@Spukulatius 1.) Wer jemals im Ausland ernsthaft krank geworden ist - und zwar nicht gerade in einer Metropole mit mehrsprachigem medizinischen Personal - der weiss, dass die Sprachbarriere schon ein grosses Hindernis ist. Einer der Gründe, warum ich mit unischer Deutsch sprechenden geflüchteten, die ich betreue, lieber einen Dolmetscher mitnehme. Übersetzer-Apps reichen nicht aus. Gern erinnere ich mich an eine Übersetzung aus dem Arabischen (?), die mich fragte, ob ich ein Fenster Wasser hätte.
Inzwischen gibt es in vielen Kliniken entweder Ärzte oder Pflegepersonal, die beispielsweise Arabisch oder Farsi sprechen. Medizinische Wörterbücher ohnehin. Irgendwo sah ich auch mal eine Broschüre mit Bildern, auf denen Gesundheitsprobleme und medizinische Hilfeleistungen mehrsprachig dargestellt wurden.
2.) Ob nun "Südländer" (also aus meiner Sicht alles südlich der Elbe) weinerlicher und jammerlappiger sind als die coolen Nordeuropäer - da habe ich selbst im Norden, Süden, Osten, Westen höchst unterschiedliche Erfahrungen gesammelt. Aus Erfahrung am eigenen Leibe weiss ich jedoch: Am weinerlichsten sind Männer. Die sterben, mich eingeschlossen, mindestens zweimal jährlich an einem grippalen Infekt.
3.) Als meine Tochter Leila 2005/2006 für ein Jahr als Ärztin in einer Klinik in Gaza tätig war, ist sie ziemlich oft mit Muslim-Machos aneinander geraten. Männer, die sich z.B. weigerten, ihr ihre Tasche zu tragen oder ihr einen Kaffee zu bringen, weil dies offenbar gegen ihr religiöses Selbstverständnis verstiess. Ebenso interessant waren die Erfahrungen, die sie mit der Behandlung verletzter Hamas-Kämpfer machte, die sich weigerten, sich von einer Frau behandeln zu lassen, vor allem, wenn sie dafür ihre Hose ausziehen mussten. Die durften sich dann noch ein oder zwei Stündchen länger mit den Granatsplittern im Hintern amüsieren, egal, wie sehr ihre heroischen Kameraden mit der Kala herumfuchtelten. Irgendwann gaben sie dann klein bei. "Learning by bleeding", wie Leila es nannte. Mancher Mann lernt halt erst unter Schmerzen etwas über Gleichberechtigung. Dies gilt übrigens religionsübergreifend.
Als ein junger Hamas-Kämpfer mit einer Hoden-Verletzung sich beklagte, dass er nicht von einer Frau behandelt werden könne und dürfte und seine Mitkämpfer mit vorgehaltener Waffe in der Klinik nach einem männlichen Arzt brüllten, beschied sie ihm trocken: Das nehmen wir sowieso alles ab, und dann bist Du kein Mann mehr. Also gibt es keinen Grund zum 'rumschreien.
Tja, so kann er dahin gehen, der Männlichkeitswahn.
4.) Dass "alles sofort" zu passieren habe, ist nach meinen Erfahrungen nicht von der Religionszugehörigkeit abhängig.
5.) Nur, weil es nach der Willkommenskultur nun eine Abschiebeunkultur gibt, muss man die ja nicht mittragen. Ich pflege da schon Contra zu geben. Ob und in welcher Form man das am Arbeitsplatz tut, gegenüber Kollegen oder Vorgesetzten, ist von der eigenen Zivilcourage und Karriereaussicht abhängig.
6.) Natürlich wird in anderen Kulturen mit Krankheiten anders umgegangen. Wo die medizinische Versorgung meilenweit weg ist und Behandlung nur gegen Bakschisch oder vorgehaltene AK 47 erfolgt, kommt schon gern mal die Familie mit, und sei es auch nur, um den Patienten mit zu versorgen. Weil es in diesen Ländern keine legalen Verhütungsmittel gibt, ist die Kopfzahl der Familie natürlich grösser. Obendrein hat sie mangels sozialer Netze einen höheren Stellenwert, da wird die Oma im Krankenhaus nicht so leicht vergessen.
Dem gestressten Nordeuropäer kann das schon mal passieren:
Frau Kripganz zu Klein Ernas Mamma: „Wieviel Kinder haben Sie eigentlich?“ Frau Pumeier: „Fünf: Heini is Bierkutscher, Frieda geht nach die Fabrik, Maata is in Dienst, und denn Klein Bubi!“ „Aber das sind doch bloß vier!“ „Nee, fünf hab ich doch! Heini [...] Klein Bubi – Ach sooo, Klein Erna! Die ischa seit vier Wochen in Krankenhaus, muscha direkt mal nach kucken!“
Zu "interkultureller Medizin" empfehle ich entweder eine Bildungsreise in solche Weltgegenden oder Gespräche mit Menschen, die im Rahmen von medizinischer Hilfe in solchen Ländern bzw. Regionen waren. Alternativ gespräche mit geflüchteten über die Situation der medizinischen Versorgung in ihren Herkunftsländern.
Hier ein Tipp für die Mittagspause:
http://interkulturell.eu/medizin/