Wie es einem nicht überführten Täter mit seiner Tat bzw. mit seiner Schuld geht, ist letztlich Spekulation. Zumindest, so lange sich der Täter nicht dazu äußert und wir die privaten und familiären Umstände, wie sich jetzt darstellen, nicht kennen. Forensische Psychologen haben vielleicht fundierte Kenntnisse, aber inwieweit sich das auf den konkreten Fall hier übertragen lässt, werden sie auch nicht sagen können.
Durch einen ausführlichen Prozess kam man der Person etwas näher kommen, aber das ist nicht immer der Fall. Hier haben wir keinen, also ist es noch spekulativer.
Ich denke grundsätzlich, die Beziehung zwischen Täter und Opfer zum Zeitpunkt der Tat ist ein ziemlich wichtiger Punkt. Und das hängt vom Motiv ab. Aber nicht nur. Verachtet der Täter das Opfer? Meint er, er müsse sich wehren, dürfe sich wehren? Auch wenn es etwas völlig Imaginiertes ist, es kommt ja auf seine Vorstellung von der Tat an. Wir sprechen heute nicht mehr vom "Triebtäter", weil wir mit dem Schuldprinzip davon ausgehen, dass jeder Mensch (der schuldfähig ist), das Unrecht seiner Tat einsehen und anders handeln könnte.
Aber es gibt "getriebene" Täter. Denken wir an Peter Lorres (der den Kindermörder darstellt) Verteidigung in "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" von Fritz Lang 1931 (sehenswerter Ausschnitt):
M - Peter Lorre als KindermörderF. ist ein ganz anderer Typ als M., klar, jemand der angeblich sehr lieb sein kann, der aber auch gewalttätig sein soll. Der vielleicht zwei Gesichter hat. Sollte er der Täter sein, kann er vielleicht die Tat von sich abspalten (dissoziative Amnesie). Und deshalb mit voller Überzeugung jemanden mimen, der mit dem Verschwinden R.s nichts zu tun hat. Das ist keine Ferndiagnose, sondern nur ein Hinweis, wie Täter sich nach einer Tat "über Wasser halten" können. Und gut schlafen.
Menschen können...Aktivitäten, die sich über Minuten, Stunden oder manchmal viel längere Zeiträume ereignet haben, vollkommen vergessen. Sie können das Gefühl haben, dass ihnen die Erinnerung an einen Zeitraum fehlt. Darüber hinaus fühlen sie sich möglicherweise von sich selbst, das heißt, von ihren Erinnerungen, Eindrücken, ihrer Identität, ihren Gedanken, Gefühlen, ihrem Körper und ihrem Verhalten losgelöst (dissoziiert). Oder sie fühlen sich von der Welt um sich herum losgelöst. Ihr Identitätsgefühl, ihre Erinnerung und/oder ihr Bewusstsein ist also bruchstückhaft.
Quelle:
https://www.msdmanuals.com/de-de/heim/psychische-gesundheitsstörungen/dissoziative-störungen/überblick-über-dissoziative-störungenOder er kann die Tat eben rechtfertigen ("so jemand verdient den Tod") oder entschuldigen ("das darf man nicht, aber ich habe keine Schuld"). Er sei vom Opfer in eine Situation gebracht worden, aus dem er sich nur durch die Tötung/Auslöschung/Ausdemweghaben wollen adäquat habe wehren können. "Mir blieb nichts anderes übrig. Ich musste so handeln, um mein eigenes Überleben/meine eigene Existenz zu schützen. Ich durfte das. Es war OK."
Das ist alles Spekulation. Aber versuche ich emotional und intellektuell solche Täter zu verstehen, die nicht ein Geheimnis alleine und einsam mit sich herumtragen, sondern wie F. gewaltig in der Zwickmühle stecken. Von Seiten der Ermittlungsbehörden unter Druck, von Seiten der Medien und als Familienvater und Schwiegersohn. Das kann man m.E. nur mit einer Abspaltung der Tat von sich selbst aus- und argumentativ durchhalten.