US-Kampfpiloten bekommen offiziell Speed
21.08.2005 um 19:55
Speed ThrillsHorrormeldungen aus der Drogenszene verzerren die Realität© Andrian Kreye
Sensation: Nazidroge, Sexwahn, Irrsinn. Alle Jahre wieder kommt eine neue Rauschgiftwelle. Für Zeitschriften und Fernsehmagazine eine gute Gelegenheit, investigative Reporter loszuschicken, um Gruselgeschichten aufzudecken. Ausgerechnet The Face, Zentralorgan der britischen Ravejugend und bei der Behandlung von Drogenthemen ansonsten eher sachlich, verkündet in seiner Dezemberausgabe die Ankunft eines ganz furchtbaren Stoffs, der da aus Asien in den Westen kommt. Ya Ba heißt das Teufelszeug, ein Metamphetamin, und weil so ein heißes Thema natürlich sofort besetzt werden muß, titelte der Stern gestern: “Horrortrip mit Hitlers Droge". Laut Statistik wird Ya Ba bald Heroin vom Markt verdrängen, steht da in den Geschichten. Haben wir das nicht alles schon irgendwann irgendwo gelesen?
Speed haben die Medien wieder einmal entdeckt, Amphetamin. Renaissancen des Aufputschmittels gibt es regelmäßig alle fünf bis acht Jahre. Amphetamin ist ein relativ primitives Präparat, das sich mit etwas Grundwissen leicht aus legal erhältlichen Chemikalien synthetisieren läßt. Die Grundstoffe werden immer wieder verboten, doch die Speedköche finden nach einer Weile für jede verbotene Substanz Ersatz. Dann rollt die nächste Welle an, und jedesmal wird der neue Erfolg der alten Droge als Sensation beschrieben.
1887 vom Chemiker Edeleanu entdeckt, in den 30er Jahren von Psychologen zum Weckamin verfeinert, waren Amphetamine bis in die späten 70er Jahre Bestandteil der verschiedensten Medikamente, wie Schlankheits- oder Aufputschmitteln, weswegen Speed auch als Hausfrauen- und Studentendroge bekannt war. Berühmt wurde Speed während des Zweiten Weltkrieges, als die Deutschen Amphetaminschokolade an ihre Bomberpiloten ausgaben, damit sie ihre Langstreckeneinsätze durchhielten ohne am Steuerknüppel einzuschlafen. Deswegen der Begriff der Hitlerdroge. Amphetamine gab es allerdings auch für die Piloten der Japaner und der Alliierten. So kam es gleich nach dem Ende des Krieges in Japan zur ersten Amphetaminsucht-Epidemie, weil die riesigen Lagerbestände der Luftwaffe auf ungeklärtem Wege unters Volk kamen.
In den USA etablierte sich Speed als Lieblingsdroge des weißen Proletariats. Ehemalige Bomberpiloten, die sich zu Motorradclubs zusammenschlossen, brachten ihre Sucht ins Zivilleben mit. Zunächst verfeinerten sie die Amphetamine zum Chrystal Meth, gelblichem Kristallpulver, das geschnupft oder geraucht wird. Und als die Hell's Angels, die bekannteste der Pilotengangs, entdeckten, daß man viel Geld damit verdienen kann, wenn man den in Heimlabors zusammengebrauten Stoff unters Normalvolk bringt, entwickelte sich die Rockertruppe zum internationalen Drogenimperium.
Die Hippies, die den Rauschgiftkonsum zur Drogenkultur erhoben, lehnten Speed als Spießerdroge des rechten “White Trash" ab. “Speed Kills" mahnten Anstecker und Kleber in den Bohémevierteln von Haight-Ashbury bis zum Greenwich Village. Was nicht daran änderte, daß Speed weiterhin von fast allen Subkulturen verwendet wurde.
Die oben erwähnte allerneueste Speedwelle hat ihren wahren Ursprung nicht in Asien, sondern in Amerika. Wieder war es ein findiger Speedkoch, der das Verfahren perfektioniert und den Gesetzeshütern somit ein Schnippchen geschlagen hat. Stephen Charles Preisler, ein rechtsradikaler Chemiker aus Wisconsin, verfaßt unter dem Pseudonym Uncle Fester Do-it-yourself-Bücher für die heimische Herstellung von Rauschgiften, Nervengasen und Sprengstoffen. Im Untergrund sind seine Bücher längst Klassiker. Die japanische Aum-Sekte mischte zum Beispiel nach der Anleitung aus Uncle Festers “Silent Death" das Sarin-Gas, mit dem sie in der U-Bahn von Tokio 12 Menschen töteten und 5.000 zum Teil schwer verletzten.
Sein erfolgreichstes Buch ist jedoch mit 40.000 verkauften Exemplaren “Secrets Of Methamphetamine Manufacture". Preisler entwickelte dafür ein Verfahren, das nicht nur die illegalen, sondern auch die entzündbaren Stoffe aus dem Herstellungsprozeß eliminiert. Ein großer Fortschritt, nachdem Speedküchen die unangenehme Eigenschaft hatten, des öfteren zu explodieren. In den USA hat sich die Speedproduktion seit dem Erscheinen des Buches vervielfacht. Wärend die Drug Enforcement Agency 1991 noch 317 illegale Amphetaminlabors aushob, waren es 1998 schon 1.623.
Auch in Deutschland, Holland, Polen und Rußland schießen die Speedküchen aus dem Boden. Allerdings nicht erst seit gestern. Versteckt im Text meldet The Face, daß die Clubszene nach den vielen Ecstasy-Toten wieder auf Kokain zurückgreift, daß statt Pillen jetzt Pulver en vogue ist, und somit auch das altbewährte Chrystal Meth. Thailändische Ya-Ba-Pillen mögen eine neue Verpackung sein, aber sicher keine neue Droge.
Auch die gravierenden Nebenwirkungen sind Extremfälle, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben, und zu jeder Speedwelle wieder ausgegraben werden. Wie bei allen Drogen kann es bei Amphetaminen zu Psychosen kommen, zu körperlichen Reaktionen, die bis zum Tode führen. Doch mit der Ankunft von Speed in den Clubs wird sich die Szene nicht in einer Horde wahnsinniger Amokläufer verwanden. Das Problem mit den Drogensensationen ist so alt wie die Subkulturen, die mit neuen Stoffen experimentieren. Die Statistiken, wie viele Männer im Suff ihre Frauen krankenhausreif prügeln, sind mit Sicherheit weitaus dramatischer, als die Zahl der Menschen, die auf Amphetaminen überschnappt. Die Zahl der Menschen, die weltweit an den Folgen des Tabakkonsums stirbt wird von der amerikanischen Cancer Society mit drei Millionen pro Jahr beziffert. Und trotzdem überschlagen sich die Medien regelmäßig mit Horrormeldungen, die vor allem eines tun - die Realitäten verzerren. Das richtet mehr Schaden an, als daß es hilft.
Horrormeldungen aus der Drogenwelt dienen vor allem dazu, die Angst des Mainstreams vor den Subkulturen zu kompensieren. Abgeschlossen von der Welt verstecken sich gesellschaftliche Außenseiter und die rebellische Jugend hinter Codes und Wertesystemen, die nur versteht, wer dazugehört. Und dazugehören wollen viele. Vor allem Jugendliche, eben genau der Teil der Bevölkerung, der durch Drogen am meisten gefährdet ist.
Statt vernünftige Aufklärungsarbeit zu betreiben, die labile Kandidaten davon abhhalten könnte, sich an Substanzen zu versuchen, denen sie nicht gewachsen sind, wecken Horrornachrichten über angeblich neue Drogen Neugier und das Gefühl, mit Drogenkonsum einen Akt der Rebellion zu begehen. Ein Teenager, der Drogen ausprobiert, wird sich wundern, daß keines der Horrorszenarien eintritt. Nicht einmal nach Wochen oder Monaten. Ganz im Gegenteil - es wird ihm blendend dabei gehen. Er wird Glücks- und Stärkegefühle erleben, die er vorher nicht kannte. Aber es sind eben nicht nur die sensationellen Extremfälle, die Drogen so gefährlich machen. Es sind die subtilen Wirkungen auf die Psyche. Auf jeden Amokläufer und Drogentoten kommen Tausende, die unter Depressionen und Persönlichkeitsveränderungen leiden, Zehntausende, die ihr Potential nicht nutzen können, weil sie mit Konzentrations- und Antriebsschwäche zu kämpfen haben.
Gibt es eine Lösung? Natürlich nicht. Das Bedürfnis, sich zu berauschen gibt es schon seit Urzeiten. Keine Kultur, keine Religion, die nicht ein heiliges Sakrament in Form einer Droge hatte. Was den Christen der Alkohol war den Schamenen der amerikanischen Indianer Peyote, den Indern der Fliegenpilz und den bayerischen Hexen der Stechapfel. Selbst die Tierwelt dröhnt sich gerne zu. In Kenya wandern jedes Jahr tausende von Wildtieren nach der Reifezeit in den Wald, um vergorene Früchte zu fressen. Tagelang torkeln die trunkenen Elefanten und Giraffen dann durch den Busch. Und wer schon einmal beobachtet hat, wie der Hauskater auf Katzenminze reagiert, der weiß, daß sich selbst Schoßtiere gerne mal berauschen.
Die ERDE ist krank, hat 'homo sapiens', aber keine Sorge, das geht auch bald vorbei.