christian01 schrieb:Im Gegensatz zu mir gehst Du eben grundsätzlich von erstklassiger Ermittlungsarbeit, einem neutralem Gericht ohne unbedingten Verurteilungswillen ( oder vielleicht besser schon Vernichtungswillen ) und ohne Willkür bei der Bewertung von Zeugenaussagen aus.
In diesem Verfahren sehe ich tatsächlich keine Anhaltspunkte, nicht davon auszugehen. Gerade die Polizei hat hier doch erstaunliches geleistet und fast 1.000 Zeugen vernommen. Der Befangenheitsantrag gegen die drei Richter wurde geprüft und abgelehnt. Der Staatsanwalt vertritt die Anklage.
Gerade eine Willkür bei der Bewertung von Zeugenaussagen kann ich hier nicht erkennen. Es gab in diesem Prozess ja durchaus problematische Zeugen, wie Verena, Lea und den M., oder auch die Pfadfinderin, die offenbar nur aussagen wollte, wenn ihr der Angeklagte dabei nicht ins Gesicht schauen kann.
Der Erörterung der Aussagen dieser Zeugen hat das Gericht in der Verhandlung sehr viel Zeit und Aufwand gewidmet. Verena musste drei mal antanzen, bei M. wurden Videoaufzeichnungen vorgespielt.
Wir wissen noch nicht einmal, wie das Gericht die Glaubwürdigkeit der Aussage des M. bewerten wird, und Du schreist schon jetzt von Willkür. Das Gericht kann durchaus zu einer anderern Ansicht als Du kommen, aber dass es der Aussage Glauben schenkt, heißt nicht, dass es diese Entscheidung leichtfertig oder gar willkürlich getroffen hat.
christian01 schrieb:Ja kann man durchaus so sehen. Vielleicht könnte der nicht erfolgreiche Ablehnungsgesuch noch den besten Ansatzpunkt bieten.
christian01 schrieb:Weder Urteil noch dessen Begründung liegt vor da hast Du selbstverständlich Recht. Ich gehe aber nicht von einem Freispruch aus. Für eine Entscheidung im Zweifel für den Angeklagten müsste das Gericht ebensolche haben, das Gericht hat aber wohl keine, das hat es ja durchaus durchblicken lassen. Etwas "augenscheinliches" anzuzweifeln bedingt Phantasie und vor allem Demut, dessen ist das Gericht unverdächtig.
Wann und womit hat es das denn durchblicken lassen? Solche Behauptungen müsstest Du schon belegen, damit man Dir folgen kann.
christian01 schrieb:Nunja das würde ich nicht zwingend so sehen nachdem der Zeuge selbst bekundet hat das er sich durchaus ( wenn auch untergeordnet ) Vorteile durch seine Aussage verspricht.
Es ist doch völlig egal, ob der Zeuge das "zugegeben" hat oder nicht. Hätte er gesagt, er mache diese Aussage nur, um für mehr Gerechtigkeit in der Welt zu sorgen und weil er es unerträglich findet, wenn Frauen wie Gegenstände gebraucht und weggeworfen werden, dann hättest Du ihm das auch nicht geglaubt.
Eine Aussage kann wahr oder falsch sein, egal wie die Motivation des Aussagenden ist. Selbst jemand mit offensichtlichem Belastungseifer, der bei M. nicht mal zu erkennen ist, kann die Wahrheit sagen. Das Gericht ist verpflichtet, jede einzelne Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Die Person des Zeugen spielt dabei eine Rolle, aber nicht die einzige.
In Frau Ricks Märchenstunde ist es vielleicht so, dass man da nach einem Flussdiagramm vorgeht, wo ganz vorne die Frage steht, ob der Zeuge ein Gefängnisinsasse oder ein "Gerichtslügner" (ein Wort was hier ein anderer User für den M. erfunden hat) und wenn man da mit "ja" antwortet, des von dort einen direkten Pfeil zu "unglaubwürdig" gibt.
So arbeiten Gerichte aber Gott sei Dank nicht!
Die Pflicht des Gerichtes, eine Aussage sorgfältig und umfassend auf ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen und zu beurteilen besteht in einem Rechtsstaat überings nicht nur deshalb, um einen Angeklagten zu schützen, sondern ist selbstverständlich etwas, woran auch die anderen Prozessparteien ein großes Interesse haben.
Ein Staatsanwalt oder eine Nebenkläger muss genauso darauf vertrauen können, dass eine einen Angeklagte belastende Aussage sorgfältig und ohne Vorurteile auf Glaubwürdigkeit überprüft werden.
Denk es doch einfach mal andersherum, dass ein Täter nicht verurteilt werden könnte, weil es nur Zeugen gibt, die nicht den besten Leumund haben. Das ginge ja dann sogar so weit, dass Opferzeugen, die selber keine weiße Weste haben oder nachgewiesener Maßen irgendwann mal im Leben gelogen haben, deutlich schlechtere Chance hätten, dass Taten gegen sie überhaupt geahndet und verurteilt werden.
Bevor Du hier also mit dicken Backen von Gerichtswillkür posaunst, solltest Du vielleicht auch mal versuchen, die Frage auch von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten.
christian01 schrieb:Revisionsgründe "provozieren" zu wollen ist aus Deiner Sicht unmoralisch ? oder könnte man vielleicht auch andersrum denken und sagen wenn Gerichte oftmals etwas mehr Demut an den Tag legen würden und Zweifel sähen wo welche zumindest denkbar wären, vielleicht bedürfte es dann weniger Verteidigungsstrategien in diese Richtung ? In der Industrie würde man das Workaround nennen
Aus meiner Sicht ist das unmoralisch. Die Möglichkeit Beweisanträge zu stellen ist ein wichtiges Rechtsgut, es soll sicherstellen, dass auch Angeklagte die Möglichkeit haben, Beweise in ein Verfahren einzubringen und nicht davon abhängig sind, was der StA zu ihrer Entlastung vorbringt.
Ein Gericht mit Beweisanträgen zu bombadieren, in der Hoffnung damit irgendeinen Rechtsfehler zu provozieren ist ein Missbrauch dieses Rechts auf Kosten aller anderen Prozessbeteiligten.
Genauso sehe ich überings dieses fast schon reflexartige Ankündigen von Revisionsanträgen. Auch die Möglichkeit einer Revision ist ein wichtiger Pfeiler von Rechtsstaatlichkeit, und es gibt sicher Fälle und Urteile, in denen es zu Recht genutzt wird.
Aber einfach nur aus Prinzip und weil man nicht bekommen hat, was man wollte, andere Gerichte damit zu belästigen, ist einfach nur ein Missbrauch dieser Möglichkeit. Die Revision ist eben nicht einfach ein einem Angeklagten gewährter zweiter Griff in die Lostrommel, in der Hoffnung statt einer Niete beim nächsten Mal den Hauptgewinn zu erwischen. Man muss sich doch ernsthaft fragen, was eine andere Kammer im Prozessverlauf anders entschieden hätte und ob tatsächlich die Chance besteht, dass die zu einem anderen Urteil kommt.
Gerade in Kombination mit dem ersten Punkt, der gezielten Provokation von Rechtsfehlern nur um im Hintertürchen der Revision schon mal einen Fuß stehen zu haben, ist einfach nur ein billiger Taschenspielertrick und gerade im Hinblick, dass auch die Eltern des Opfers Teilnehmer des Prozesses sind, hochgradig unmoralisch.
noch vor dem Urteil eine Revision anzukündigen,