Mord und lebensgefährliche Messerstecherei in Bad Reichenhall

Es gehe ihm primär um Fragen des Entwicklungsstandes und der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten, betonte Richter Dr. Klaus Weidmann eingangs. Die Vorgesetzte erklärte, der junge Mann habe sich seit dem Kennenlernen im November 2013 sehr verändert. "Zu Beginn seiner Dienstzeit war er schüchtern, hatte Probleme einem beim Gespräch in die Augen zu schauen", schilderte die Siegsdorferin. Als sie das Gespräch mit ihm suchte, habe er erklärt, sich als "Depp der Kompanie" zu fühlen, alles sei so neu. Es komme vor, dass junge Soldaten Zeit brauchen, sich in die Kompanie einzufinden. Er sei damals ja auch noch Gefreiter gewesen – kein Grund, sich Sorgen zu machen. "War er kindlich?", hakte Richter Frank nach. "Nicht kindlich, kein Bub. Nur schüchtern. Er brauchte Zeit, sich zu integrieren", so die Soldatin. Bis zu einem zweiten Gespräch im Januar 2014 hätten sich die Dinge dann von selbst entwickelt. "Er sagte, er fühle sich wohl", erinnert sie sich.

Sie habe ihn jedoch im Blick behalten, habe aber fortan nur Positives mitbekommen, und nichts anderes habe auch der Zugführer gemeldet. Der Angeklagte habe sich oft als Freiwilliger gemeldet, zum Beispiel bei der Kriegsgräbersammlung. Schwer in Einklang zu bringen sind mit diesem Bild einzelne Vorfälle, die am Donnerstag auch angesprochen wurden. Schon ehe sie ihn persönlich zum ersten Mal traf, kannte die Soldatin den Namen ihres jungen Untergebenen. Bei Übernahme der Kompanie wurde ihr berichtet, dass er im Sommer 2013 unberechtigt und angetrunken die Stube einer Soldatin durchsucht hatte. "Das war eine Handlung, die nicht durchdacht war. Er war noch Gefreiter, und er hat erklärt, dass es ihm leid tut" – als allzu gewichtig sei dieser Vorfall nicht zu beurteilen.

Verhandelt wird der Mord am 14. Juli 2014 an einem 72-jährigen Rentner und um versuchten Mord an einer damals 17 alten jungen Frau mitten in Bad Reichenhall (Landkreis Berchtesgadener Land). Zahlreiche Indizien, von DNA-Spuren bis zu sich mit dem Mord an dem Rentner nach der Tat brüstenden Aussagen des 21-Jährigen gegenüber Kameraden bei der Bundeswehr, lassen eine Verurteilung des Ex-Soldaten erwarten. Der mutmaßliche Täter äußerte sich während des bisherigen Prozesses nicht zu den Vorwürfen. Das erschwerte, die Persönlichkeit einzuschätzen. So waren die Beteiligten im Prozessverlauf auf Sachverständige angewiesen. Diese hatten sich für Jugendstrafrecht ausgesprochen. Kurz vor den Plädoyers im Mai hatten die Opferanwälte ein zusätzliches Gutachten beantragt – von einem Kinder- und Jugendpsychiater.

Am Dienstag beleuchtete daher mit Dr. Martin Rieger aus München ein weiterer Gutachter die schwere Kindheit und Jugend mit Gewalt und Leben im Heim ab Anfang 2001. Der Sachverständige stützte seine Erkenntnisse auf zehn Merkmalsbereiche mit "Reifungspunkten". Diese habe er angewendet auf das 18. Lebensjahr des Angeklagten und auf die Tatzeit, bei der er 20 Jahre alter Heranwachsender war. In diesen zwei Jahren habe er "mittlere Reifungsfortschritte" gemacht. Die Behandlungsbereitschaft des 21-Jährigen sei in der Untersuchungshaft nicht hoch gewesen. Die Prognose sei trotz der Skepsis hinsichtlich einer Nachreifungsbereitschaft nicht negativ, unterstrich Dr. Martin Rieger. Vorsitzender Richter Dr. Klaus Weidmann erkundigte sich am Dienstag ausdrücklich, ob weitere Beweisanträge gewünscht seien. Als sich niemand meldete, schloss er die Beweisaufnahme – nach Mai - zum zweiten Mal.

Im Prozess um den Mord an einem Rentner und den Überfall auf eine Jugendliche in Bad Reichenhall hat die Staatsanwaltschaft die Höchststrafe für den Angeklagten gefordert. Wegen vollendeten und versuchten Mordes aus Mordlust und Heimtücke sowie besonders schwerer sowie gefährlicher Körperverletzung plädierte die Staatsanwaltschaft auf die höchstmögliche Jugendstrafe von 15 Jahren und Vorbehalt der Sicherungsverwahrung.

Oberstaatsanwalt Volker Ziegler plädierte auf eine Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht, wie es zwei Gutachter wegen einer Reifeverzögerung des Angeklagten empfohlen hatten. Die Höchststrafe läge in dem Fall bei 15 Jahren. Nach Verbüßung der Haft soll aber nach dem Willen der Anklagebehörde geprüft werden, ob der Mann in Sicherungsverwahrung kommt. "Lebenslänglich" nach dem Erwachsenenstrafrecht forderten dagegen die Opferanwälte. Der Verteidiger beantragte Jugendstrafe.

Das Urteil soll am 10. Juli gesprochen werden.

Für die tödlichen Messerstiche auf einen Rentner und den Überfall auf eine Jugendliche in Bad Reichenhall muss ein Ex-Bundeswehrsoldat 14 Jahre ins Gefängnis. Das Landgericht Traunstein verurteilte den 21-Jährigen am Freitag nach dem Jugendstrafrecht wegen Mordes und schwerer Körperverletzung. Im Fall des Messerangriffs auf die 17-Jährige sah die Jugendkammer entgegen der Anklagebehörde keinen Mordversuch.
Zusätzlich nahm das Gericht in sein Urteil den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung auf. Nach Verbüßung der Haft muss geprüft werden, ob der aus Morbach in Rheinland-Pfalz stammende Mann weiterhin eingesperrt bleibt. Außerdem verurteilte die Kammer den Angeklagten zu 175 000 Euro Schmerzensgeld an die junge Frau.
Der in Bad Reichenhall stationierte Soldat hatte den 72-Jährigen auf offener Straße erstochen und die 17-Jährige mit einem Kampfmesser der Bundeswehr schwerstens verletzt. Die Auszubildende ist seitdem auf einem Auge blind. Beide Taten geschahen in der Nacht zum 14. Juli 2014, als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Weltmeister wurde.