@Sven1213 Sven1213 schrieb:Aber dann 2 oder 3 mal dieses zu sagen ohne das etwas geschieht, wird Frauke nicht beruhigt haben. Was mich irritiert ist, dass es immer einen zeitlichen Zusatz gibt. Also sie komme heute nach Hause und (im Telefonat am Freitag) es nicht so spät werden wird und da war es schon nach 23 Uhr. Am Samstag wieder.
Nach meiner Auffassung gibt es bei diesen Telefonaten einen Bruch.
1. Anruf:
Donnerstag, 22. Juni 2006, 22.25 Uhr, Gedächtnisprotokoll von Mitbewohner Chris: "Hallo Christos, ich wollte sagen, dass es mir gut geht und dass ich bald nach Hause komme. Sage Mama und Papa und den anderen Bescheid."
Ich bin mir sicher, dass der Täter weder FL noch Chris gut genug kannte, um die Bedeutung von Chris' Anrede mit "Christos" erkennen zu können. (Andernfalls wäre er sicher von der Polizei eingehend überprüft worden)
Ansonsten ist das,
was FL sagte, nach meiner Ansicht durchaus auf Beruhigung von Polizei und Angehörigen angelegt.
Wie sie es sagte (benommen etc.), natürlich nicht - aber das lag sicher nicht in der Macht des Täters. Von einem Entführungsopfer kann man keine frische und fröhliche Stimme erwarten, und ich halte es deshalb für konsequent, dass dieses Gespräch sofort nach den 2 Sätzen beendet wurde und Chris keine Chance hatte, FL irgendeine Frage zu stellen.
Aber nach diesem Telefonat beginnt nach meiner Auffassung ein "Strategiewechsel" des Täters, der jedoch am Freitag noch nicht sichtbar wurde.
Auf der einen Seite gab es aus meiner Sicht am Freitag noch das Bemühen, den Anschein eines freiwilligen Verschwindens zu stärken: durch einen provozierten Rückruf, den FL scheinbar "frei" entgegen nehmen konnte.
Auf der anderen Seite begannen hier bereits die Ankündigungen, FL werde jeweils heute nach Hause kommen. Diese auch am Samstag und am Sonntag wiederholten Rückkehrankündigungen waren zunehmend weniger beruhigend, da sie alle enttäuscht wurden.
Am Freitagabend war das jedoch noch nicht absehbar. FL klang an diesem Abend normal, was nach meiner Meinung dafür spricht, dass sie selbst an ihre Freilassung innerhalb weniger Stunden glaubte. Auch am Samstag werden FLs Angehörige und vermutlich auch FL noch gehofft haben, und selbst am Sonntag hatte man diese Hoffnung nach meiner Ansicht noch nicht aufgegeben.
Was blieb FL und ihren Angehörigen denn anderes übrig, als sich an diese Hoffnung zu klammern, auch wenn sie durch die vorangegangenen Enttäuschungen schwächer wurde?
Und hier sehe ich das Motiv für die Anrufe ab Freitag. Mit diesen Hoffnungen und ihren ständigen Enttäuschungen begann nach meiner Auffassung "ein Katz- und Mausspiel".
Ein anderes Motiv kann ich beim besten Willen nicht erkennen, aber irgendeinen Sinn müssen diese Anrufe nun mal gehabt haben.
Hätte der Täter die Absicht gehabt, Polizei und Angehörige hinzuhalten, wäre z. B. eine Rückkehrankündigung in 5 Tagen sehr viel effektiver gewesen als diese Ankündigung an drei aufeinanderfolgenden Tagen, noch "heute" zurückzukehren. Ein "praktischer" Nutzen für den Täter ist hier für mich in keiner Weise erkennbar.
Aber bei derartigen Verbrechen geht es, soweit ich weiß, sehr oft um das
Motiv der Macht. Die völlige Ohnmacht des Opfers ermöglicht dem Täter das Erleben von "Allmacht".
Und einem solchen Motiv würden die späteren Telefonate durchaus entsprechen. Durch die Hoffnungen und Enttäuschungen der Rückkehrankündigungen wurde FL in brutaler Intensität ihr Ausgeliefertsein an den Täter vergegenwärtigt: Alles hing allein von ihm ab, ihre Freiheit oder Gefangenschaft, ihr Weiterleben oder ihr Tod.
Die Menschen, die sie liebte, waren zur Hilflosigkeit verurteilt. Es zählte nur noch der Täter: Er war alles und sie, wenn er es wollte, ein Nichts.
Es gab keine Lösegeldforderung, nichts, was dem Täter einen Vorteil gebracht hätte, den man noch als halbwegs "normal" nachvollziehen könnte. Dem Täter ging es offensichtlich "nur" darum,
FL in seiner Gewalt zu haben. Was, wenn nicht das Bedürfnis nach Macht über sie, sollte das Motiv dieses Verbrechens gewesen sein?