Lento schrieb:Das würde doch die Möglcihkeit der Aufklärung einer Straftat in manchen Fällen komplett verhindern. Eigentlich muss die StA/das Gericht dann auch genauso die Hinterbleibenen befragen und eine Klärung wäre dann u.U. nicht mehr möglcih.
Eine Klärung liegt jedoch im allgemeinen öffentlichen Interesse. Eine Strafanzeige bzgl. der Verletzung des Persönlichkeitsrechts in einem solchen Zusammenhang würde von vornherein nicht im öffentlichen Interesse sein. Ich denke @Rick_Blaine hat da bzgl. dieser Konkurrenz der Rechtsgüter doch schon genug gesagt.
Richtig. So traurig das auch sein mag, das Persönlichkeitsrecht des Opfers muss in einem Strafverfahren oft hinter dem Strafanspruch des Staates, und dann natürlich auch hinter dem Recht auf eine effektive Verteidigung des Angeklagten zurücktreten. Man versucht das zwar möglichst behutsam zu machen und einzuschränken, z.B. in manchen besonderen Verfahren die Öffentlichkeit auszuschliessen, aber man kann eigentliche Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht manchmal nicht verhindern.
Jede Obduktion eines Opfers kann so ein Eingriff sein. Es gibt durchaus z.B. Angehörige, denen der Gedanke, ihr geliebtes Kind etc. liegt nun auf einem kalten Seziertisch, vor den Augen Fremder, die auch noch jedes Detail fotografieren, und dann diese Fotos wieder an unzählige Fremde, Polizisten, Staatsanwälte usw. weitergeben ein Greuel. Fremde erfahren Dinge, die peinlich sein können, z.B. Drogen im Körper des Opfers, Hinweise auf sexuelle Aktivität und so weiter und so weiter. Teile dieser Erkenntnisse kommen dann womöglich in einer Verhandlung auch noch an die allgemeine Öffentlichkeit und werden gar in einem Internetforum zerpflückt. Das kann Angehörige, oder lebende Opfer sehr stark belasten. Denken wir hier nur mal an den angeblichen Pornokonsum unseres Angeklagten. Und doch, die Rechtsordnung erlaubt es nicht nur, sie gebietet es oft sogar.
Die Frage ist dann eher, wie weit darf so ein Eingriff gehen. Der Gesetzgeber sagt, nur so weit wie unbedingt notwendig. In die Zeitung dürfen Obduktionsfotos normalerweise nicht gelangen, obwohl die Presse auch immer gerne ein besonderes "Recht der Öffentlichkeit auf Information" geltend macht. Auch hier muss immer wieder im Einzelfall abgewogen werden.
Hier wird nun in der Diskussion angesprochen, man hätte Einzelheiten aus den vorangegangenen Gutachten oder Dingen wie dem Obduktionsbericht nicht an den Hamburger Gutachter weitergeben dürfen. Nun, so einfach ist die Sache nun mal nicht: wenn die Verteidigung der Meinung ist, das Gutachten ist unbedingt für eine effektive Verteidigung notwendig, dann kollidieren hier Rechte. Dann muss man sich den Einzelfall anschauen: an wen wurde was weitergegeben und zu welchem Zweck.
Und da steht eben ein Rechtsmediziner nicht auf der gleichen Stufe wie ein neugieriger Journalist.
Nehmen wir mal an, der Rechtsmediziner sagt: "Ich verstehe die Fragestellung des gewünschten Gutachtens, aber ich kann dazu absolut gar nichts sagen, wenn ich nicht die Grundlagen kenne, z.B. den kompletten Obduktionsbericht. Wenn ich den kenne, dann kann ich aber ihre Fragen beantworten."
In diesem Fall wird eine Weitergabe an den potentiellen Gutachter wohl nicht rechtswidrig sein. Man muss dann natürlich auch schauen, um wen geht es? Ein Feld- Wald- und Wiesenschamane, der sich selbst als Vertreter einer bisher unentdeckten Wissenschaft bezeichnet, wird hier wieder ein anderes standing haben als ein renommierter, ordentlich bestellter und qualifizierter Gutachter.
Und der Empfänger der Informationen steht freilich selbst wieder unter der Pflicht, diese nicht rechtswidrig weiterzugeben. Hat er in der Hinsicht bereits negative Auffälligkeit, kann es sein, dass man sagen wird: "dem nicht, dann können wir es gleich an die Bild senden."
Und man muss die weitergegebenen Informationen natürlich vorsichtig begrenzen, was für den Gutachter nicht relevant ist, braucht er auch nicht erfahren. Und so weiter.
Das hat der Gesetzgeber sogar ganz gut geregelt, und zwar im hier schon einmal zitierten, aber, soweit ich mich erinnere, nicht so ganz verstandenen § 203 StGB.
Die Weitergabe an die Presse, um die es hier auch geht, ist davon ganz scharf erst einmal zu unterscheiden, beide Themen in einen Topf zu werfen, wird der Sache nicht gerecht.
Beim Thema email halte ich mich hier zurück, denn ich weiss einfach nicht die Details, weder was genau veröffentlicht wurde, noch an wen usw. Diese Fragen sind aber zu einer notwendigen Beurteilung möglicher Rechtswidrigkeit sehr wichtig. Nur ein Beispiel: § 353d (3) StGB verbietet die Weitergabe "wesentlicher Teile" eines Schiftstücks etc. Und schon geht es los: was ist "wesentlich?" Das Brandenburgische OLG sagt dazu:
Was wesentlicher Teil eines Schriftstücks ist, lässt sich nur vom konkreten Sachverhalt her beurteilen. Dem Tatrichter verbleibt damit die Aufgabe, den Inhalt des amtlichen Schriftstücks in seinem Kernbestand festzustellen und danach zu beurteilen, ob die teilweise Wiedergabe im Wortlaut, für sich betrachtet aussagekräftig genug ist, um wesentliche Gesichtspunkte des Gesamtinhalts anzusprechen und der Öffentlichkeit verständlich zu unterbreiten. Als unwesentlich im Sinne des § 353d Nr. 3 StGB wird man jedenfalls nur solche Teile eines Schriftstücks annehmen können, die nebensächliche belanglose Fragen oder reine Formalien behandeln (vgl. LK-Vormbaum, StGB, 12. Aufl., § 353d Rdnr. 59).
Quelle: Bbg. OLG (1) 53 Ss 3/16 (18/16)
Im Einzelfall muss das alles nüchtern betrachtet werden. Das kann hier nicht passieren, aber die zuständigen Stellen werden das tun.
Generell gilt es, den Schutzzweck bestimmter Einschränkungen zu beachten, auch wenn Presse und andere immer meinen, ihr Zweck ist wichtiger usw. Dazu hat sich das BVerfG geäussert im Hinblick auf § 353d StGB
1 BvL 1/84 usw.