Ein Kind aus dem Nahen Osten
11.08.2006 um 03:35Dazu scheint aber derzeit wenig Aussicht vorhanden. Man stünde der Institutiondes
Völker Bundes nun ganz ohne Verständnis gegenüber, wenn man nicht wüsste, dasshier
ein
Versuch vorliegt, der in der Geschichte der Menschheit nicht oft -vielleicht
noch nie in
diesem Maß -gewagt worden ist. Es ist der Versuch, dieAutorität - d. i.
den zwingenden
Einfluss -, die sonst auf dem Besitz der Machtruht, durch die
Berufung auf bestimmte ideelle
Einstellungen zu erwerben. Wirhaben gehört, was eine
Gemeinschaft zusammenhält, sind
zwei Dinge: der Zwang derGewalt und die
Gefühlsbindungen - Identifizierungen heißt man
sie technisch - derMitglieder. Fällt
das eine Moment weg, so kann möglicher Weise das
andere dieGemeinschaft aufrecht
halten. Jene Ideen haben natürlich nur dann eine
Bedeutung,wenn sie wichtigen
Gemeinsamkeiten der Mitglieder Ausdruck geben. Es fragt
sichdann, wie stark sie
sind. Die Geschichte lehrt, dass sie in der Tat ihre Wirkung geübtha-
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ben. Die panhellenische Idee z.B., das Bewusstsein, dass man etwasBesseres sei als
die
umwohnenden Barbaren, das in den Amphiktyonien, den Orakelnund Festspielen so
kräftigen
Ausdruck fand, war stark genug, um die Sitten derKriegsführung unter
Griechen zu mildern,
aber selbstverständlich nicht im Stande,kriegerische
Streitigkeiten zwischen den Partikeln des
Griechenvolkes zu verhüten,ja nicht einmal
um eine Stadt oder einen Städtebund abzuhalten,
sich zum Schadeneines Rivalen mit
dem Perserfeind zu verbünden. Ebenso wenig hat das
christlicheGemeingefühl, das doch
mächtig genüg war, im Renaissancezeitalter christliche
Klein- und Großstaaten daran
gehindert, in ihren Kriegen miteinander um die Hilfedes
Sultans zu werben. Auch in
unserer Zeit gibt es keine Idee, der man einesolche einigende
Autorität zumuten
könnte. Dass die heute die Völkerbeherrschenden nationalen Ideale zu
einer
gegenteiligen Wirkung drängen, ist jaallzu deutlich. Es gibt Personen, die vorhersagen,
erst das allgemeineDurchdringen der bolschewistischen Denkungsart werde den Kriegen
ein
Ende machenkönnen, aber von solchem Ziel sind wir heute jedenfalls weit
entfernt, und
vielleicht wäre es nur nach schrecklichen Bürgerkriegen erreichbar. So
scheint esalso, dass
der Versuch, reale Macht durch die Macht der Ideen zu ersetzen,
heutenoch zum
Fehlschlagen verurteilt ist. Es ist ein Fehler in der Rechnung, wenn
mannicht berücksichtigt,
dass Recht ursprünglich rohe Gewalt war und noch heuteder
Stützung durch die Gewalt nicht
entbehren kann.
Ich kann nun daran gehen,einen
anderen Ihrer Sätze zu glossieren. Sie verwundern sich
darüber, dass es soleicht
ist, die Menschen für den Krieg zu begeistern, und vermuten, dass
etwas inihnen
wirksam ist, ein Trieb zum Hassen und Vernichten, der solcherVerhetzung
entgegenkommt. Wiederum kann ich Ihnen nur uneingeschränkt beistimmen.Wir glauben an
die Existenz eines solchen Triebes und haben uns gerade in denletzten Jahren bemüht,
seine
Äußerungen zu studieren. Darf ich Ihnen aus diesemAnlass ein Stück der
Trieblehre
vortragen, zu der wir in der Psychoanalyse nachvielem Tasten und
Schwanken gekommen
sind? Wir nehmen an, dass die Triebe desMenschen nur von
zweierlei Art sind, entweder
solche, die erhalten undvereinigenwollen - wir heißen
sie erotische, ganz im Sinne des Eros
im SymposionPlatos, oder sexuelle mit
bewusster Überdehnung des populären Begriffs von
Sexualität - und andere, die
zerstören und töten wollen; wir fassen diese alsAggressionstrieb
oder
Destruktionstrieb zusammen. Sie sehen, das ist eigentlichnur die theoretische
Verklärung des weltbekannten Gegensatzes von Lieben undHassen, der vielleicht zu der
Polarität von Anziehung und Abstoßung eineUrbeziehung unterhält, die auf Ihrem
Gebiet
eine Rolle spielt. Nun lassen Sie unsnicht zu rasch mit den Wertungen von Gut
und Böse
einsetzen. Der eine dieserTriebe ist ebenso unerlässlich wie der andere,
aus dem Zusammen-
undGegeneinanderwirken der Beiden gehen die Erscheinungen des
Lebens hervor. Nun
scheint es, dass kaum jemals ein Trieb der einen Art sich isoliert
betätigen kann,er ist immer
mit einem gewissen Betrag von der anderen Seite
verbunden, wie wirsagen: legiert, der sein
Ziel modifiziert oder ihm unter Umständen
dessenErreichung erst möglich macht. So ist z.B.
der Selbsterhaltungstriebgewiss
erotischer Natur, aber grade er bedarf der Verfügung über die
Aggression,wenn er
seine Absicht durchsetzen soll. Ebenso benötigt der auf Objekte
gerichtete
Liebestrieb eines Zusatzes vom Bemächtigungstrieb, wenn er seinesObjekts über-
haupt
habhaft werden soll. Die Schwierigkeit, die beiden Triebartenin ihren Äußerungen zu
isolieren, hat uns ja so lange in ihrer Erkenntnisbehindert.
Wenn Sie mit mir
ein Stück weitergehen wollen, so hören Sie, dass diemenschlichen
Handlungen noch
eine Komplikation von anderer Art erkennen lassen.Ganz selten ist die
Handlung das
Werk einer einzigen Triebregung, die an und fürsich bereits aus Eros und
Destruktion
zusammengesetzt sein muss. In der Regelmüssen mehrere in der gleichen Weise
aufgebaute Motive zusammentreffen, um dieHandlung zu ermöglichen. Einer Ihrer
Fachgenossen hat das bereits gewusst, einProf. G. Ch. Lichtenberg, der zur Zeit
unserer
Klassiker m Göttingen Physiklehrte; aber vielleicht war er als Psychologe
noch bedeutender
denn als Physiker.Er erfand die Motivenrose, indem er sagte: »Die
Bewegungsgründe (wir
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sagen heute: Beweggründe), woraus man etwas tut,
könnten so wie die 32 Windegeordnet
und ihre Namen auf eine ähnliche Art formiert
werden, z. B.Brot-Brot-Ruhm oder Ruhm-
Ruhm-Brot.« Wenn also die Menschen zumKrieg
aufgefordert -werden, so mögen eine
ganze Anzahl von Motiven inihnenzustimmend
antworten, edle und gemeine, solche, von
denen man laut spricht,und andere, die man
beschweigt. Wir haben keinen Anlass, sie alle
bloßzulegen. DieLust an der Aggression
und Destruktion ist gewiss darunter; ungezählte
Grausamkeiten der Geschichte und des
Alltags bekräftigen ihre Existenz und ihreStärke. Die
Verquickung dieser
destruktiven Strebungen mit anderen erotischen undideellen erleichtert
natürlich
deren Befriedigung. Manchmal haben wir, wenn wirvon den Gräueltaten der
Geschichte
hören, den Eindruck, die ideellen Motive hättenden destruktiven Gelüsten nur als
Vorwände gedient, andere Male z.B. bei denGrausamkeiten der hl. Inquisition, meinen
wir,
die ideellen Motive hätten sich imBewusstsein vorgedrängt, die destruktiven
ihnen eine
unbewusste Verstärkunggebracht. Beides ist möglich.
Ich habe
Bedenken, Ihr Interesse zu missbrauchen,das ja der Kriegsverhütung gilt, nicht
unseren Theorien. Doch möchte ich nocheinen Augenblick bei unserem Destruktionstrieb
verweilen, dessen Beliebtheitkeineswegs Schritt hält mit seiner Bedeutung. Mit etwas
Aufwand von Spekulationsind wir nämlich zu der Auffassung gelangt, dass dieser Trieb
innerhalb jedeslebenden Wesens arbeitet und dann das Bestreben hat, es zum Zerfall
zu brin-
gen,das Leben zum Zustand der unbelebten Materie zurückzuführen. Er
verdiente in allem
Ernst den Namen eines Todestriebes, während die erotischen Triebe
die Bestrebungenzum
Leben repräsentieren. Der Todestrieb wird zum Destruktionstrieb,
indem er mitHilfe
besonderer Organe nach außen, gegen die Objekte, gewendet wird.
DasLebewesen bewahrt
sozusagen sein eigenes Leben dadurch, dass es fremdeszerstört.
Ein Anteil des Todestriebes
verbleibt aber im Innern des Lebewesenstätig und wir
haben versucht, eine ganze Anzahl von
normalen und pathologischenPhänomenen von
dieser Verinnerlichung des Destruk-
tionstriebes abzuleiten. Wirhaben sogar die
Ketzerei begangen, die Entstehung unseres
Gewissens durch einesolche Wendung der
Aggression nach innen zu erklären.
Völker Bundes nun ganz ohne Verständnis gegenüber, wenn man nicht wüsste, dasshier
ein
Versuch vorliegt, der in der Geschichte der Menschheit nicht oft -vielleicht
noch nie in
diesem Maß -gewagt worden ist. Es ist der Versuch, dieAutorität - d. i.
den zwingenden
Einfluss -, die sonst auf dem Besitz der Machtruht, durch die
Berufung auf bestimmte ideelle
Einstellungen zu erwerben. Wirhaben gehört, was eine
Gemeinschaft zusammenhält, sind
zwei Dinge: der Zwang derGewalt und die
Gefühlsbindungen - Identifizierungen heißt man
sie technisch - derMitglieder. Fällt
das eine Moment weg, so kann möglicher Weise das
andere dieGemeinschaft aufrecht
halten. Jene Ideen haben natürlich nur dann eine
Bedeutung,wenn sie wichtigen
Gemeinsamkeiten der Mitglieder Ausdruck geben. Es fragt
sichdann, wie stark sie
sind. Die Geschichte lehrt, dass sie in der Tat ihre Wirkung geübtha-
Page 9
ben. Die panhellenische Idee z.B., das Bewusstsein, dass man etwasBesseres sei als
die
umwohnenden Barbaren, das in den Amphiktyonien, den Orakelnund Festspielen so
kräftigen
Ausdruck fand, war stark genug, um die Sitten derKriegsführung unter
Griechen zu mildern,
aber selbstverständlich nicht im Stande,kriegerische
Streitigkeiten zwischen den Partikeln des
Griechenvolkes zu verhüten,ja nicht einmal
um eine Stadt oder einen Städtebund abzuhalten,
sich zum Schadeneines Rivalen mit
dem Perserfeind zu verbünden. Ebenso wenig hat das
christlicheGemeingefühl, das doch
mächtig genüg war, im Renaissancezeitalter christliche
Klein- und Großstaaten daran
gehindert, in ihren Kriegen miteinander um die Hilfedes
Sultans zu werben. Auch in
unserer Zeit gibt es keine Idee, der man einesolche einigende
Autorität zumuten
könnte. Dass die heute die Völkerbeherrschenden nationalen Ideale zu
einer
gegenteiligen Wirkung drängen, ist jaallzu deutlich. Es gibt Personen, die vorhersagen,
erst das allgemeineDurchdringen der bolschewistischen Denkungsart werde den Kriegen
ein
Ende machenkönnen, aber von solchem Ziel sind wir heute jedenfalls weit
entfernt, und
vielleicht wäre es nur nach schrecklichen Bürgerkriegen erreichbar. So
scheint esalso, dass
der Versuch, reale Macht durch die Macht der Ideen zu ersetzen,
heutenoch zum
Fehlschlagen verurteilt ist. Es ist ein Fehler in der Rechnung, wenn
mannicht berücksichtigt,
dass Recht ursprünglich rohe Gewalt war und noch heuteder
Stützung durch die Gewalt nicht
entbehren kann.
Ich kann nun daran gehen,einen
anderen Ihrer Sätze zu glossieren. Sie verwundern sich
darüber, dass es soleicht
ist, die Menschen für den Krieg zu begeistern, und vermuten, dass
etwas inihnen
wirksam ist, ein Trieb zum Hassen und Vernichten, der solcherVerhetzung
entgegenkommt. Wiederum kann ich Ihnen nur uneingeschränkt beistimmen.Wir glauben an
die Existenz eines solchen Triebes und haben uns gerade in denletzten Jahren bemüht,
seine
Äußerungen zu studieren. Darf ich Ihnen aus diesemAnlass ein Stück der
Trieblehre
vortragen, zu der wir in der Psychoanalyse nachvielem Tasten und
Schwanken gekommen
sind? Wir nehmen an, dass die Triebe desMenschen nur von
zweierlei Art sind, entweder
solche, die erhalten undvereinigenwollen - wir heißen
sie erotische, ganz im Sinne des Eros
im SymposionPlatos, oder sexuelle mit
bewusster Überdehnung des populären Begriffs von
Sexualität - und andere, die
zerstören und töten wollen; wir fassen diese alsAggressionstrieb
oder
Destruktionstrieb zusammen. Sie sehen, das ist eigentlichnur die theoretische
Verklärung des weltbekannten Gegensatzes von Lieben undHassen, der vielleicht zu der
Polarität von Anziehung und Abstoßung eineUrbeziehung unterhält, die auf Ihrem
Gebiet
eine Rolle spielt. Nun lassen Sie unsnicht zu rasch mit den Wertungen von Gut
und Böse
einsetzen. Der eine dieserTriebe ist ebenso unerlässlich wie der andere,
aus dem Zusammen-
undGegeneinanderwirken der Beiden gehen die Erscheinungen des
Lebens hervor. Nun
scheint es, dass kaum jemals ein Trieb der einen Art sich isoliert
betätigen kann,er ist immer
mit einem gewissen Betrag von der anderen Seite
verbunden, wie wirsagen: legiert, der sein
Ziel modifiziert oder ihm unter Umständen
dessenErreichung erst möglich macht. So ist z.B.
der Selbsterhaltungstriebgewiss
erotischer Natur, aber grade er bedarf der Verfügung über die
Aggression,wenn er
seine Absicht durchsetzen soll. Ebenso benötigt der auf Objekte
gerichtete
Liebestrieb eines Zusatzes vom Bemächtigungstrieb, wenn er seinesObjekts über-
haupt
habhaft werden soll. Die Schwierigkeit, die beiden Triebartenin ihren Äußerungen zu
isolieren, hat uns ja so lange in ihrer Erkenntnisbehindert.
Wenn Sie mit mir
ein Stück weitergehen wollen, so hören Sie, dass diemenschlichen
Handlungen noch
eine Komplikation von anderer Art erkennen lassen.Ganz selten ist die
Handlung das
Werk einer einzigen Triebregung, die an und fürsich bereits aus Eros und
Destruktion
zusammengesetzt sein muss. In der Regelmüssen mehrere in der gleichen Weise
aufgebaute Motive zusammentreffen, um dieHandlung zu ermöglichen. Einer Ihrer
Fachgenossen hat das bereits gewusst, einProf. G. Ch. Lichtenberg, der zur Zeit
unserer
Klassiker m Göttingen Physiklehrte; aber vielleicht war er als Psychologe
noch bedeutender
denn als Physiker.Er erfand die Motivenrose, indem er sagte: »Die
Bewegungsgründe (wir
Page 10
sagen heute: Beweggründe), woraus man etwas tut,
könnten so wie die 32 Windegeordnet
und ihre Namen auf eine ähnliche Art formiert
werden, z. B.Brot-Brot-Ruhm oder Ruhm-
Ruhm-Brot.« Wenn also die Menschen zumKrieg
aufgefordert -werden, so mögen eine
ganze Anzahl von Motiven inihnenzustimmend
antworten, edle und gemeine, solche, von
denen man laut spricht,und andere, die man
beschweigt. Wir haben keinen Anlass, sie alle
bloßzulegen. DieLust an der Aggression
und Destruktion ist gewiss darunter; ungezählte
Grausamkeiten der Geschichte und des
Alltags bekräftigen ihre Existenz und ihreStärke. Die
Verquickung dieser
destruktiven Strebungen mit anderen erotischen undideellen erleichtert
natürlich
deren Befriedigung. Manchmal haben wir, wenn wirvon den Gräueltaten der
Geschichte
hören, den Eindruck, die ideellen Motive hättenden destruktiven Gelüsten nur als
Vorwände gedient, andere Male z.B. bei denGrausamkeiten der hl. Inquisition, meinen
wir,
die ideellen Motive hätten sich imBewusstsein vorgedrängt, die destruktiven
ihnen eine
unbewusste Verstärkunggebracht. Beides ist möglich.
Ich habe
Bedenken, Ihr Interesse zu missbrauchen,das ja der Kriegsverhütung gilt, nicht
unseren Theorien. Doch möchte ich nocheinen Augenblick bei unserem Destruktionstrieb
verweilen, dessen Beliebtheitkeineswegs Schritt hält mit seiner Bedeutung. Mit etwas
Aufwand von Spekulationsind wir nämlich zu der Auffassung gelangt, dass dieser Trieb
innerhalb jedeslebenden Wesens arbeitet und dann das Bestreben hat, es zum Zerfall
zu brin-
gen,das Leben zum Zustand der unbelebten Materie zurückzuführen. Er
verdiente in allem
Ernst den Namen eines Todestriebes, während die erotischen Triebe
die Bestrebungenzum
Leben repräsentieren. Der Todestrieb wird zum Destruktionstrieb,
indem er mitHilfe
besonderer Organe nach außen, gegen die Objekte, gewendet wird.
DasLebewesen bewahrt
sozusagen sein eigenes Leben dadurch, dass es fremdeszerstört.
Ein Anteil des Todestriebes
verbleibt aber im Innern des Lebewesenstätig und wir
haben versucht, eine ganze Anzahl von
normalen und pathologischenPhänomenen von
dieser Verinnerlichung des Destruk-
tionstriebes abzuleiten. Wirhaben sogar die
Ketzerei begangen, die Entstehung unseres
Gewissens durch einesolche Wendung der
Aggression nach innen zu erklären.