Silentobserver schrieb:Natürlich kann man Sörings Interview bei Lanz verschiedenen auslegen. Aber in Erinnerung kommt auch N. Hellers Artikel im New Yorker, mit dem oft zitierten Satz" Sörings approved library of information" und die damit verknüpfte Kritik.
Es wäre dumm, naiv und unkritisch, Söring jedes Wort zu glauben. Es ist "seine" Geschichte. Es ist nicht "die" Geschichte. Denn dazu gehören genauso die Geschichte Elizabeths Haysoms und die Ermittlungsergebnisse.
Elizabeth fährt ja auch keine schlechte Strategie, sie geht noch viel konsequenter jedem Widerspruch aus dem Weg. Es gibt nur die punktuellen Äußerungen, 1987, 1990 oder (indirekt) 2016. Ich halte sie in Sachen Manipulation und Selbstdarstellung noch für viel effizienter. Sie lässt keine Schwachstellen zu.
Es wäre auch dumm, naiv und unkritisch, den gerichtlichen Entscheidungen "die" Geschichte zu überantworten. "Historische Wahrheit ungleich forensische Wahrheit". Was für eine Verurteilung reicht, muss nicht den Tatsachen entsprechen. Für Juristen ist das übrigens ein ganz normaler Zustand, denn sie wissen um die Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit.
Aus Sicht des US-Rechts war es deshalb durchaus logisch, Beide zu verurteilen, da beide in die Tat involviert waren und die Tat ohne das Zusammenwirken Beider nicht vorstellbar war. Weil Sörings Geständnis und ein paar wenig belastbare aber existente Spuren am Tatort vorhanden waren, rechnete man ihm die unmittelbare Tatausführung zu, während Elizabeth als treibende Kraft betrachtet wurde. Nachdem Elizabeth bereits verurteilt worden war, hatte Söring einfach schlechte Karten, von vorneherein. Sein Versuch, Elizabeth zur Alleintäterin zu machen und sich zu exkulpieren, der war unter den gegebenen Rahmenbedingungen (Jury) zum Scheitern verurteilt. Weil man hat die Beiden schon "irgendwie" verurteilt, ohne ein wirklich klares Bild zu haben, wer welchen Tatbeitrag beigesteuert hat.
orenoa schrieb:Das hat für mich nichts mit Emotionen zu tun.
Du hast ein falsches Bild von Intelligenz. Insbesondere von Hochintelligenz. Es ist ein Irrtum, solche Menschen würden besonders berechnend, rational, kühl agieren. Sie können vielleicht leichter Sprachen lernen oder Mathe begreifen, können mehr "Multitasking" oder Texte rezitieren. Aber sie haben eben auch Emotionen. Die werden durch Intelligenz nicht abgeschaltet oder leichter verarbeitet. Im Gegenteil. Bedürfnisse, Impulse, Triebe, Emotionen bestimmen unser Handeln immer noch viel intensiver als reichliche Überlegung. Der Mensch handelt eben nur begrenzt rational. Und der Intelligente tut das in der Summe nicht mehr als der weniger Intelligente.
Stattdessen kann er sich und seine Fähigkeiten grob über- oder unterschätzen, seiner Hybris oder seinen Minderwertigkeitsgefühlen auf dem Leim gehen und die eigenen Fähigkeiten völlig falsch einschätzen. Vor selektiver Wahrnehmung ist er nicht gefeit. Komplexe soziale oder emotionale Situationen nur eindimensional verarbeiten wie jeder andere auch. Auch die Leistung muss nicht immer außergewöhnlich sein, z.B. wenn der Antrieb fehlt. Wenn man dann noch bedenkt, in welcher Nähe Hochbegabungen zur Hypersensitivität und Formen des Autismus haben, dann wird klar, hier wird eben nicht immer rational gehandelt.