kegelschnitt schrieb:Die Frage für mich ist eher, wie ich als Schöffe hier entscheiden würde, wenn ich einer wäre. Die Konsequenzen, wenn man sich irrt, sind heftig.
Das stimmt natürlich und ich bin mir sicher, dass das den Schöffen, aber auch den Richtern durchaus bewusst ist. Und sicher auch dem Staatsanwalt. Hier wird leider immer so getan und behauptet, als habe das Gericht und v.a. der StA in diesem Fall einen ungerechtfertigten Verfolgungswillen gezeigt und bewusst entlastende Argumente ignoriert.
Das sehe ich aber eben überhaupt nicht. Beim Gericht sowieso nicht, denn das hat sein Urteil ja noch nicht mal gesprochen. Bevor mal so etwas kritisiert, sollte man doch bitte wenigstens abwarten, was denn das Ergebnis ist.
Und beim StA sehe ich das eben auch nicht. Ich finde es nachvollziehbar, warum er welche Aussage bzw. welches Indiz wie deutet und gewichtet. Es ist nicht seine Aufgabe, als Verteidiger des Angeklagten entlastende Indizien ranzuschaffen.
Schwere Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen für andere müssen viele Menschen in ihren Berufen treffen (und oft genug sogar im Privatleben). Der Arzt muss überlegen, ob das Risiko einer bestimmten Operation gewagt werden soll, der Sozialarbeiter ob ein Kind in der Familie bleiben kann oder besser in einer Pflegefamilie untergebracht wird und ein Manager, ob er Leute entlassen muss oder an anderer Stelle sparen kann. Sicher ist die Entscheidung der Richter in diesem Verfahren für einen anderen Menschen noch weitreichender, als wenn man jemanden entlassen muss, der dann immerhin die Hoffnung haben kann, wieder einen neue Stelle zu finden.
Aber es steht auf der anderen Seite eben auch eine der schlimmsten Taten zur Diskussion, die ein Mensch begehen kann, die dann eben auch bestraft gehört.
Ich sehe es so, dass mit S.T. der richtige auf der Anklagebank sitzt. Er hatte die Gelegenheit, weil er in jener Nacht zeitlich wie auch räumlich zumindest in der Nähe des Tatortes war, er hatte ein Motiv (allg. Wut auf Frauen, bei denen er nicht landen kann), er zeigt Charakterzüge, die eine solche Tat zumindest denkbar erscheinen lassen (Wutausbrüche mit Gewalt, übergriffiges Verhalten gegen Frauen (Verena an Oberschenkel und Hals), sexuelle Erregbarkeit durch Darstellung von Gewalt gegen Frauen), er hat sich bei seinen Aussagen in Widersprüche verrannt und dafür nahezu groteske Ausreden und Erklärungen gebracht, er hat gegenüber 6 verschiedenen Personen an drei unabhängigen Anlässen die Tat eingeräumt, er hat Täterwissen preis gegeben und es ist während der Ermittlungen und auch jetzt während des Prozesses nichts wirklich entlastendes aufgetaucht.
Natürlich steht hinter jedem einzelnen Punkt durchaus noch ein Fragezeichen, ob das wirklich ein Indiz ist, was auf S.T. als Täter hindeutet. Aber das ist nun mal so in einem Indizienprozess.
Ich sogar noch einige weitere Punkte die gegen ihn sprechen, die zwar für sich eher Nebensächlichkeiten sind, die in der Gesamtheit aber eben mit in die Waagschale gehören: eine Krankschreibung für die 2 Tage nach der Tat, das mehrfache Spazierengehen am Tatort, überhaupt die Frage, warum jemand nachts um 2:30 Uhr joggen geht, die Behauptung, die Mutter habe ihm am 3. Okt. von der Tat erzählt, das Messer, das weg ist, die Joggingklamotten vom Tattag, die er erst falsch mit gebracht hatte und die dann wohl nicht wirklich gefunden werden konnten, sie Sauferei in den Tagen und Wochen nach der Tat....
Natürlich darf jeder in diesem Land zu jeder beliebigen Nachtzeit joggen gehen, sein Taschenmesser wegwerfen oder verlieren, wann immer er will, soll sich krank schreiben lassen, wenn er krank ist und darf auch so viel trinken wie er meint dass es ihm gut tut.
Aber man muss es halt in der Gesamtheit werten, und mit Blick darauf bin ich der Meinung, dass es nicht so viele Zufälle gegen kann, die alle eindeutig auf ein und die selbe Person deuten. Und dazu kommt dann wiederum, dass es keine einzige Person gibt, auf die Indizien als Täter deuten, die auch ansatzweise der Menge und der Schwere der Indizien, die auf S. als Täter deuten, entsprechen.
Wenn S.T. unschuldig sein sollte, war in meinen Augen der größte Fehler seiner Anwälte, dass man ihn den ganze Prozess über hat schweigen lassen. Von einem Unschuldigen hätte ich erwartet, dass er zumindest einige der Indizien durch seine Aussage entkräften können, und dann wäre vielleicht ein anderes Bild entstanden.
Andante schrieb:Nennt man sonst, also wenn keine Verschwörungstheorien erwogen werden, „interdisziplinär“ und ist hochgeschätzt.
Und ist vor allem notwendig, wenn die Frage an die Gerichtsmedizin eben nicht nur lautet, woran jemand gestorben ist, sondern auch, wie es dazu gekommen sein kann, dass diese Todesursache eingewirkt hat. Was soll eine Gerichtsmedizinerin über Strömungsverhältnisse und die auf einen im Wasser treibenden Körper einwirkenden Kräfte wissen? Und andersherum: woher soll ein Hydromechaniker wissen, wie groß z.B. die Fläche des Gegenstandes war, durch den die Kopfwunden verursacht wurden?
Millennial schrieb:Ich finde ja nicht, dass man als medizinischer Laie sich so eine Aussage zutrauen kann.
Woher willst Du wissen, ob ich medizinischer Laie bin? Wenn ich Deinen Beruf erraten müsste, würde ich denke ich Wünschelrutengänger oder Wanderprediger sagen....