Einschläfern...
22.02.2023 um 16:44
Wir haben in den letzten Monaten zwei Tiere einschläfern lassen müssen, und ich finde, man kann sich nicht genug und früh genug damit auseinandersetzen. Ein paar Gedanken, die mir davor oder auch danach gekommen sind - vielleicht helfen sie jemandem, der vor der gleichen Situation steht.
1) Zur Frage der Verantwortung und wer die Entscheidung treffen soll
Ein Tierarzt hat mir gesagt, wenn man die Entscheidung allein dem Tier überlässt und wartet bis es "signalisiert" dass es nicht mehr leben will, wälzt man seine eigene Verantwortung auf ein viel schwächeres Lebewesen ab, das gar nicht klar kommunizieren kann.
Den Gedanken fand ich interessant, weil ich so noch nie darüber nachgedacht habe. Er meinte, dass Tiere oft tapfer sind und ihr Leid gar nicht voll zeigen. Und man besser objektiv mit einer fachlichen Meinung im Hinterkopf nachdenken sollte, anstatt zu erwarten dass das Tier schon kommuniziert wenn es nicht mehr vertretbar leidet.
2) Gute versus schlechte Momente und die Gewichtung von beidem
Man muss sich vielleicht auch fragen, was man selbst für ein Ziel verfolgt: Will man mit dem Einschläfern so lange wie möglich warten, um noch jeden guten Moment abzupassen, auch wenn man dann vielleicht ein Lebensende hat, bei dem keine guten Momente mehr übrig sind? Die Antwort kann ja sein, aber man sollte das bewusst entscheiden.
Möchte man im Idealfall den letzten guten Tag erwischen, und hoffen dass dann auch ein Tierarzt genau in der richtigen Sekunde zu einem nach Hause kommt, keine anderen Notfälle reinbekommen kann... Dass man selbst Zeit hat, alle Familienmitglieder da sind, nicht nebenan Baulärm ist etc. Das ist sehr unwahrscheinlich, dass alle perfekten Randbedingungen zufällig mit Tag X zusammenfallen, an dem noch ein guter Moment übrig ist, bevor es nur noch schlechte gibt. Vielleicht kommt man zu der Entscheidung, in Kauf zu nehmen dass es noch ein paar Schwanzwedler hätte geben können, dafür aber das Einschläfern so ruhig und kontrolliert und stressarm geschehen konnte wie möglich.
Wenn man diese Entscheidung bewusst so oder so trifft, macht man sich nachher vielleicht nicht ganz so viele Vorwürfe.
3) Worst Case-Szenario
Gibt es eine mögliche Situation, die man auf jeden Fall vermeiden will? Zum Beispiel dass das Tier nachts kollabiert, Angst hat und man ihm nicht helfen kann, weil die nächste Tierklinik eine halbe Stunde weg ist, und dann vielleicht auch ein Tierarzt reingerufen werden muss? Komme ich damit klar wenn das Tier unbehandelt sterben muss, oder sogar im Auto auf der Fahrt in die Tierklinik - wenn man selbst am Steuer sitzt und nicht bei ihm ist in den letzten Momenten? Nicht jeder natürliche Tod ist sanft, das kann auch richtig schlimm werden.
4) Sterbebegleitung
Was ich vorher nicht wusste ist, dass es inzwischen auch Anbieter für Sterbebegleitung gibt, als Alternative zum Einschläfern. Ob das in Frage kommt oder nicht, muss man selbst entscheiden, ich finde es nur schade wenn man es später erfährt und sich dann Gedanken macht ob das besser gewesen wäre.
5) Einschläfern selbst
Ich hatte unseren TA gebeten, noch vor der Narkose per Muskelspritze eine orale Sedierung zu verabreichen. Quasi Ruhigstellung im Voraus durch Beigabe im Futter, dann Narkose/Spritze, dann Einschläfern. Er meinte das sei nicht notwendig, es sei nur ein Pieks.
Die Narkose war aber dann doch eine größere Spritze als beim Impfen, definitiv schmerzhafter als eine Impfung. Da die Situation akut war und der TA ansonsten erst wieder in ein paar Tagen Zeit gehabt hätte, nach Hause zu kommen, habe ich nicht mehr eingegriffen. Aber im Nachhinein würde ich in der Zukunft immer darauf bestehen, dass schon der Pieks abgemildert werden sollte, indem vorher oral ein starkes Beruhigungsmittel verabreicht wird.
Das geht natürlich nur, wenn die Diagnose schon absolut klar ist, und die eigentliche Entscheidung - da der TA den Zustand eines vorab bereits seit einer Stunde oral sedierten Tieres nicht mehr einschätzen kann, sollte es darum gehen überhaupt erst zu entscheiden ob man einschläfern muss.
6) Fragen an den TA
Ich würde immer dazu raten, den TA ALLES zu fragen was einen in den Sinn kommt, vorher eine Liste zu machen. Das vermeidet, dass man etwas vergisst und sich dann nachher aufhängt dass man etwas vergessen hat.
7) Zweite Meinungen durch TA mit mehr Zeit
Ich habe mir TA-Angebote gesucht, wo ich die bereits erstellte Diagnose und die Prognose nochmal in Ruhe durchsprechen konnte, weil der eigentliche TA zwar gut ist, aber immer im Stress, und ich so eine schwerwiegende Entscheidung lieber mit mehr als weniger Tierärzten bereden will, und zwar in Ruhe.
Daher ist es gut, früh genug Kontakt zu einer weiteren Praxis zu haben. Auch für den Fall, dass die eigene Praxis mal geschlossen ist, der Haus-TA krank ist, oder im Urlaub - whatever.
8) Recherche
Manchmal denkt man, dass man genug medizinisches Wissen hat. Ich zum Beispiel dachte, dass man Schmerzen immer erträglich abmildern kann, wenn man nur Schmerzmittel hoch genug dosiert. Dass mein Hund trotzdem noch welche hatte, habe ich zwar gemerkt, aber es war überraschend und nicht einkalkuliert. Und ich habe mich dann sehr geärgert dass ich überhaupt von vornherein dachte, man könne sämtlichen Schmerz betäuben. Denn ich habe das einfach gedacht, ich habe es nie hinterfragt oder medizinisch abklären lassen. Ich hatte einfach eine falsche Einschätzung und fehlendes Fachwissen. Darunter hat dann mein Tier leiden müssen.
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Das nur ein paar Dinge, die ich als Rat mit auf den Weg geben würde. Wichtig denke ich ist auch die individuelle Einschätzung der Lebensqualität. Die kursierenden Listen dafür finde ich seltsam. Die würden ein Tier, das permanent starke Schmerzen hat, aber noch trinkt und frisst, als lebenswert einstufen. Dabei kann übermäßiges Trinken und Fressen Übersprungverhalten sein, oder ein eigenes Symptom. Ich glaube, jeder Tierhalter weiß, was für das Tier das Leben ausgemacht hat.
Und vor allem denke ich, man sollte nie, niemals jemandem im Nachhinein Vorwürfe machen. Jeder Tierhalter macht sich die sowieso schon genug, und es hilft absolut nichts, dann noch verunsichert zu werden.
Deswegen ist, finde ich, im Nachhinein die einzige Aussage, die kein unnötiges Leid erzeugt: "Ich bin sicher dass Du es genau richtig gemacht hast".