sarevok schrieb:erst wenn man in der lage ist sich selbst zu vergeben kann einem auch vergeben
werden
Und ich sehe es genau anders herum. Eine gute Freundin vertraute mir mal an, von ihrem Stiefvater in der Pubertät mißbraucht worden zu sein. Der Stiefvater lebte mit der Mutter zusammen, war aber nicht verheiratet. Nachdem sie mir das erzählt hatte, beschlossen die Eltern, nun doch zu heiraten. Was meine Freundin norchmals stärker belastete. Sie sprach mit dem Stiefvater darüber, und wie er jetzt, ohne das auszusprechen und zu klären, vor Gott die Ehe eingehen könne. Er sagte, er habe das schon längst vor Gott gebracht und Vergebung empfangen.
Aber mit seiner Stieftochter hatte er das nie zu bereinigen gesucht, und auch seiner künftigen Gattin hatte er dies nie kundgetan. Nein, sage ich, so billig ist Vergebung nicht. Wie kann man sich selbst vergeben bzw. vergeben lassen, ohne das erst mal mit den Betroffenen zu klären? Es muß nicht notwendig darauf hinauslaufen, daß die anderen einem vergeben, bevor man es sich selbst vergeben könne. Aber man sollte es zumindest versuchen, seinen eigenen Teil dazu beitragen, mit den Geschädigten meines Tuns ins Reine zu kommen. Jedes andere "Ich hab mir schon mal vergeben, und gut is!" ist für meine Begriffe höchst unethisch.
Vergebung ist "Christenpflicht", keine Frage. Aber Vergebung ist dennoch nicht billig oder beliebig. In Lukas17,3-4 sagt Jesus es deutlich:
Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht, und wenn er es bereut, so vergib ihm. Und wenn er siebenmal am Tag an dir sündigt und siebenmal zu dir umkehrt und spricht: Ich bereue es, so sollst du ihm vergeben.
Was hat es für einen Wert, jemandem zu vergeben, dem gar nicht an Deiner Vergebung liegt? Der sein Vergehen nicht einsieht und nicht von sich aus daran interessiert ist, mit den "Geschädigten" seiner Sünde ins Reine zu kommen? Jesus verlangt hier auch gar kein solches billiges Vergeben. Ich will nicht sagen, daß ein Vergeben ohne Reue des Betreffenden grundsätzlich falsch wäre, immerhin sagt es auch was über mich aus, ob ich vergeben kann, ob
ich gewillt bin, mit dem, der mich auf die rechte Wange schlägt, ins Reine zu kommen (fällt mir persönlich leider viel zu schwer, wenn die Reue des Gegenübers fehlt). Aber das betrifft mich. Doch was den "Sünder" betrifft, so ist das Vergebenwollen der Betroffenen eben nur die halbe Wahrheit und oft genug nicht ausreichend. Wie ich schon schrieb, mir gehts darum, daß "er begreift", erst dann kann er da "besser herauskommen" aus seinem Fehlverhalten, seiner "Sünde". Sonst bleibt er in ihr, und sein Sichselbstvergeben ist einfach nur ne ethische Scheußlichkeit. Mal ganz radikal gesagt.
T.Rick schrieb:Da zeigt sich meines Erachtens der typisch jüdische Pragmatismus, wonach das Ergebnis mehr zählt als der Weg dorthin, über Glauben oder Unglauben.
Schön, mit Dir auf solch eine Weise "über Gott und die Welt reden" zu können.
Allerdings widersprech ich Dir da, und zwar gehörig. Denn wenn ich sage, daß Christen, wenn sie Gutes tun, weil der Herr es ihnen aufgetragen hat odgl., nichts davon haben - Lukas17,10: "So sprecht auch ihr, wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren" - wohingegen die, die gar nicht wissen, daß sie gerade "einen Dienst für den Herrn geleistet" haben, wegen ihrer Werke "belohnt" werden (Matthäus25,31-46), dann ist
eben nicht das Ergebnis mehr als der Weg dorthin.
Und was da ein "typisch jüdisch" zu suchen hat, erschließt sich mir noch weniger. Auch dort gilt nämlich, daß für einen ordentlichen Juden die ganze Thora einzuhalten wesentlich ist, aber ein Goj kann gerecht werden, ohne die ganze Thora zu befolgen. In den Prophezeiungen über das künftige Friedensreich müssen die Völker nur Den HERRN allein anerkennen und verehren, zu Jesu Zeiten mußten die "Judengenossen" (Luthers Übersetzung) oder "Gottesfürchtigen", also Nichtjuden jüdischen Glaubens ohne Beschneidung, ebenfalls nicht die Thora einhalten; wenn, dann galt einzig die Gebots-Auflage des Noachitischen Bundes (1.Mose9,1-7) für die Menschheit insgesamt. Und seit der Mitte des 20.Jh. kann ein Goj zum "Gerechten unter den Völkern" werden, der sich für Juden eingesetzt hat, in Anlehnung an das rabbinische "wer einen Menschen rettet, der hat die ganze Welt gerettet". Quasi: wer eine Sache richtig macht, der hat alles richtig gemacht. Oder, der hat die ganze Thora gehalten. Gilt aber nicht für Juden, die im Bund stehen und daher alle Gebote ihres Bundes einhalten müssen. Oder anders rum formuliert heißt es in Amos3,2: "Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt; darum werde ich an euch alle eure Sünden heimsuchen."
Nein, auch für "typisch jüdischen Pragmatismus" gilt dann doch eher "Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe".
T.Rick schrieb:Zumal der Übertritt zum Judentum selbst heute schwierig ist, zu Zeiten von Jesus dürfte er kaum machbar gewesen sein ohne nachweisbare jüdische Vorfahren
Als das Christentum noch eine innerjüdische Gruppe war, gab es eine Diskussion und entsprechend viele Vertreter dafür, ob die Heiden, die Christen werden wollen, nicht erst einmal via Beschneidung jüdisch zu werden hätten. Besonders in den Paulusbriefen ist dieser Streit zu finden, da Paulus sich massiv dagegen auflehnt. Ganz offensichtlich bestand die Möglichkeit und auch der Brauch. Schon damals gab es allerdings auch im Judentum die Auffassung, daß ein Goj nicht extra Jude werden müsse, um "dazuzugehören" (zumindest halbwegs, vor allem vor Gott). Diese unterschiedlichen Praktiken werden wohl auch regional und von Strömung zu Strömung verschieden angewandt worden sein. Aber ein generelles "kaum machbar ohne jüdische Vorfahren" geht da nun nicht.
Wahrscheinlich belegt Matthäus23,15
Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr durchzieht das Meer und das trockene [Land], um einen Proselyten zu machen; und wenn er es geworden ist, so macht ihr ihn zu einem Sohn der Hölle, doppelt so schlimm wie ihr.
eine konkret pharisäische Praxis, Heiden durch Beschneidung zu Proselyten zu machen, sodaß diese also auch unter der Thora standen. Denn ein einfaches Proselytenmachen, also zum unbeschnittenen "Fremden in Deinen Toren", der halt den Gott Israels anerkennt, aber nicht die Gebote einhalten muß, ein solches Proselytenmachen wäre ja nichts Verwerfliches. Doch wenn die Pharisäer den Proselyten beschneiden und damit "ins Volk, in den Bund und unter die Thora" holen, dann natürlich in pharisäischer Manier und Auslegung. Und das ists, was Jesus auch sonst an den Pharisäern kritisiert, und wovon er nun befürchten muß, daß der Konvertit das gleich doppelt so radikal betreibt (Stichwort "Konvertitenmentalität", siehe z.B. Ex-Raucher, die besonders radikal gegen Raucher sind).
Eusebius schrieb:Christliche Nächstenliebe habe ich auch nicht geschrieben. Wobei: Erkläre mir mal den Unterschied?
Christliche Nächstenliebe ist Auftrag und nichts Unbewußtes.
Eusebius schrieb:Es kann aber auch Gläubige betreffen, die meinen sie hätten aufgrund ihres Glaubens den Himmel schon für sich gepachtet.
Das kannst Du für Dich selbst gerne "so sehen", aber ob das vom Text her gemeint ist, ist ne andere Frage. Und da sage ich eher: nein. Auch wenn ich es betrachte, was Matthäus damit ausdrücken will, würde ich mal "nein" sagen. Schließlich hat Matthäus die beiden Gleichnisse "kluge und törichte Jungfrauen" und "Schafe und Böcke" nebeneinander gestellt. Das eine behandelt die, die im Glauben stehen, das andere die, wo der Glaube fehlt. Dazu paßt denn auch, daß die Christen an vielen Stellen im NT als "aus dem Gericht genommen" gelten, bei Paulus vor allem, aber auch in Offenbarung20, wo die Christen in der ersten Auferstehung am Anfang der 1000 Jahre bei sind, und die "übrigen" am Ende in der zweiten Auferstehung vors Gericht kommen.
T.Rick schrieb:Diese Frage stellt sich wohl jeder Mensch mal, dessen Intelligenz die eines Stücks Gemüse übersteigt.
Nettes Werturteil. Aber davon mal abgesehen, so oft ich im Gespräch darauf hingewiesen habe, daß sie das sicher bedenken würden, wenn sie erst mal vor Gottes Thron stünden (natürlich: falls), kam da nie ein "Ok, Najanaja, Hmmm, mag sein".
Aber vielleicht hab ich halt immer nur mit den "Saudummen" unter den Atheisten zu tun gehabt...
Hier mal ein Beispiel, auch wenns nicht ganz entspricht:
https://www.gamestar.de/xenforo/threads/im-prinzip-eine-einfache-frage-kommt-hitler-in-den-himmel.702/ich bin eh nicht gläubig, aber wenn Hitler in den Himmel käm will ich lieber in die Hölle.
Kannst sicher weitere Beispiele finden, und nicht nur welche, die eher scherzhaft / plakativ gemeint sind, womöglich sogar ganze Diskussionen dazu. Aber daß es solche ernsthaft gibt, das kann nicht so einfach weggewischt oder auf den IQ geschoben werden.