sacredheart schrieb:Eine vollkommen einheitliche Definition von Nazi wird es so ja auch nicht geben. Man muss den Begriff zB zum Begriff Faschst abgrenezen, sonst kann man ja auch einen der Begriffe fallenlassen.
Alle Nazis sind Faschisten. Nicht alle Faschisten sind Nazis.
Habe zum Faschismus erst kürzlich in einem anderen Thread was geschrieben:
1.21Gigawatt schrieb am 20.09.2020:Was Faschismus ist und wie er weit er unter welchen Umständen gehen kann ist eine komplizierte Frage.
Dazu muss aber auch mal ein Fass aufgemacht werden.
Das Wort Faschismus ist ein Produkt seiner Zeit, muss sich aber, um eine relevante Bedeutung zu behalten, weiter entwickeln.
Der Wortstamm geht auf die "fasces" zurück, irgendeine Art von Bündel. Gemeint ist die Bündelung von Macht.
Mit dem Ende der Monarchie in Europa endete auch eine grobe Machtstruktur die über ein Jahrtausend bestand. Heute spricht man von der Teilung zwischen kirchlicher und weltlicher Macht zu dieser Zeit. Mit der Aufklärung und Industrialisierung und den folgenden gesellschaftlichen Umbrüchen gewannen weitere Formen der Macht an bedeutung (Wirtschaft, Wissen) während fortschreitende Säkularisierung die kirchliche Macht stark reduzierte.
Neue Formen der bürokratischen Organisation von Macht bildeten sich. Nationalstaaten, Republiken, Formen von Demokratie, nationalistisch oder sozialistisch geprägt und vieles mehr. In dieser Zeit trat Benitto Mussolini auf, mit dem Ziel einer breiten Bündelung dieser Machtformen unter einem diktatorischen, ultranationalistischen System. Er selbst nannte dieses Ziel und seine Bewegung, in Anspielung auf die "fasces", die Bündel, Faschismus. Im Grunde "die Bündelung von Macht".
Heute bezeichnet das Wort Faschismus diese Art der nationalistischen, autoritaristischen Übernahme der Macht in einem bestehenden System. Eben jene Art die Mussolini und folgende Faschisten geprägt hatten.
Faschismus ist also die Bündelung verschiedener gesellschaftlicher Mächte unter einem nationalistischem und authoritären Regime.
Nationalsozialismus ist eine spezielle Form des Faschismus der von Hitler in Deutschland umgesetzt wurde.
Nazis von Faschisten Abzugrenzen macht also keinen Sinn, denn alle Nazis sind Faschisten.
Umgekehrt muss man Abgrenzen. So gibt es faschistische Tendenzen (also Tendenzen zur Bündelung von Macht unter einem nationalistischen authoritären Regime) in Ländern wie Russland oder China. Das sind aber keine Nazis.
Russland bündelt Macht in Form einer Oligarchie, während China die Macht in Form einer sozialistischen Einparteiendikatatur bündelt. Beides hat nix mit Nationalsozialismus zu tun.
Wozu die USA unter Trump hier zählen ist eine interessante Frage.
Trump's Rhetorik ist klar faschistisch. Es ist aber auch Nazi Rhetorik.
Die Frage ist ob die Nazi-Rhetorik nur ein Aspekt des trumpschen Populismus ist oder ernst gemeint ist, denn Trump ist kein Patriot und kein Nationalist. Er benutzt Patriotismus und Nationalismus nur zu seinen persönlichen Zwecken.
Unter der Fassade erscheint Trump eher als Teil einer kriminellen Cabal, die in den USA eine Oligarchie nach Vorbild Russland einführen will und Nationalismus eben als Mittel zum Zweck nutzt.
sacredheart schrieb:Zu einem Nazi gehört nun mal der Wunsch nach Lebensraum für das überlegen gewähnte Volk und mindestens eine homogene Definition von Volk, die so der Realität widerspricht. Das wäre die Minimalanforderung, um den Begriff sinnvoll zu verwenden.
Aber das ist doch einfach nur der Kern das Rassismus.
Radikale Hinduistische Nationalisten sind auch rassistisch, sogar so rassistisch, dass sie dafür morden, aber sie sind keine Nazis.
Ich denke der Nazi zeichnet sich schlicht und einfach dadurch aus, dass er ein Faschist ist der das faschistische Regime als Repräsentant einer rassistisch definierten Volkseinheit sieht, mit Überlegenheitsanspruch.
sacredheart schrieb:Dem gegenüber steht die Nazi Keule, mit der man einfach jeden brandmarken kann, der anderer Meinung ist.
Nazis sind ein relevanter Teil unserer Zeit. Sie sind politisch organisiert und repräsentieren signifikante Wählergruppen.
Nicht nur in Deutschland sondern in ganze Europa und den USA.
Viel zu selten werden sie als solche bezeichnet, eben weil viele den Begriff stets mit dem deutschen historischen Kontext verbinden und ihn nicht allgemein für Leute verwenden die an nationalistischer, autokratischer Unterwanderung westlicher Demokratien arbeiten.
abberline schrieb:Richtig. Und der Faschismus ist eigentlich ein ungeliebtes Kind des Sozialismus. Mussolini war zumindest von Marx beeinflusst.
Das ist Geschichtsrevisionismus.
Der Faschismus hat sich selbst definiert in Abgrenzung zu den damals existierenden Organisationsformen von Macht. Faschisten haben sich ursprünglich ja auch selbst so genannt.
Das einzige was sie mit dem Sozialismus gemeinsam hatten war, dass sie dem freien Markt keine nennenswerte Macht überlassen wollten.
Während der Sozialismus diese Macht dem "Arbeiter" geben wollte, wollte der Faschismus sie dem "Führer" geben.
abberline schrieb:Und durch den heutigen, inflationären Gebrauch von Worten wie Faschist oder Nazi für alles, was einem nicht passt, verharmlost man.
Ganz und gar nicht. Paralellen zwischen historischen Nazis und Faschisten und den faschistischen und nazistischen tendenzen von heute aufzuzeigen ist notwendig, nicht verharmlosend.
Es nicht zu tun wäre geschichtsvergessen und veranwortungslos.
Abahatschi schrieb:Ich stimme zu.
Dennoch hat der Gewählte eine noch höhere Verantwortung, er hat es ja letztendlich in der Hand.
Negativbeispiel: Merkel. Rückschritt durch Stillstand, EU Wahnsinn, erstarken von extremen Parteien.
Da hat der Wähler nichts falsch gemacht.
Wenn der Wähler keinen Stillstand will, wieso wählt er dann seit 20 Jahren CDU und SPD die mit Stillstand Wahlkampf machen?
Nicht schon vor 20-30 Jahren in Schaaren auf progressive Partein umgestiegen zu sein, dass kann man den deutschen Wählern vorwerfen.
Realo schrieb:Was ist mit den 5%, die jetzt nicht mehr die AfD wählen würden? Sind das jetzt plötzlich makellose Demokraten?
Nein. FDP und CDU haben ihren rechtspopulismus in den letzten Jahren deutlich hochgefahren.
Dass die CSU aktuell die Untersuchung der Unterwanderung der Polizei durch Nazis zu verhindern versucht ist ein großes Warnsignal.
KaMailLeon schrieb:Viele Bürger ließen sich von dem Programm und Zielen der NSDAP quasi überzeugen
Sie vielen auf die Nazi-Propaganda hinein. Ich würde das nicht "Überzeugung" nennen.
KaMailLeon schrieb:Also liegt der Handlungsbedarf auch heute mMn eindeutig bei den regierenden Parteien, welche evtl. ihre Politik in gewissen Fragen mal in den Dienst des Volkes stellen (bedenken) und ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer potentieller Wähler übrig haben sollten.
Dann bräuchte man sich mMn über ein Erstarken z.B. einer AfD nicht allzu große Gedanken machen...
Das denke ich nicht. Die AfD vertritt einen anti-liberalen Kurs in der Flüchtlingsfrage. Das ist kein Kurs den die anderen Partein übernehmen können, da er nicht mit unserem Wertefundament vereinbar ist.