sacredheart schrieb:Es fängt ja schon mit Deiner ungenauen Begriffswahl an, dass man Dir nicht leicht folgen mag. Dir ist klar, dass die Zentralafrikanische Republik zB wie der größte Teil Afrika und fast alle Herkunftsländer auf der von Dir beschuldigten Nordhalbkugel liegen?
Ich meine damit das hier:
https://www.bmz.de/de/service/lexikon/globaler-sueden-norden-147314Die Bezeichnungen sollen die Situation von Ländern in der globalisierten Welt möglichst wert- und hierarchiefrei beschreiben. In diesem Sinne ist ein Land des Globalen Südens ein politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich benachteiligter Staat. Die Länder des Globalen Nordens befinden sich dagegen in einer privilegierten Position, was Wohlstand, politische Freiheit und wirtschaftliche Entwicklung angeht. Damit sollen auch die Ungleichheit und die dadurch bedingten Abhängigkeitsverhältnisse herausgestellt werden.
sacredheart schrieb:Das kannst Du gerne als Selbstbezichtigung tun, aber verallgemeinere das nicht.
Doch! Wir sind gewalttätig als Nation. Wir schieben ab in Kriegsgebiete, wir bezahlen in der Türkei und in Lybien durch die EU, wir akzeptieren die politische Lage in Moria bzw. die Pushbacks in Griechenland und beteiligen uns auch widerspruchslos an Frontex.
Daran ist Deutschland beteiligt und wir in unserer Demokratie nehmen das auch größtenteils widerspruchslos hin. Im gegenteil, das politische Klima aktuell sieht eher Verschrärfungen vor (wieder nach Afghanistan abschieben zum beispiel) als Milderungen.
Wir als Deutschland nutzen Gewalt auf direkten (Abschiebung) und indirektem (Frontex, lybische Küstenwache, Abkommen mit afrikanischen Staaten oder der Türkei) Wege, damit Flüchtlinge nicht hier herkommen oder gehen. Und diese Gewalt fordert Tote zum Beispiel in Form von ertrunkenen Menschen im Mittelmeer. Das ist Fakt.
Und dass wir im Westen kolonialisiert haben und auch nach wie vor bei der Ausbeutung der dritten Welt mitmischen, das stimmt nunmal auch und daraus folgt eine Verantwortung. Oder hat unsere Nation keine Verantwortung für ihr Handeln?
sacredheart schrieb:Grundsätzlich eine gute Idee, wenn sie den Menschen zugute kommt. Ein Schuldenschnitt für irgendwelche Potentaten kommt aber nicht bei der Bevölkerung an.
Was wir machen sollten und was immer meine Unterstützung fände, wären Hilfen auf der Graswurzelebene, die direkt bei den Menschen ankommen. Oft scheitert das leider an Warlords, an kulturellen Eigenheiten, an allem Möglichen.
Einschneidende Änderungen in Afrika müssen aus den Ländern selbst kommen. Da kann man nur in Grenzen bei helfen, siehe Afghanistan (ich weiss, dass das nicht in Afrika liegt).
Wer sagt das? Warum ist es besser, wenn in einer Autokratie eine gigantische Verschuldung stattfindet und somit der Machthaber rein mit Gewalt regieren muss, als dass sich dort die Wirtschaft entwickeln kann? inwiefern hilft das den Menschen?
Inwiefern kann "aus den Ländern selbst" denn irgendein Impuls kommen, wenn dort jede junge demokratie durch schulden wieder zurück in Armut und Autokratie getrieben wird?
Armut treibt Autokratie. Über welche Staaten genau sprichst du hier überhaupt?
Nigeria z.b. als bevölkerungsstärkste afrikanisches Land ist eine fragile Demokratie, so wie viele afrikanische Staaten, die zwischen autokratie und fragiler demokratie hin und her schwanken. Was meinst du, wird eine Schuldenlast die die Wirtschaft zerstört und Armut steigert eher dazu führen, dass Nigeria sich in Richtung Demokratie entwickelt, oder dass dort jemand mit Waffengewalt die Macht ergreift? Nicht jedes afrikanische Land ist Somalia und da kann man sich auch nicht mit Diktatoren einfach so aus dem Schuldenschnitt herausreden. Nötigenfalls muss man bei einigen Ländern den Schuldenschnitt an bestimmte politische Reformen knüpfen, aber zumindest bei vielen großen Nationen sprechen wir hier nicht von klaren Diktaturen, sondern von partly free countries, die wir in ihrer Entwicklung positiv beeinflussen könnten.
sacredheart schrieb:Das Deutsche Reich, zu dem ich nicht gerade 'wir' sagen würde, war als Kolonialmacht unbedeutend.
Zunächst mal würde ich durchaus "wir" dazu sagen. Nicht als individuelle Schuld, aber durchaus als Verantwortung unserer Nation.
Die Kolonien wurden 1920 aufgegeben, das war irgendwann in unserer Großeltern und Urgroßelterngeneration, nicht irgendwann im Mittelalter. Das war nach dem ersten Weltkrieg und bei dem siehst du hoffentlich auch eine gewisse Verantwortung unserer Nation für ihre Taten.
Und selbst wenn du findest, dass Deutschland da nicht so viel gemacht und getan hat, wie andere nationen:
https://www.opendemocracy.net/en/transformation/telling-truth-about-germans-colonial-history/At least 300,000 people died at the hands of German colonizers. In Tanzania in 1905, the ‘Maji Maji’ rebellion against German rule led to retaliation by German colonists and the enforced starvation of approximately 200,000 people from various different ethnic groups.
In 1904 in Namibia, the land of the Herero and Nama was expropriated and thousands were rounded up and placed in concentration camps. At least 100,000 people were murdered.
The descendants of white German settlers who took over Herero and Nama land are still in Namibia, and they continue to own this land, which is 70% of the most productive agricultural land in Namibia.
Colonial rule influenced Germany long after the territories were lost. While certainly not equivalent, there are for example numerous links between German colonial rule and the Nazis. One example is German scientist Eugen Fischer, who undertook medical experiments in Herero concentration camps. He went on to train Nazi scientists and to write Principles of Human Heredity and Race Hygiene, which was hugely influential for Nazi eugenic policy. Fischer also brought 300 Herero skulls back to Berlin with him. Only 40 of those skulls have been returned.
In Tansania haben um 1900 rum ca 5 mio Menschen gelebt. Was meinst du macht es für eine solche Nation und deren wirtschaftliche/soziale Entwicklung aus, wenn da Deutsche kommen, die Bevölkerung kolonialisieren und 200.000 Menschen, also ca 3,5% der Bevölkerung töten innerhalb von kurzer Zeit?
Ganz davon zu schweigen, dass sie nach der Niederlage Deutschlands weiter von anderen Mächten kolonialisiert worden sind.
Diverse Mächte, darunter wir, haben in Afrika und anderen Regionen der Welt gewütet und das für hunderte Jahre. Die meisten dieser Nationen sind weniger als 100 Jahre unabhängig, einige erst seit den 70ern.
Und wir als nordhalbkugel profitieren von der Armut, die ihnen durch die Kolonialisierung gebracht wurde, weil sie deshalb von uns und unseren Krediten abhängig sind, uns billig Rohstoffe geben, wir dort unseren Müll verschachern können und so weiter und so fort.
Da kann man kaum davon sprechen, dass wir da irgendwie nichts mit zu tun haben oder nur so ein bisschen. Wir haben aktiv an der Kolonialisierung mitgewirkt und auch die Staaten des globalen Nordens, die das nicht getan haben, profitieren heute davon.