inspiratio schrieb:Die Welt hat bald keine Geheimnisse mehr. Uns beeindruckt nichts mehr wirklich. Überrascht nichts. Alles haben wir irgendwo schon gesehen. Alles ist bekannt, müde lächelnd winken wir ab.
Tja. Diese All-Gegenwart von Allem ist der Tod jeder Spannung.
Aber ihr wollt es so. Man will ja "up-to-date" sein.
Es wurde ja stets, im Zusammenhang mit 2012, von einer Zeitenwende gesprochen. Die ist jetzt tatsächlich da, meint aber nicht, dass die ganze Menschheit erwach(s)en wird, sondern vielmehr, dass ein Kulminationspunkt erreicht ist.
Wenn wir alles historisch betrachten, hatten wir seither jahrelang Fortschritt, immer nur Fortschritt. Sei es technisch, ökonomisch oder sozial. Und dieser Fortschritt kam in vielen Wellen: die Rüstungswelle, die verheerende Weltkriege ausgelöst hat, die aber durchaus eine gewisse Notwendigkeit hatten, damit sich Gesellschaften danach neu erfinden können und die Lehre aus dem Schrecken ziehen. Wir wissen nun also alle historisch, wie furchtbar der Krieg ist, und die ganzen Verbrechen, die wir angestellt haben. Ohne diese Kriege hätten wir dieses Wissen nicht und das Böse im Menschen könnte verharmlost werden. Insofern ist es nur eine Frage der Zeit, dass der Mensch zur Bestie wird.
Dann hatten wir wirtschaftlichen Fortschritt der mit sozialem einherging, die soziale Hängematte sozusagen, und wir hatten den technischen Fortschritt in mehreren Wellen: Industrialisierung, Unterhaltungselektronik und schließlich Kommunikationstechnologie.
Dieser Fortschritt veränderte unsere Lebensweise rasant. Bald dominierte das Fernsehen den Alltag und war nicht mehr wegzudenken, und alle machten es sich zuhause bequem. Dann kam das Internet auf, schließlich mit Facebook und die ganzen Handys, Smartphones, die auch immer mehr können. Aber das wesentliche sind dass wir alle Informationen stets abrufen können. Während das früher undenkbar war, ist es jetzt nicht mehr wegzudenken und wird als selbstverständlich gehandhabt, was übrigens auch für unseren Wohlstand und die soziale Absicherung zutrifft.
Das sind so im Wesentlichen die Entwicklungen, die es bis zum Jahr 2012 so gab. Damit einher ging natürlich auch, dass man Gott nicht mehr brauchte. Vor diesem ganzen Fortschritt lebten die Menschen noch sehr einfach und fragten nach Gott und Religionen. Heute ist selbst das, für die, die das noch ganz individuell brauchen, zum Konsumartikel geworden. Hier wären wir beim nächsten Punkt: der Kapitalismuskritik.
Der Neoliberalismus, sagt man, sei eine Ideologie gewesen, von der nur noch ein Thema übrigblieb: Steuersenkungen. Tatsächlich gab es noch vor dem Jahr 2012 eine Entfesselung neoliberaler Denkweisen, inzwischen hat ein Mentalitätswandel stattgefunden und fast pünktlich zum Jahr 2012 gilt der Neoliberalismus nach der ausgebrochenen Finanzkrise als gescheitert.
Wenn man sich nun aber so die Ideen der österreichischen Schule oder von Ron Paul genauer anschaut, dann darf man feststellen, dass diese tatsächlich nicht "neoliberal" oder kapitalistisch in dem Sinne sind, wie das manche Linke verstehen wollen, sondern es verbirgt sich eher Kapitalismuskritik dahinter. Sie sind gegen mächtige Interessengruppen in der Wirtschaft, also Lobbyismus der Banken und ihren Einfluss auf den Staat und für Steuersenkungen, damit sich der einfache Bürger auch mal mehr leisten kann.
Wenn man sich so das Konsumverhalten anschaut vor allem in Deutschland kann man feststellen: die Leute wollen sich was kaufen, haben aber oft nicht genug Geld dazu. Daran mangelt es.
Diese Zeitenwende drückt sich also in folgenden Dingen aus: der rasante technologische Fortschritt wird zunehmend hinterfragt und geht nun allmählich zu Ende. Auch gibt es Wachstumskritik, weil immer weiteres, vor allem nur quantitatives Wachstum als sinnlos betrachtet wird. Es wird gejammert, dass früher alles besser war, und das ohne Internet, Smartphones usw. Natürlich gibt es, neben der Wachstumskritik, auch tatsächlich eine mehr und mehr stagnierende Wirtschaft, die Finanzkrise ist der deutlichste Ausdruck dieser Probleme. Und: Parteien wie die FDP kommen kaum mehr an, während vor allem in den USA Ron Paul immer mehr Zuspruch erfährt und auch mit ein Grund sein dürfte, warum sie mit ihrem jahrelangen Wahnsinn nicht so weiter machen können und das mittlerweile auch in der Republikanischen Partei angekommen sein dürfte, die der größte Verfechter dieses politischen Irrsinns war.
Ein wichtiges Datum, das diese Zeitenwende ankündigte, war auch 1989, der Zerfall des Ostblocks, das Ende des kalten Krieges, und damit das Ende der ständigen Bedrohung für die Menschheit.
Der 11.September, Fukushima, die Finanzkrise, die Eurokrise und die rasanten technischen Entwicklungen gehören sicher auch dazu. Nun ist es aber so, dass 2012 sozusagen diese Zeitenwende angekündigt wurde, und damit ein Kulminationspunkt erreicht ist, und damit diese Entwicklungen so nicht weiterlaufen können.
Deshalb sehen wir jetzt nur noch überall Stagnation: politisch, wirtschaftlich, aber auch spirituell haben sich die Menschen seither zu wenig gefragt, wer sie sind und was der Sinn ihres Lebens ist. Der Tod darf in einer solchen sich wandelnden und als selbstverständlich hingenommenen Wohlstandsgesellschaft tatsächlich kein Thema sein und wird unter den Teppich gekehrt. Mit Büchern die von Nahtoderfahrungen berichten versucht man sich Trost zu verschaffen. Das kann es aber eigentlich nicht sein, aber man will sich nur notgedrungen damit beschäftigen.
Es gibt vor allem Armut bei zwei Sachen: einerseits die deutlich geringer verbreitete Religiosität. Kaum jemand würde sich heute mehr echter Christ nennen, sondern es sind meistens nur noch Schönwetterchristen. Das andere ist die spirituelle Suche. Zwar ist das Esoterik-Angebot mittlerweile komplex und unüberschaubar, aber das kann auch keine wirklichen Antworten liefern. Das kann höchstens als Hilfe fürs Leben funktionieren, wenn man dabei nicht überschnappt, kann aber keine befriedigenden Antworten auf die Frage des Todes geben, sondern gründet sich hier nur auf Spekulation.
Sicher öffnet diese sogenannte Zeitenwende aufgrund der Stagnation und Hinterfragung des Fortschritts jetzt ein Fenster zum spirituellen Fortschritt. Die 2012 Fanatiker versteigerten sich jedoch in Utopien, die ohne jede Grundlage sind. Denn das Wissen um den eigenen Tod schränkt doch die meisten ein in ihrem Vorhaben, totale Gelassenheit, Ruhe, Freiheit von Ängsten und totale Kontrolle über sich selbst und das Leben zu gewinnen. Denn nicht alle Menschen wollen glücklich sein. Denn jedes Glück braucht auch einen Ausgleich, das Wissen darum, dass jedes Schöne vergänglich ist, ist da und deshalb brauchen viele die Sinnleere. Sie brauchen irgendetwas, das sie am Laufen hält, beschäftigt, um von der Endgültigkeit des eigenen Todes abgelenkt zu werden. Der Tod ist etwas, das in der Natur nicht vorkommt, also das Wissen um diesen. Deshalb ist die Natur natürlich. Der Mensch ist leider gezwungen, um sein eigenes Ende zu wissen. Deshalb ist der Mensch nicht natürlich, sondern erschafft sich die Vorstellung der Zeit und womit der diese ausfüllen soll. Und deshalb braucht er Religionen und wie in der heutigen Zeit eben Ersatzreligionen.
Damit haben wir also eine Situation, wo unbegrenzter technischer und wirtschaftlicher Fortschritt, sowie unendliche Möglichkeiten des individuellen Lebens als zunehmend sinnlos empfunden werden, wegen der Vorstellung der eigenen Vergänglichkeit, aber auch, weil schon alles ausprobiert wurde und nichts mehr wirklich neu ist.
Das muss, wie die Esoterik so schön verlautbaren lässt, eigentlich zu einem sogenannten "inneren Fortschritt" führen, der spirituell ist. Das Problem hierbei ist aber der eigene Tod, weshalb es gar nicht möglich ist ein perfektes "Außen" und "Innen" gleichermaßen zu verwirklichen. In Indien mag das besser funktionieren, die kennen oder kannten aber auch keine Leistungsgesellschaft. Das ist sowas dann natürlich, weil das Leben gleichförmiger und ruhiger verläuft. Das hat dann eben weniger mit künstlicher Esoterik zu tun, wie sie bei uns angeboten wird.
Wenn also der Fortschritt in anderen Bereichen nun stehenbleibt und der spirituelle Fortschritt eine Illusion ist, der nicht kompatibel mit der westlichen Gesellschaft ist, und nicht passend wäre, weil er künstlich sein müsste, dann ist dieser Kulminationspunkt eher als historischer Umkehrpunkt zu begreifen, dass also nun der wirtschaftliche, zivilisatorische und kulturelle Höhepunkt erreicht ist, und es von nun an abwärts geht. Dann geht der jetzt beobachtete Stillstand dem Zusammenbruch entgegen, der dann womöglich sogar von einer breiten Masse herbeigesehnt wird, weil der Weltuntergang auch als sinnvoll angesehen werden könnte, während ein Überleben oder weiteres Dahindümpeln dann als sinnlos bezeichnet wird.