Ich bin hier ein paar Mal angesprochen worden, doch muss ich sagen, dass ich mich an einem dieser beiden Themen, die ich in diesem Thread hier feststelle, ungern beteiligen will. Ich sehe hier einmal ein generelles Thema, in wieweit man Juristen, Gerichten und Verteidigern überhaupt trauen kann und sollte, wobei die verschiedenen Fraktionen hier sehr kompromisslos jeweils ein nein vertreten. Das erscheint mir komplett lebensfremd.
Weder sind Gerichte, Staatsanwälte und Polizisten grundsätzlich unwillig, entlastende Dinge auch nur zur Kenntnis zu nehmen, noch sind Verteidiger grundsätzlich darauf aus, notfalls mit perfider Unwahrheit, Beweise zurechtzubiegen. Das ist doch vollkommener Blödsinn.
So wundert mich schon manchmal, wie in einigen Threads in diesem Forum, Ermittler und ihre übergeordneten Behörden sowie Gerichte den Nimbus der absoluten Unfehlbarkeit zugesprochen bekommen.
Wissenschaftliche Gutachter machen zwar manchmal den Eindruck, als hätten sie und nur sie alle Weisheit der Welt gepachtet, aber nur in Entenhausen hat Professor Primus von Quack jederzeit einen passenden Doktorhut bereit. Im wahren Leben sollten Richter und Juristen durchaus wissen, dass es erstens immer auf die Fragen ankommt, die man stellt, und zweitens man sehr oft Gutachter findet, die auf die gleiche Frage zwei gegensätzliche Antworten anbieten. So einfach gestrickt ist die Welt nun mal nicht. Das sollten auch wir Aussenstehende immer bedenken.
Und es ist auch so, dass manchmal die Sicht der entscheidenden Gremien, Ermittler, Ankläger und Richter ebenso eingeschränkt ist, wie auf der anderen Seite oft die Sicht von Angeklagten und ihren Unterstützern und Verteidigern. Fälle dazu haben wir genug und wer glaubt, dass jeder Richter ein Salomo ist, der verkennt, dass schon in der Bibel, wo uns Salomo begegnet, er eine Ausnahmeerscheinung unter den Richtern ist.
So. Ich sollte eigentlich gar nicht wiederholen müssen, dass wir hier über Ausschnitte der Gesamtwirklichkeit eines Falles reden. Ein Urteil ist immer ein Resultat einer Gesamtbetrachtung eines Falles, die wir als Aussenstehende nicht nachvollziehen können. Keiner ist bei der Tat dabei gewesen, ausser Opfer und Täter, wenn es einen gibt. Ein Urteil aber ist Resultat einer Hauptverhandlung, bei der Zeugen und Gutachter zumindest beurteilt werden können: in ihrem Auftreten, ihrem Habitus, eben auch ihrer Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Wir hier waren bei der Hauptverhandlung nicht dabei.
Ich bin Angehöriger einer "Zunft," ja, aber ich hoffe, dass alle meine Kollegen sich immer wieder im Klaren sind, dass auch wir nicht alles wissen und nicht alles wissen können. Die Verantwortung, dass wir das Schicksal eines Menschen, in der Regel des Angeklagten, in der Hand haben, sollte uns Demut einflössen.
Die Zeiten, in welchen ein Uniformträger im Zeugenstand mit absoluter Ehrfurcht angesehen wurde und ein Inhaber eines Doktortitels, oder gar einer Habilitation, als mindestens "Halbgott" angesehen wurde, sollten jedenfalls schon seit der Zeit des königlich bayerischen Amtsgerichts vorbei sein. (Diese Fernsehserie kann ich nur jedem empfehlen
:) )
Umgekehrt sollten wir genausowenig davon ausgehen, dass diejenigen, die eine schwarze Robe im Gerichtssaal tragen darunter nicht grundsätzlich ihre misanthropische Gesinnung verbergen und nur darauf aus sind, Unschuldigen das Leben zu versauen.
Genug dazu.
In diesem Fall hier fällt manchmal auf, dass bei der Betrachtung eines Waldes nur die einzelnen Bäume angeschaut werden. Warum z.B. wird ewig darüber spekuliert, was die arme Frau, die hier zu Tode gekommen ist, nun gemacht haben wird oder nicht, welche Ängste sie gehabt haben sollte und welche nicht und so weiter, aber gleichzeitig wird dann völlig übersehen, dass hinsichtlich des Angeklagten das gleiche gesagt werden kann: weder ist er als ein cholerischer Gewaltmensch bekannt, noch hat er ein nachvollziehbares Motiv, noch wird gesagt, dass er ebenso ausrechnen konnte, bei einer solchen Tat eh als Verdächtiger allein auf weiter Flur zu stehen usw. Wenn, dann sollte man das beiden hier zugestehen: Opfer und Verdächtigem.
@Venice2009 weist dankenswerter Weise da ab und zu drauf hin.
Und hier ist ein berechtigter Kritikpunkt an diesem spezifischen Urteil zu finden: anders als z.B. im Fall Darsow stellt sich zumindest mir kein nachvollziehbares Motiv dar, das mir die Handlungen des Verdächtigen, wenn er die Tat begangen hat, erklären kann.
Dann kommen wir zum Tathergang. Es scheint, und ich schreibe hier wohlgemerkt aus der Sicht eines Beobachters, der eben keinen der Beteiligten kennt, noch die Hauptverhandlung miterlebt hat, dass die Theorie der Anklage zumindest technisch möglich ist: Ja, er könnte der Dame heftige Schläge auf den Hinterkopf gegeben haben, ja, er könnte sie in die Badewanne befördert haben, ja, er könnte das Wasser laufen lassen haben, in dem sie schliesslich ertrunken ist.
Er könnte. Nun kommt die Verteidigung mit ihren Gutachten. Sie sagt er nicht, und das ist wichtig: er könnte nicht. Vielleicht kann die anscheinend neue Eingrenzung des Todeszeitpunkts in diese Hinsicht wirken, das wissen wir noch nicht. Aber bisher ist es so, dass die Theorie der Anklage nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Verteidigung sagt aber nun: es könnte auch anders gewesen sein. Hier steht sie vor der Schwierigkeit, alle bekannten Indizien in eine logische Erklärung einbauen zu müssen. Wie kam es zu den Verletzungen am Hinterkopf? Welche Signifikanz haben diese überhaupt? Wer kann klar sagen, ob sie nicht bereits vor dem "Bad" existierten usw. Jeder einzelne Baum muss in den Wald passen.
Dann die grosse Frage: gibt es eine andere als die von der Anklage vertretene Möglichkeit, die Auffindesituation, die in der Tat ungewöhnlich ist, zu erklären. Hierzu gibt es nun ein neues Gutachten. Ich kann aus meiner Warte hier diese Frage nicht klären. Aber ich kann bereit sein, mir dieses anzuhören/anzuschauen. Technisch gesehen scheint es möglich, dass die Dame auch ohne Fremdeinwirkung so in der Wanne gelandet ist. Dann stellt sich die Frage, warum?
Und hier muss ich auch anerkennen, dass wir kaum nachvollziehen können, was sich im Kopf des Opfers an diesem Nachmittag abgespielt hat. Hat diese Dame immer und vor allem zu dieser Zeit vorsichtig und rational gehandelt? Kann sie nicht tatsächlich in dieser für sie auch nicht alltäglichen Situation einmal anders gehandelt haben, als sonst von ihr bekannt ist?
Die abschliessende Frage muss hier sein: ist die Theorie der Anklage nach Betrachtung aller neuen Erkenntnisse -soweit sie wirklich neu sind- immer noch schlüssig und wahrscheinlich? Wenn nicht, dann kann es sein, dass man als Richter sagen muss: Sorry, auch ich kann nicht alle Zweifel an der Schuld des Angeklagten ablegen, und dann gilt freilich der berühmte Satz in dubi pro reo.
Ob sich ein Gericht dieser Frage noch einmal stellen muss ist noch nicht klar, denn ein WAV hat andere juristische Voraussetzungen als eine erstmalige Hauptverhandlung. Das haben wir hier schon ewig diskutiert, das braucht nicht noch einmal erwähnt zu werden.
Mein Fazit allein aus meinen Kenntnissen dieses Falles ist, dass ich nicht überrascht wäre, wenn ein WAV durchgeführt würde. Ob es dazu kommt, darauf kann ich aber keine Wette eingehen, weil ich schlicht und einfach nicht genug Details dieses Falles kenne.
Anders als in anderen Fällen kann ich aber in diesem Fall nachvollziehen, warum so viele offensichtlich an der Richtigkeit der Verurteilung zweifeln.