vielen Sprachen. Auch ein einiges "Deutschland" gab es jahrhundertelang nicht, sondern nur das Heilige Römische Reich, eine Art "mittelalterliche EU", wenn man so will, bevor es auf diesem Boden überhaupt zu einem modernen Nationalstaat kam.
Kurz: Deutschland war schon immer ein Mischvolk und eben nicht erst seit den letzten Jahrzehnten, in denen es zum heutigen Einwanderungsland wurde.
Und auch, wenn Deutschland und die USA unterschiedliche Rassismusgeschichten aufweisen, wieso sollten man denn hier nur den Ronny und die Chantal befragen, ob ihnen die Migrationspolitik hier überhaupt recht ist und seit der wievielten Generation müssen ihre Vorfahren denn hier schon dafür sesshaft sein? Um einen Arier..., äh... Ahnennachweis käme man vor der Befragung dann ja wohl (mal wieder) nicht drumherum.
Ich würde ja eher sagen, die Einwanderungspolitik ist immerhin gesetzlich klar reglementiert und wenn sie jemandem nicht passt, der kann dann ja gerne sein Glück als Auswanderer versuchen, unabhängig davon, ob sein Uropa Wilfried hier bereits schon vor 100 Jahren Holz für seine Jagdhütte im Schwarzwald gehakt hat. Just my 2 Cents.
Hier übrigens ein interessantes Interview mit Priscilla Layne, einer schwarzen Germanistikprofessorin aus North Carolina und der Antidiskriminierungstrainerin Céline Barry von EOTO e.V. über das Thema Rassismus in Deutschland und den USA in dem mich einige der dort angesprochenen Reaktionen hierzu auch an einige Diskussionsverläufe in diesem Thread hier erinnern:
"Weiße Deutsche machen zu, sobald das Wort Rassismus fällt"
Interview: Jana Luck und Stella Männer
Sprechen im deutschen Fernsehen die Richtigen über Rassismus? Wir haben zwei Expertinnen gefragt: die Deutsche Céline Barry und die US-Amerikanerin Priscilla Layne.
(...)
ZEIT Campus ONLINE: Frau Barry, sind solche Debatten wie in der Talkshow von Frau Maischberger typisch für die Art und Weise, wie in Deutschland über Rassismus gesprochen wird?
Barry: Es ist sehr schwer, Rassismus in Deutschland klar zu benennen, ohne dass die Leute dichtmachen. Das erlebe ich auch als Beraterin in einer Antidiskriminierungsberatungsstelle. Zu mir kommen Schwarze Menschen, die zum Beispiel im Arbeitskontext diskriminiert wurden und Unterstützung bei dem Gespräch mit Vorgesetzten suchen, von Lehrern benachteiligt werden oder gegen Racial Profiling vorgehen möchten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass weiße Deutsche in Abwehrhaltung gehen, sobald das Wort Rassismus fällt. Sobald man von Rassismus spricht, stellen sich die Leute selbst als Opfer dar, das zu Unrecht beschuldigt wurde.
Layne: Wenn ich in den USA Vorträge über Rassismus in der deutschen Literatur halte, sagt am Ende des Vortrags jedes Mal eine deutsche Person: Nicht alle Deutschen sind Rassisten. Das habe ich auch nie gesagt. Trotzdem fühlen sich die Menschen persönlich angegriffen, sobald man über Rassismus in Deutschland redet. In den USA ist das übrigens nicht anders. Auch dort schalten die Leute ab, wenn sie Begriffe wie white privilege hören.
ZEIT Campus ONLINE: Wie erklären Sie sich diese Abwehrreaktionen?
Barry: Ich kann nicht beurteilen, was im Herzen jedes einzelnen Menschen vorgeht. Aber als Sozialwissenschaftlerin kann ich mir dieses Verhalten strukturell erklären. Es geht darum, die eigene Macht aufrechtzuerhalten. Weißen kommt es zugute, dass sie schneller aufsteigen oder dass es Women of Color gibt, die sich um ihre Kinder kümmern, während sie selbst Karriere machen. Ein einfacher Weg, seine Machtposition zu verteidigen, ist, Glaubenssätze zu finden, die einem ermöglichen, sein Leben mit reinem Gewissen weiter zu leben. Indem man zum Beispiel Schwarze Menschen kriminalisiert und abwertet.
Layne: Für viele Menschen ist die Einsicht dieser Tatsache, dass sie selbst von strukturellem Rassismus profitieren, so unangenehm, dass sie die Thematik lieber verdrängen.
Barry: Die Verfassungen der USA und von Deutschland bauen beide auf dem demokratischen Prinzip der Gleichheit auf. Die Bürgerinnen und Bürger identifizieren sich mit diesem Wert. Dass in einem solchen System andere Menschen unterdrückt, ausgegrenzt und benachteiligt werden, lässt sich schwer mit dem demokratischen Selbstbild vereinen. Auch der Gedanke, dass unsere Demokratie nicht für alle gut ist, ist schwer auszuhalten.
https://www.zeit.de/campus/2020-06/rassismusdebatten-deutschland-usa-talkshows-priscilla-layne-celine-barry
Detok schrieb:Klar gibt es auch in Deutschland Rassisten, aber Idioten gab es schon immer und wird es auch immer geben. Und auch wenn der Gedanke sicher ein guter ist, keiner dieser Leute wird seine Gesinnung überdenke nur weil jemand ein Schild mit Black Lives Matter in die Höhe hebt.
Es geht dabei nicht einfach nur darum, Rassisten von ihrem Weltbild abzubringen, sondern vor allem darum, öffentlich anzuregen, wie Menschen gegen Rassismus, sei es durch rassistische Polizeigewalt oder andere gesellschaftliche Diskreminierungen, etc. in Zukunft besser geschützt werden können. Und wie man sieht, findet bereits ein umfassenderes Umdenken bzgl. struktureller Veränderungen statt, auch wenn speziell in den USA derzeit noch viele andere Probleme herrschen.