Trimalchio schrieb:Bringst du jetzt nicht zwei Sachen durcheinander? Bei IHREM Prozess 1987 sass die Familie, aber nicht Söring.
Dass sie gegen ihn aussagte, erfolgte doch aber erst 1990 bei SEINEM Prozess, oder liege ich da jetzt falsch?
Sorry, mea culpa. Das kommt davon, wenn der Laptop nicht startet und man aus dem Gedächtnis zitiert.
Ich habe jetzt noch einmal nachgeschaut. Sie hat bereits 1987 "gegen ihn" ausgesagt (obwohl er nicht dabei war), als sie darlegte, dass sie nur die Anstifterin, er aber der eigentliche Täter sei. Da hat sie folgendes gesagt (das konnte er dann in der Zeitung lesen):
[Aussage EH 1987]
"I was stunned by the situation. It was so huge, so overwhelming, so definite, so final. Extraordinary.
I mean, Jens .. he's a wimp. You can't imagine him doing something like that."
(Quelle: Film "Das Versprechen Director's Cut", ab 00:23:20)
Und die Geschichte mit dem Sex nach der Beerdigung, schockierend wie schon in "Der Fremde" von Albert Camus (
Beitrag von Melusine (Seite 1.289)):
[Aussage EH 1987]
Updike: "On the very night of the funeral you and Jens Soering make love, don't you?"
EH: "I was in a separate room, in a single bed, sharing that room with Christine, my room mate. Jens came to me and he said that he needed me, that he was lonely, he was scared. And I went with him and up unto this time he had been completely and totally impotent. And I got into bed with him and I woke up, Sir, and he was making love to me."
(Quelle: Film "Das Versprechen Director's Cut", ab 00:55:22)
Da hat sie seine Aussage im psychologischen Gutachten für sich genutzt:
https://soeringguiltyascharged.files.wordpress.com/2018/03/report-of-dr-john-hamilton-11-december-1986.pdf, Seite 4
Kommentar von JS dazu im Film:
"Impotent war ich auch. Alles mögliche ... vor Gericht. Ich war also ... sie hat mich zum Teufel gemacht. Das habe ich in den Presseberichten gelesen. Das war also das Gefühl, unglaublich verraten zu werden.
(Quelle: Film "Das Versprechen Director's Cut", ab 55:49)
Er meint vermutlich einen Pressebericht wie diesen, in dem alles, alles, aufgezählt wird, was sie gegen ihn vorgebracht hat:
Ich fasse mal zusammen:
- sie dachte, sie hätte ihn manipuliert, aber in Wirklichkeit hätte er sie manipuliert
- sie hätte gar keine Kontrolle über ihn gehabt
- sie hätte erst im Gefängnis Fotos der Mordszene gesehen
- er wäre so wütend geworden am Nachmittag in Washington, aber sie hätte sich geweigert mitzufahren
- er hätte gesagt, dass er die Eltern töten könnte, während sie Heroin genommen hätte
- dabei sei er doch so ein "wimp"
- nach der Tat sei sie schrecklich ängstlich gewesen, da er sie bedrohte, falls sie ihn nicht schützt
- er hätte sie sogar überredet, ihre Eltern anzurufen am Sonntagabend
- sie hätte versucht, Jens reinzulegen, damit er das Land 1 Tag vor ihr verlässt, indem sie einen Gehirntumor vorgetäuscht hätte
- sie hätte Jens von ihrem Frust gegenüber ihren Eltern erzählt und damit einen gewalttätigen Charakterzug in ihm befeuert
(Quelle:
https://www.newspapers.com/clip/44281422/)
Mein gedankliches Problem ist, dass es den "reinen Tisch" nicht gibt, nach dem du gefragt hast. Wenn man von der Einzeltäter-Theorie überzeugt ist, sieht ihre 1987er-Aussage wie "reiner Tisch" aus. Wenn man das nicht tut, tja, dann sind das fast alles nur Lügen, um den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
1990 konnte sie gar keinen "reinen Tisch" machen, wie ligala schon dargestellt hat. Sie konnte zwar nicht zweimal für dasselbe Verbrechen ("Anstiftung") verurteilt werden, aber sie hätte sich durch eine Selbstbelastung nur Nachteile und JS keine Vorteile eingebracht.
1990 hat sie nämlich dann das hier gesagt:
[Aussage 1990]
Updike: Did you want him to kill your parents?
EH: Yes I did. I was much more concerned that he would not kill them then that he would, because, hmm ...
Updike: Why?
EH (lacht irgendwie ungläubig)
EH: Well, the whole idea of Jens killing anybody [was] so utterly fantastic. The whole thing was like a dream. It was bizarre. (...)"
(Quelle: Film "Das Versprechen Director's Cut", ab 2:06:13)
(Irgendwie muss ich gerade an "On the case" denken, das ist irgendwie das absurde Gegenstück dazu:
Updike: "Sie [=EH] wollte, dass Sie sie töten, weil sie es nicht konnte."
JS: "Nein!"
(JS ist verblüfft)
"JS: "Dazu ist sie durchaus in der Lage." ("She is capable of that.")
Updike: "Wenn sie es selbst tun konnte, warum brauchte Miss Haysom dann Sie?"
JS: "Als Sündenbock." ("She needed a patsy.")
Quelle: "On the case", Folge Gefährliche Liebschaft,
https://www.tvnow.de/shows/on-the-case-15810/2020-02/episode-22-gefaehrliche-liebschaft-1206308, Kapitel 3, 12:48)
Venice2009 schrieb:kann sich nicht auch EH verraten vorgekommen sein? Immerhin hat JS am 05.06 zuerst gestanden, EH hat bis zum 08.06. durchgehalten. Wäre das möglich? was meinst du?
Ich finde dieser Aspekt bleibt immer unberücksichtigt. Weshalb eigentlich? Frage geht auch an @Melusine ich bin schon gespannt auf Eure Einschätzung.
Das kommt auf den Blickwinkel an. Wie ich schon schrieb, kann ich gedanklich nicht mehr hinter die Doppeltäter-Theorie zurück. Daher kann es aus EHs Sicht kein "Verrat", sondern eine "Chance" gewesen sein. Worin hätte der Verrat bestanden?
Es gab eigentlich nur zwei Alternativen:
1.) Schweigen: aus den Spuren hätte sich ergeben, dass beide am Tatort waren. Das war bis dahin der Ermittlungsansatz, die Ermittler hatten zwar von EH keine direkten physischen Spuren, aber sie hatten die Briefe aus der Londoner Wohnung, die Fingerabdrücke an der Wodka-Flasche, das verdächtige Nachttat-Verhalten, den Verdacht der Brüder/Frau Massie und die gemeinsame Flucht, das alles sprach auch sehr stark gegen EH. Die Ermittler kannten das Kino-Alibi nicht, da JS und EH sich bereits durch den Tachostand verdächtig gemacht hatten und in Richtung Washington nicht weiter ermittelt wurde.
2.) vollständiges Geständnis der gemeinsamen Tat, dann wären sie gemeinsam zum Tode verurteilt worden
Wenn ich nochmal den Bogen zu "Sophie's Choice" schlagen darf: Im Buch hat Sophie eine Chance, ihren Sohn zu retten, indem sie versucht, den KZ-Kommandanten zu verführen, damit ihr Sohn dadurch in ein "Lebensborn"-Heim gesteckt wird. Sie kann nicht erreichen, dass ihr Kind einfach aus dem Konzentrationslager in die Freiheit entlassen wird.
Analog dazu konnte auch JS nicht erreichen, dass EH komplett als unschuldig dasteht. Er konnte ihr Leben retten, aber sie nicht vor dem Gefängnis bewahren. (Ich würde so gerne wissen, was wirklich in ihren Köpfen vorging und ob ich nah dran oder total weit entfernt liege, ob wir es je erfahren?)
EHs Taktik könnte es gewesen sein, JS erstmal "Vorsprung" zu geben, um sein "halbwahres-halbgelogenes Ich-war-es-allein-Geständnis" (ich weiß gerade schon gar nicht mehr, wie man das überhaupt nennen soll) richtig in die Köpfe der Ermittler zu hämmern. Später konnte sie dann durch "Kontrollfragen" rauskriegen, was er gestanden hatte und ihre Aussagen entsprechend anpassen.
Schweigen hätte doch beiden gar nicht geholfen, inwiefern hätte es sie geschützt, wenn sie beide geschwiegen hätten?
Ach so, ich verstehe: Du meinst, wenn sie beide eisern geschwiegen hätten, dann hätte man anhand der Tatortspuren nur JS zweifelsfrei überführen können und dann wäre EH eventuell freigesprochen worden? So aber landete sie im Gefängnis.
Nein, ich glaube, das wäre so nicht gekommen, die Briefe wogen einfach zu schwer. Aber nochmal Analogie zu "Sophie's Choice": EH ergriff ihre Chance, alles so hinzudrehen, als seien es "nur Briefe" gewesen (wie die, die Sophie abtippen musste), denen aber keine (eigenen) Taten folgten.
@ligala +
@monstra und alle anderen:
Ich grübele immer noch über diese Aussage aus der 1990er Vernehmung:
"The following day, the Saturday, we - I'm not sure exactly how it came about, but it suddenly became real, we were going to conspire and commit murder. Jens and I, we drove around Washington, and we argued as we drove, and we talked, and we decided on the alibi."
(Quelle: Aussage 1990,
https://0j.b5z.net/i/u/2108258/f/JENS_SOERING_PRESS_PACK.2017-09-27.pdf (Archiv-Version vom 24.12.2019), Seite 25)
Manchmal habe ich schon überlegt, ob sie es nicht doch relativ spontan gemacht haben? Dass sie vielleicht eigentlich nur ein Messer in Washington kaufen wollten und als sie es dann in der Hand hielten, sagte Elizabeth möglicherweise plötzlich: 'Los, wir machen's. Du hattest doch neulich diese Idee mit Macbeth. Komm, wir kaufen 2 Kinokarten und wir fahren jetzt spontan los.'
Dieser Tachostand-Fauxpax lässt mir einfach keine Ruhe, das musste ihn doch klar gewesen sein, dass ihnen das den Hals brechen könnte. Warum haben sie nicht auf den neuen Scirocco gewartet? Oder dachten sie, der Tachostand wird nicht überprüft? Es spricht irgendwie einiges für "relativ spontan" (wobei dann immer noch die 4-stündige Fahrt bleibt, auf der sie sich hätten umentscheiden können) und es spricht einiges für "geplant" (die Vorankündigung bei der Mutter am Freitag, die Hotelbuchung, etc.). Wenn ich es recht überlege, spricht doch mehr für geplant und der Tachostand war ein nicht einkalkulierter Fehler.