falstaff schrieb:Wird denn bei einer Entscheidung über eine Wiederaufnahme rein formal vorgegangen, oder berücksichtigen die Richter auch die Annahmen die der Simulation zugrunde liegen, die nach deiner Analyse zum Teil lebensuntypisch sind, für eine gebrechliche alte Dame?
In der Regel versuche ich hier nicht einfach irgendwelche juristischen Texte im Klugscheissmodus zu reproduzieren, aber diesmal hilft es vermutlich, Deine Frage zu beantworten. Hier also ein Auszug aus einem Urteil des OLG Frankfurt am Main:
Bei der Prüfung der Geeignetheit von neuen Tatsachen und Beweismittel ist eine hypothetische Schlüssigkeitsprüfung auf der Grundlage der Annahme vorzunehmen, dass die in dem Antrag behaupteten Tatsachen richtig sind und die beigebrachten Beweismittel den ihnen zugedachten Erfolg haben werden (vgl.Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 368 Rdnr. 8). Dabei bedarf es nicht zwingend der Einengung auf eine rein abstrakte Schlüssigkeitsprüfung. Es ist vom Standpunkt des erkennenden Gerichts im Freibeweis zu prüfen, ob das Urteil bei Berücksichtigung der neuen Beweise anders ausgefallen wäre. Zu diesem Zweck muss das Antragsvorbringen zu dem gesamten Inhalt der Akten und zu dem früheren Beweisergebnis in Beziehung gesetzt werden (vgl. Meyer-Goßner a. a. O. Rdnr. 9). Erheblich ist das Wiederaufnahmevorbringen dann, wenn die neuen Tatsachen oder Beweismittel geeignet sind, die den Schuldspruch tragenden Feststellungen des Gerichts zu erschüttern. Das muss nicht sicher,aber genügend wahrscheinlich sein. Es müssen ernste Gründe für die Beseitigung des Urteils sprechen, wobei der Zweifelssatz in diesem Zusammenhang keine Bedeutung hat
OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.06.2012 - 1 Ws 3/12 Hervorhebung von mir
Wir dürfen ja nicht vergessen, dass wir es immer mit potentiell zwei Verfahren zu tun haben: Zuerst der Prüfung, ob der Antrag auf ein WAV genehmigungsfähig ist, und nur wenn ja, dann kommt eben der zweite Schritt eines neuen Tatsachenverfahrens. Die Durchführung eines WAV heisst ja noch lange nicht, dass das dann zuständige Gericht nicht doch wieder zum selben Schluss gelangt wie das ursprüngliche Gericht.
Das im ersten Zug prüfende Gericht soll nicht den zweiten Schritt vorwegnehmen. Aber, es
wird hier deutlich, dass neben den eher formellen Bedingungen wie z.B. der Novität der vorgebrachten Argumente am Ende immer noch eine Schlüssigkeitsprüfung erforderlich ist.
Und diese wiederum kann beinhalten zu schauen, ob die Grundlagen des Arguments irgendwo in der Lebenswirklichkeit verankert sind.
Ich versuche das mal an einem leichter verständlichen Beispiel zu zeigen: Theodor wurde verurteilt dem Oskar im Pschorr Zelt einen Masskrug auf den Schädel geschlagen zu haben. Im ersten Verfahren wurde ein Gutachten vorgelegt, das sagt, dass die Verletzungen ein Mass haben, das eine bestimmte Energie erfordert, und dass diese nur durch einen Masskrugschlag aus relativer Nähe erfolgt sein kann. Nur Theodor sass im relevanten Moment neben Oskar. Alle anderen Gäste waren so weit von Oskar entfernt, dass sie nicht die Energie aufbringen konnten, um den Masskrug so hart auf Oskars Schädel zu schlagen.
Nun kommt Theodor und sagt: das Gericht hat nicht berücksichtigt, dass ein Masskrug oben über dem Oskar auf einem der Dachträger gestanden haben könnte und von dort auf den armen Oskar heruntergefallen sein könnte. Wäre das aber geprüft worden, so hätte sich ergeben, dass ein solcher Masskrug die Verletzungen hervorrufen konnte. Er legt nun ein Gutachten vor, das diese Annahme bestätigt.
Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft diese Möglichkeit im ursprünglichen Verfahren nie in Betracht gezogen und dementsprechend hat das ursprüngliche Gutachten das auch nie thematisiert.
Ergibt sich nun aber aus dem Gesamtbild der vorliegenden Ermittlungen keinerlei Anhaltspunkt, dass jemals im Pschorr-Zelt irgendwo Masskrüge im Dachgebälk stehen, dann kann das Gericht schon im ersten Zug sagen: also, das ist so weit weg von der Lebenswirklichkeit, dass wir keine Erfolgsaussicht sehen.
Insofern ist es schon relevant, worauf das Gutachten eigentlich fusst.
Ich hoffe mein urbayerisches Beispiel macht das ein wenig deutlich.