Noch einmal möchte ich auf deinen Beitrag eingehen
@dystron, den ich mehr als eine spontane Geste der Solidarität lese als eine überlegte Reaktion. Das wäre menschlich nobel, nur eignen sich manche Formulierungen darin zum Widerspruch.
dystron schrieb:Es ist einfach unheilbar schrecklich, wie sehr dieses bigott-verlogene Unwesen der (...) unaufrichtigen Berichterstattung zum Zwecke der Beschädigung um sich gegriffen hat. Ein destruktiver Kult.
Dieser Beitrag ist Bezug auf die oben angeführte Formel der "unaufrichtigen Berichterstattung zum Zwecke der Beschädigung".
Offensichtlich setzte Thilo Mischke als Gonzo-Journalist die gleichen tools ein, etwas unaufrichtig, etwas Bericht. Offensichtlich betrieb der neue Moderator von "ttt" ebenso diesen 'destruktiven Kult', wie du es formulierst.
Nochmal dazu aus dem hervorragenden Artikel von Simon Sahner: Fiktionalität und Faktualität wurden von Mischke gemixt, um zu provozieren. Mischke nutzt diesen Mix als Versteck,
aufrichtige (Reise-)Berichterstattung geht anders.
Die Verteidigung, dass ein Text fiktional sei und deswegen nicht für seine wie auch immer kritikwürdigen Aussagen kritisiert werden könne, ist inzwischen ein peinliches Klischee dieser Art von Debatten. Das Buch von Mischke behauptet an keiner Stelle, ein Roman zu sein, je nach Auflage prangt ein Foto des Autors auf dem Cover und das sprechende Ich im Text heißt Thilo Mischke. Der Titel erschien zudem im riva-Verlag, ein Verlag, der normalerweise keine Romane oder fiktionalen Texte im Programm hat. In einem Video-Beitrag von Focus wird der Autor zudem damit zitiert, das Beschriebene sei zu “95 Prozent wahr”. Natürlich ist nicht davon auszugehen, dass jede Szene, die im Buch beschrieben ist, genau so stattgefunden hat. Das spielt aber für die hier relevante Bewertung des Textes im Kontext von Fiktionalität und Faktualität nur eine untergeordnete Rolle. Auch faktuale Texte können unter bestimmten Umständen erfundene Szenen aufweisen. Entscheidend ist hier die Frage, welche Signale ein Text und sein*e Verfasser*in aussenden und was sie damit erreichen wollen.
Der Mix aus Schein und Sein verschleiert die persönliche Sexualität des Autors, aber nicht seine Botschaft von 'so ticken 80 Frauen in der Welt sexuell'. Nothing real, was Leser:innen mitnehmen können, keine realen Männerphantasien oder Männersexpraktiken, kein update eines Shere-Hite Reports. Aber auch kein Männer-Sex-Roman. Unbedarfte Leser:innen, durch das Internet eh verwirrt oder desensibilisiert, was real und was irreal ist, woran dies erkennbar ist, können es wohl gerne so auffassen wie es ihnen gefällt und auffällt. Wer nach frauenverachtendem content giert, wird befriedigt. Und nicht weniger fatal, Mädchen, junge Frauen, ohne Textanalyse-Kompetenz, könnten denken, ach so sind Frauen heute, das lassen sie mit sich machen, das ist heute sexuell cool. *Ironie ein* Match. *Ironie aus*
Der Text zieht seine Legitimation daraus, dass der Verfasser Thilo Mischke als draufgängerischer Womanizer und tollkühner Sex-Reporter auftritt. Würde man davon ausgehen, dass all das Fiktion ist und nichts mit der Person Thilo Mischke zu tun hat, und das auch im Paratext so kommunizieren, würde der Text seine stärksten Verkaufsargumente verlieren: Authentizität und Provokation. Dass der Autor nicht jedes Detail so erlebt hat und übertreibt, ist Teil der Vereinbarung, die der Text mit seinem Publikum eingeht. Die Leser*innen wissen nicht genau, was sich wirklich zugetragen hat. Der Reiz des Buches ist genau diese Spannung, als Leser*in nie genau zu wissen, ob die krassen Beschreibungen so geschehen oder nur erfunden sind. Das Buch ist damit ein hybrider Text, der faktual und authentisch auftritt, Vermutungen über erfundene Anteile zulässt, ohne sie zu verifizieren und von dieser Spannung lebt. Ein fiktionaler Text ist es nicht, ein Roman schon gar nicht.
Mischkes Priorität war offensichtlich: Beschädigung von Frauen vor Quellenstudium.
Die Behauptung der ttt-Redaktion, Mischke habe “seine Kompetenz als Journalist und Reporter vielfach unter Beweis gestellt”, ist zumindest diskutabel. Zu journalistischer Kompetenz gehört auch der verantwortungsvolle Umgang mit komplexen Themen und das Prüfen von Quellen und Thesen (“Frauen wurden hart wegvergewaltigt in der Urmenschenzeit und überlebt haben die, die den Gendefekt hatten ‘Meine Vagina wird feucht’”).
Quelle, für alle Zitate in diesem Beitrag:
https://54books.de/warum-ausgerechnet-er-thilo-mischke-und-titel-thesen-temperamente/Ist Gonzo-Journalismus eigentlich nur zufällig dem Hardcore Porno-Genre der 90er entlehnt?