Der Beschluss des LGM I vom 12.08.22 zur Wiederaufnahme ist veröffentlicht:
https://openjur.de/u/2453664.htmlVorweg die Antwort auf die diskutierte Frage, ob ein Freispruch nur an der Zustimmung der StA scheiterte oder am Gericht - Er scheiterte an beiden:
Für eine sofortige Freisprechung im Beschlusswege gemäß § 371 Abs. 2 StPO liegen — unabhängig von dem Aspekt der hierfür erforderlichen, aber fehlenden Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft - derzeit keine genügenden Beweise vor.
Zu den Gutachten zum Todeszeitpunkt:
Ich habe den Eindruck, hier wurden sorgfältig die nötigen Parameter ermittelt, um eine fundierte Grundlage für die Ermittlung des Todeszeitraumes zu erlangen. Meiner Meinung nach entlastet das Ergebnis MG aber nicht.
Die objektive Vorgehensweise ist grundsätzlich, einen Todeszeitpunkt mit darumliegendem Intervall nach den gängigen Verfahren rechtsmedizinisch zu ermitteln (Beachtung von Totenstarre, Totenflecken, Körpertemperatur) und der Kripo zur Verfügung zu stellen. Diese schaut dann, ob es eine Schnittmenge mit der möglichen Anwesenheit des Tatverdächtigen am Tatort gibt oder nicht. Gibt es keine, spricht dieser Umstand natürlich erheblich gegen die Täterschaft des Verdächtigen und ist entsprechend zu würdigen.
Das würde bezogen auf die Liegezeiteinschätzung folgendermaßen aussehen:
Der Todeszeitpunkt nach dem thermischen Gutachten liegt bei 16.00 Uhr. Mit der nach dem Nomogramm von Henßge zu berücksichtigenden Toleranz von +/- 2,8 Stunden ergibt sich ein Zeitraum von 13.12 Uhr bis 18.48 Uhr, das entspricht der doppelten Standardabweichung.
Die Standardabweichung ist hier der Zeitraum von 14.36 Uhr - 17.24 Uhr. Dieser Zeitraum ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 68% belegt.
In diesem Zeitraum liegt der vom Gericht angenommene Tötungszeitraum (14.57 Uhr bis 15.09 Uhr) voll drin.
Wären wir im Ermittlungsstadium, würden wir also einen Treffer verbuchen. Der TV war zur passenden Zeit am Tatort. Fertig, das reicht.
Die Gutachter der Verteidigung jonglieren nun aber so geschickt mit (mMn. willkürlich hergesuchten) Wahrscheinlichkeitsangaben, dass man ein anderes Gefühl bekommt.
Aus der geschätzten Todeszeit um 16.00 Uhr könne den Sachverständigen Prof. Dr. M... und Dr. M2... zufolge nach dem vom Henßge-Modell vorgegebenen Konfidenzintervall von +/- 3 Stunden für Wasserleichen bei einer doppelten Standardabweichung eine Wahrscheinlichkeit von etwa 60 % dafür entnommen werden, dass die Todeszeit nach 15.09 Uhr liege und von etwa 5 %, dass sie innerhalb des vom Urteil festgestellten Zeitfensters von 14.57 bis 15.09 Uhr liege.
Das klingt ganz anders, auf einmal soll die Wahrscheinlichkeit derart niedrig sein, obwohl der Zeitraum doch genau ins Intervall passt. Hier wird mE. falsch verglichen und Augenwischerei betrieben.
Wenn man einen kleinen Zeitraum mit einem großen vergleicht, ergibt sich natürlich eine unterschiedliche Wahrscheinlichkeit. Es ist aber sinnfrei, diesen Vergleich vorzunehmen. Man kann höchstens, wie die Staatsanwaltschaft bemerkt hat, gleich große Zeiträume vergleichen und da stellt man fest, dass der vom Gericht damals zu Grunde gelegte kleine Zeitraum eine gleich große Wahrscheinlichkeit hat wie andere 13minütige Zeiträume innerhalb des Konfidenzintervalls der doppelten Standardabweichung.
Entscheidend ist eigentlich nur, dass die Anwesenheit Genditzkis im geschätzten Todeszeitraum liegt und zwar im 1 sigma Bereich.
Notabene: Ein Alibi hat MG durch die Berechnungen des Todeszeitpunktes nicht, kann er gar nicht, weil mit der Temperaturmethode kein Zeitpunkt ermittelt wird, sondern immer ein Zeitraum und der real in Betracht kommende Zeitraum ist schon kleiner als der errechnete, weil er begrenzt ist durch die zwei Zeitpunkte Eintreffen in der Wohnung und Auffinden der Leiche.