Jorkis schrieb:Bewusstsein halte ich übrigens für ein philosophisches Problem und glaube nicht, dass wir hier eine finale Antwort aus naturwissenschaftlicher Sicht bekommen.
Ziemlich pessimistisch. Immerhin hat es ja von der Idee sog. "Atome" bis zu deren Entdeckung auch über 2000 Jahre gedauert. Manchmal muss man halt einfach Geduld haben... Aber ja, ich gehe auch zumindest nicht davon aus, noch zu meinen Lebzeiten eine finale Antwort zur Problematik des Bewusstseins zu bekommen.
Jorkis schrieb:Richtig. Ich denke man kann gewisse Dinge ausschließen, sofern man nicht eine super skeptische Position einnimmt. Es ist auch ein Irrglaube, dass man kein Negativ beweisen kann, gerade über die von dir genannten Widersprüche.
Na ja, zumindest
weitestgehend ausschließen. In der Geschichte von Philosophie, Naturwissenschaft und Religion gibt es ja diverse immer wiederkehrende und recht zentrale Ideen/Konzepte wie Urstoff, Urgrund, Gott, Seele, Reinkarnation o.ä., von denen in der Regel eigentlich immer nur
spezifische Vorstellungen ausgeschlossen wurden. Das kann man an der Geschichte vom "Urstoff" noch am besten nachvollziehen, weil wir da mit der heutigen Elementarteilchenphysik am weitesten gekommen sind, während wir auf dem Weg dorthin unzählige Vorstellungen verworfen haben, ohne das Konzept "Urstoff" komplett über Bord zu werfen. Und ich würde insofern bspw. auch nicht so weit gehen, eine Art "Gott" im Sinne Aristoteles' oder Platons auszuschließen, sondern lediglich spezifische Vorstellungen wie etwa die christlich-biblischer Prägung. Wobei das schon eher in Richtung "Urgrund" geht, gerade bei Aristoteles. Platon hat da aber bspw. auch bereits einige sehr interessante Gedanken gehabt, indem er vor allem davon ausging, dass die Welt durch rationale und gesetzmäßige Prinzipien - wir würden heute "Naturgesetze" dazu sagen - geordnet ist. Und vielleicht kann man diesem "Urgrund" auch eine Art von Geist, Intelligenz oder Intention unterstellen - im weitesten und vielleicht auch nur metaphorischen Sinne. Immerhin unterstellen wir ja
bloßen Netzwerken von Neuronen auch so etwas. Und so LLMs wie ChatGPT unterstellen wir ernsthaft, zu
denken. So Begriffe wie "Gott" oder "Seele" sind von der Bedeutung her und den teils primitiven Vorstellungen dahinter aber zu sehr von Religion/Kirche vereinnahmt, so dass man im Regelfall vielleicht besser darauf verzichtet.
Das sind dann auch so Sachen, die bspw. Gläubige wie
@freeofdoms nicht (mehr) begreifen. Es geht ja, zumindest meiner Meinung nach, nicht darum, die Idee eines "Schöpfergottes" zu widerlegen, sondern vielmehr darum, solche Ideen
weiterzuentwickeln und darüber nachzudenken, wie die ursprünglichen Ideen des Altertums vor dem Hintergrund moderner Naturwissenschaft bis Philosophie gedeutet und neu interpretiert werden können. Kluge Menschen wie Hoimar von Dithfurth haben bspw. die Evolution als Schöpfung, als kreativ-schaffenden Prozess gedeutet, um nur mal ein konkretes Beispiel zu nennen. Und demnach ging die Welt nicht aus einem bloßen
Akt der Schöpfung hevor, sondern befindet sich immer noch in einem
Prozess der Schöpfung.
Jorkis schrieb:Ja. Wobei der Naturalismus ja noch mehr macht. Und da landet man schon bei einer Beweislast. Es ist ja nicht damit getan, dass man sagt "du hast für deine Behauptung keine Belege"/"ich glaube dir nicht", sondern man sagt "alles ist Natur" - es ist also nicht nur eine Gegenposition. Da hat man ja schon eine Beweispflicht.
Das kann man durchaus so sehen, etwa mit Blick auf den Determinismus der ja ebenfalls mal als universell und ausnahmslos gültig angenommen wurde, aber mittlerweile eigentlich als widerlegt gilt. Die Quintessenz ist: Beweise gibt es in der Naturwissenschaft und Philosophie nicht. Naturwissenschaftliche Modelle, Theorien oder Weltbilder können zwar immer widerlegt, revidiert und angepasst werden, aber sie können nie endgültig bewiesen werden. In einem gewissen Sinne sind es immer nur Annahmen, die sich auch als falsch herausstellen können. Das bedeutet aber nicht, dass konkurrierende Modelle, Theorien oder Weltbilder allesamt gleichberechtigt und gleichermaßen plausibel sind. Bis zur Entdeckung des objektiven Zufalls in der Quantenphysik sprach bspw.
nichts gegen den Determinismus und umgekehrt
nichts für den Indeterminismus. Und wenn nun aber bspw. der Determinismus widerlegt ist, bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass der Indeterminismus bewiesen ist? Nein, auch diese Sichtweise ist falsch, da sich nicht mit absoluter Gewissheit ausschließen lässt, dass es nicht vielleicht doch tiefer liegende, deterministische Gesetzmäßigkeiten gibt, die wir lediglich noch nicht kennen. Diese Einsicht führte irgendwann bspw. auch zu philosophischen Positionen wie dem Fallibilismus, demnach es eben keine absolute Gewissheit in Bezug auf Theorien, Modelle oder Weltbilder gibt. Die entscheidenden Stichworte sind damit: Konsistenz und Plausibilität.
Kommen wir also zurück zum Naturalismus, der sich zwar nicht beweisen lässt, genauso wenig wie übrigens sich auch der Supranaturalismus nicht beweisen lässt, aber eben weitaus konsistenter und plausibler als der Supranaturalismus ist. Warum ist das so?
1. Das liegt u.a. daran, dass die Naturwissenschaften enorme Erfolge dabei erzielt haben, natürliche Phänomene zu erklären, die früher als irgendwie "übernatürlich" galten. Zum Beispiel können viele Krankheiten, die früher als Götterstrafen oder übernatürliche Erscheinungen interpretiert wurden, nun durch medizinische und biologische Forschung als natürliche Prozesse mit klaren Ursachen (z. B. Viren, Bakterien, genetische Ursachen) verstanden werden.
2. Außerdem sind Naturgesetze wie die Gesetze der Physik, Chemie und Biologie konsistent und können viele Phänomene vorhersagen und erklären. Der Erfolg der Wissenschaften hat gezeigt, dass natürliche Erklärungen sehr mächtig und weitreichend sind.
3. Technologische Durchbrüche und der medizinische Fortschritt durch den Einsatz naturwissenschaftlicher Prinzipien stützen die Annahme, dass die Welt auf natürlichen Gesetzmäßigkeiten basiert und keine übernatürlichen Kräfte erforderlich sind, um diese Prozesse zu erklären.
4. Übernatürliche Phänomene wie Geister, Götter oder übernatürliche Heilungen sind nicht nachweisbar und lassen sich nicht in der gleichen Weise beobachten wie natürliche Phänomene.
5. Übernatürliche Phänomene sind in der Regel nicht falsifizierbar und können niemals so beschrieben werden, dass sie in einer kontrollierten Untersuchung widerlegt werden können. Typisches Beispiel sind Behauptungen zu übernatürlichen Wesen (bspw. Geister), die an einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit da sind, allerdings unsichtbar oder unauffindbar bleiben und dennoch irgendwie wirken.
6. Der Supranaturalismus führt zusätzliche Entitäten oder Kräfte ein, ohne dass diese zwingend notwendig sind, um beobachtete Phänomene zu erklären. Der Naturalismus bietet hingegen eine kohärente Erklärung für beobachtbare Phänomene ohne die Notwendigkeit, übernatürliche Annahmen zu machen.
7. Und so weiter und so fort... bestimmt habe ich noch irgendwas vergessen.
Der Einwand, dass sich der Naturalismus ja gar nicht beweisen lässt, mag zwar zutreffend sein, nur gilt das umgekehrt genauso und sogar noch viel mehr für den Supranaturalismus. Darüberhinaus punktet der Naturalismus gegenüber dem Supranaturalismus aber eben insbesondere durch Plausibilität, Überprüfbarkeit und Konsistenz, so dass im Endeffekt alles für den Naturalismus spricht, aber eben nicht für die Gegenposition.
Jorkis schrieb:Und in der Praxis mischt sich das ja mit vielen weiteren Positionen, die ein Mensch vertritt.
Sicher, das Problem haben so ziemlich alle Weltanschauungen, bspw. auch der Supranaturalismus, Physikalismus, Materialismus, Atheismus, Theismus bis hin zu politischen Weltanschauungen wie dem Kommunismus, Liberalismus und so weiter und so fort. Ist jetzt also kein besonderes Alleinstellungsmerkmal des Naturalismus, welches ihn in besonderer Weise angreifbar oder unplausibel machen würde.
Jorkis schrieb:Ich persönlich halte viel von einem Idealismus, in sofern ist für mich Bewusstsein auch nicht materialistisch erklärbar. Ob ein Naturalist das nun "naturalistisch" nennen würde, keine Ahnung :)
Ja, da gibt es ein paar durchaus interessante Ideen und Ansätze, die aber nicht so gut ausgearbeitet sind, als dass sie wirklich überzeugen würden. Jedenfalls sind mir abseits von Hegel & Co. keine modernen Vertreter oder Positionen bekannt. Intuitiv finde ich den Materialismus aber auch nicht sehr überzeugend. Mal abgesehen vom Qualia-Problem und den modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, welche zumindest den
klassischen Materialismus längst ad absurdum geführt haben... ich könnte bspw. träumen, wie ich mit der Faust auf einen Tisch haue und dann zu der Schlussfolgerung gelange:
"Da ist es Festes, ich nenne es: Materie! Das ist es, woraus die (Traum-)Welt besteht..."