@LissyB LissyB schrieb:Ja, aber die Einschätzung der Pol, dass die 1te SMS freiwillig war, die kann man getrost vernachlässigen. Denn da irrt sich die Pol ja deiner Meinung nach. Naja, eine freiwillige SMS würde ja nicht zu deiner Theorie passen - also hat sich die Pol einfach geirrt. Was nicht passt, wird passend gemacht.
Bei dieser Einschätzung handelt es um die Fallanalyse des LKA, die
zu Beginn der Ermittlungen durchgeführt wurde. Eine solche Fallanalyse ist - methodisch bedingt - sehr fehleranfällig. Die Fallanalytiker müssen anhand dürftiger Fakten (im Fall FLs fehlte auch ein Tatort, der meistens die größten Rückschlüsse ermöglicht) den Tathergang, das Motiv und ein Täterprofil konstruieren.
Sie müssen dabei also weit über die Fakten hinausgehen und können dabei nur ein Bild entwerfen, dass nach ihrer Ansicht die
wahrscheinlichste Möglichkeit darstellt. Es spricht daher nicht einfach für die Inkompetenz der jeweiligen Ermittler, wenn eine vom BKA herausgegebene Studie (J. Hoffmann/C. Musolff: Fallanalyse und Täterprofil, Wiesbaden 2000) feststellt, dass knapp über ein Fünftel aller seriös durchgeführten Fallanalysen falsch sind. Hier im Threat wurde übrigens noch auf andere Untersuchungen verwiesen, die sich mit der grundsätzlichen Problematik von Fallanalysen beschäftigen, z. B. von Rick_Blaine:
Rick_Blaine schrieb am 08.10.2018:Quellen: http://eknygos.lsmuni.lt/springer/605/383-392.pdfhttps://www.researchgate.net/publication/304347485_Psychological_profiling_Does_it_actually_workhttps://leb.fbi.gov/articles/featured-articles/criminal-investigative-analysis-measuring-success-part-three-of-fourhttps://www.crimeandjustice.org.uk/publications/cjm/article/usefulness-criminal-profiling
Und der Fall FL ist noch dazu besonders kompliziert. Aber die Kripo brauchte einen Ansatzpunkt für ihre Ermittlungen, und die Vermutung, dass der Täter aus dem engeren Umfeld FLs entstammte, entsprach der statistischen Wahrscheinlichkeit. (Eine freiwillig versandte 1. SMS setzte ja einen FL näherstehenden Täter voraus, da ansonsten nicht von einem freiwilligen Verlassen PBs auszugehen war.) Die
damalige Entscheidung, von einem FL vertrauten Täter auszugehen, finde ich übrigens sehr plausibel und nachvollziehbar.
Aber nachdem die sehr aufwendigen Ermittlungen, die auf diesem Ergebnis der Fallanalyse basierten, ohne jedes Ergebnis blieben, halte ich die Schlussfolgerung, dass die Fallanalyse leider falsch war, für sachlich durchaus naheliegend.
LissyB schrieb:Da du ja denkst, der Täter hätte Informationen von wem auch immer bezogen: Es hätte jederzeit der Fall eintreten können, dass von der Familie, Ch oder der Pol etwas unternommen wird, womit der Täter gar nicht hätte rechnen können. Etwas, worüber er nichts erfahren hat.
Wären die Ermittlungen nicht beendet worden, hätte der Täter nichts aus FLs Freundeskreis erfahren können, was ihm die erforderliche Gewissheit verschafft hätte. Er hätte Details gebraucht, und ein solches Ausfragen hätte (zumindest im Nachhinein) schnell verdächtig wirken können, aber vor allem hätte er nie wissen können, wie zuverlässig die Informationen (z. B. ob sie vollständig oder überhaupt noch aktuell) sind. In diesem Fall hättest Du recht.
Aber nach Einstellung der Ermittlungen war nach meiner Ansicht die Lage eine völlig andere. Dem Täter hätte diese sehr schlichte Information, dass er von der Polizei nichts mehr zu befürchten hatte, völlig genügt. Aber ein einmaliger Kontakt zu Leuten aus FLs Freundeskreis während der zweiten Hälfte ihrer Entführung hätte nicht ausgereicht, denn die Polizei hätte ihre Entscheidung ja jederzeit revidieren können. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Täter an mehreren Tagen Gelegenheit zu einem Kontakt mit einer Person oder mehreren Personen aus FLs Freundeskreis hatte.
FLs Freunde wurden in dieser Zeit sicher auch von Fernerstehenden oft gefragt, ob es etwas Neues von FL gäbe. Warum hätten sie das als merkwürdig empfinden sollen?
Es regte FLs Freunde auf, dass die Polizei einfach nichts mehr unternahm, und ich gehe davon aus, dass man von dieser Verärgerung auch schnell (selbst bei einem eher oberflächlichen Kontakt) erfahren konnte.
Versteh mich bitte nicht falsch: Ich glaube überhaupt nicht, dass der Täter diese Telefonate und ihre Entwicklung von Anfang an geplant hatte, sondern nur auf für ihn günstige Entwicklungen reagierte. Und ich vermute, dass ihn die Einstellung der Ermittlungen eher überrascht hat.
Für mich sprechen die Telefonate für einen Bezug des Täters zu FLs Freundeskreis. Und wenn er solche Kontaktmöglichkeiten hatte - warum sollte er sie nicht während der Entführung nutzen, um die Lage zu sondieren, natürlich möglichst unauffällig?
Es ist für mich einfach unvorstellbar, dass ein Täter, der trotz intensiver Ermittlungen bis heute unentdeckt bleiben konnte, ein derartig hohes Risiko mit seinen Fahrten zu den Kontaktorten eingegangen sein sollte. Die Wahl der Orte, von denen telefoniert wurde, zeigt ein so klares und so simpel eingegrenztes Muster, dass ich sie einem Täter, der nichts von den eingestellten Ermittlungen gewusst hätte, unmöglich zutrauen kann. Er hätte davon ausgehen müssen, zumindest beim letzten Telefonat mit großer Wahrscheinlichkeit gefasst zu werden. Das passt für mich absolut nicht zu einem Täter, der den Ermittlungen und der öffentlichen Aufmerksamkeit bisher entgehen konnte.
Auf Deine Bemerkungen zu den Telefongesprächen gehe ich morgen ein - jetzt ist es zu spät.