Slaterator schrieb:Stop! Ich habe Dir erklärt, warum man bei der Polizeiarbeit nie einen Fall auf die Aussagen von nur einem Zeugen stützt.
Slaterator schrieb:Praktisches Beispiel: Ein Mann lebt mit seiner Ehefrau zusammen in einem Mietshaus mit Balkon. Dann stürzt die Frau vom Balkon und stirbt. Der Ehemann wird befragt und sagt aus, die Frau war schon immer depressiv, hatte Wahnvorstellungen und kitzelt vor dem Ableben unleserlich Dinge auf Zettel. Was würdest du da als Ermittler tun? Die Aussagen versuchen zu verifizieren oder dich bedanken und die Akte als Suizid schließen? Das ist jetzt keine Verdächtigung. Aber es zeigt doch, daß man sich als Ermittler nie auf nur einen Zeigen verlassen kann. Er kann sich Irren, Dinge falsch wahrnehmen, interpretieren, übertreiben oder sogar Täter sein.
Wenn es doch keinerlei Belege gibt, sondern nur eine einzige unverifizierte Zeugenaussage, kann ich mich nicht darauf blind verlassen.
In meinen Augen stimmt das so nicht.
Zum einen wissen wird nicht, was Frau Stoll genau ausgesagt hat.
Ich nehme aber sehr stark an, dass sie nicht ausgesagt hat, ihr Mann leider schon länger unter dieser oder jener psychischen Erkrankung, jedenfalls nicht, wenn es dazu keine tatsächliche ärztlich-psychiatrische Diagnose gab, die ihr bekannt war.
Wir reden hier von den 1980er-Jahren, damals gab es weder Dr. Google, den man mal schnell befragen konnte, welche Erkrankung vorliegt, wenn die Symptome A, B und C vorlagen, und der einem daraufhin allerlei mehr oder weniger fundierte Diagnose- und Therapievorschläge auspuckt, inkl. des dazugehörigen Fachvokabulars. Noch war das Wissen über psychische Erkrankungen auch nur annähernd so weit verbreitet, wie es heute ist. Psychische und psychiatrische Erkrankungen waren bei weiten nicht so Top-of-Mind, wie es das heute ist, wo jeder bei jedem ein Burn-Out, eine Borderline-Erkrankung, eine Depression oder eine narzisstische Persönlichkeitsstörung aus dem Handgelenk attestiert....
Frau Stoll wird bei der Polizei also kaum mit einer psychiatrischen Diagnose aufgeschlagen sein, sondern dort nur Beobachtungen geschildert haben: Verhalten und Verhaltensänderungen ihres Mannes, die ihr seltsam vorkamen und die sie sich nicht erklären konnte und für die sie von ihm auch keine plausible Erklärung bekommen hat. Außerdem wird sie über so komische Aussagen wie die zu dem YOGTZE-Zettel berichtet haben.
Damit man hier davon ausgehen kann, dass die Zeugin sich irrt oder man ihrer Wahrnehmung nicht trauen kann, müsste man schon annehmen, dass nicht Herr Stoll, sondern Frau Stoll unter einen Psychose litt und deshalb das ganz normale, alltägliche Verhalten ihres Mannes völlig fehlinterpretiert hat.
In meinen Augen muss man die Aussagen der Frau erst mal hinnehmen, denn es gibt auch keinen konkreten Hinweis, dass sie sich geirrt hat.
Und ich bin auch der Meinung, dass es für das -sagen wir mal befremdliche - Verhalten des Herrn Stoll sehr wohl weitere Zeugen gibt. Das Benehmen im Papillon war nun auch nicht gerade das, was die Leute dort erwartet haben. Stoll ist hier vom Stuhl gefallen, war kurz weggetreten und hat die Kneipe fast fluchtartig verlassen, ohne das Getränk, das der Wirt ihm ausgegeben hat, anzurüheren.
Danach schlägt er mitten in der Nacht bei einer alten Frau auf, die ihn schon länger nicht gesehen hat. Also niemand, mit dem er sehr engen Kontakt hatte oder der ihm nahesteht. Und auch niemand, von dem man annehmen konnte, dass er um die Uhrzeit sicher noch wach ist, weil er da immer noch mit einem Bierchen vor dem Fernseher sitzt und der sich über einen spontanen Besuch freut.
Jetzt nehmen wir mal an, Stoll sei in dieser Nacht bei allen Sinnen gewesen. Wie viel realer Druck hätte da auf ihm lasten müssen, dass er sich überwindet, die alte Dame aus dem Bett zu klingeln. Und was könnte es gewesen sein, was ihn dazu bewogen hat, bei ihr und nicht bei seinen Eltern oder sonst wem zu klingeln?!
Ich finde, dass auch dieses Benehmen sich durchaus im Sinne einer paranoid-schizoiden Psychose deuten lässt bzw. durch so einen Zustand am plausibelsten erklärt werden kann.
Dass es also demnach neben der Ehefrau durchaus weitere Zeugen gibt, die kurz vor seinem Tod ein Verhalten an Stoll beobachtet haben, was sie einerseits von ihm nicht gewohnt waren und sich andererseits auch mit rationellen Überlegungen nicht erklären konnten.
Wenn man jetzt eben mal ein Gedankenspiel macht und annimmt, dass Stoll an diesem Abend unter einer akuten paranoid-schizoiden Psychose litt und annahm, verfolgt oder bedroht zu werden, dann kann das für mich zumindest sein Verhalten zuhause, in der Kneipe und den Besuch bei Frau Hellfritz erklären.
Es ist zwar keine direkte Erklärung, warum er in dieser Nacht zu Tode kam und was genau passiert ist. Aber ich finde es durchaus legitim, wenn eine Fachfrau wie die Psychiaterin im Podcast sagt, dass sie in seinem Verhalten Symptome einer Psychose sieht.