Die Plaza Frau
03.05.2019 um 07:23
Spannend ist, dass in diesem Fall eine ganze Menge nicht zusammenpasst. Die auffälligsten Dinge wurden ja von Anfang an in dem Zeitungsartikel genannt:
1) Die offensichtlich falschen Angaben auf dem Meldezettel, die nicht existierende Adresse, die falschen Telefonnummern usw.
Aber hier kommt schon die erste Frage, auf die es bisher keine klare Antwort gibt: JF konnte zwar ihre Ankunft so organisiert haben, dass sie in dem Moment eintrifft, in dem der Empfang sehr viel zu tun hat, das kann sie mit ein wenig Kenntnis des Hotels planen oder jemand anders für sie planen. Aber: bei aller Planung kann sie nicht wissen, dass man am check-in a) nicht nach ihrem Pass fragt, obwohl die Nummer normalerweise eingetragen werden sollte und b) nicht nach einer Anzahlung fragt. Das führt zu zwei weiteren Fragen, auf die wir freilich keine Antwort haben: I) Wie hätte JF auf die Frage nach ihrem Pass reagiert? Hätte sie eine Ausrede benutzt, wie "mein Mann hat den, ich bringe ihn gleich noch" oder hätte sie tatsächlich einen eventuell gefälschten Pass vorzeigen können? Und II) Wenn man am Empfang auf einer Anzahlung bestanden hätte, hätte sie genug Bargeld gehabt (normalerweise den Preis für die erste Nacht) oder hätte sie eine, eventuell ebenfalls gefälschte Kreditkarte vorweisen können.
Das bringt uns gleich zum zweiten auffälligen Problem:
2) Die Nachrichten vom Empfang, die hier noch eine Rolle spielen werden wurden ausgelöst durch das Problem, dass tagelang die Rechnung nicht bezahlt worden war. Auch die Entsendung des security guys am Ende wurde dadurch ausgelöst. Wenn JF oder ein eventuell existierender Hintermann/Auftraggeber dieses Problem vermeiden wollte, warum hat JF nicht genug Geld, und wenn es in bar gewesen wäre, mitgebracht oder im Voraus bezahlt? Denn sie konnte nicht wissen, wie lange denn das Hotel Geduld haben würde. Was, wenn der security Mensch einen Tag vorher bereits zum Zimmer entsand worden wäre, um sie zur Kasse zu bitten? Ich bin oft beruflich in Hotels dieser Klasse unterwegs und heutzutage wäre es nahezu ein Unding, auf dieses Verhalten des Hotels zu setzen. In der Regel werden bei Reservierung bereits entweder ein Firmenkonto oder eine Kreditkartennummer verlangt, und am Empfang kommt dann immer die Frage, ob man die Rechnung auf dieser belassen oder anders bezahlen möchte. Hat der Kunde weder noch, dann erwartet das Hotel, dass man eine Kreditkarte vorzeigt. Auch 1995 war es schon üblich, jedenfalls in Hotels dieser Klasse, dass die Gäste eine Kreditkarte benutzten. Man lässt zwar Gästen dieser Klasse, die sich anscheinend mehrere hundert Euro pro Nacht leisten können einiges durchgehen, aber spätestens ab der zweiten Nacht ohne Begleichung der Rechnung muss man erwarten, dass das Hotel aktiv wird.
Wenn JF oder ein Auftraggeber vermeiden wollten, dass eine eventuell existierende Zeitplanung durcheinandergebracht wird, warum bezahlt sie nicht die Rechnung gleich bei Anreise oder spätestens nach der ersten Aufforderung? Hat JF wirklich kein Geld dabei? Was sagt uns das über den Fall? War die ursprüngliche Zeitplanung eine ganz andere, kürzere? Darauf könnte die mehrfache Umbuchung hinweisen.
Allen, die auf halbwegs "professionelle" Hintergründe dieses Falles vermuten, sollten diese Fakten zu denken geben.
3) Room Service. Das letzte gesicherte Lebenszeichen von JF war am Freitag abend, als sie sich Essen aufs Zimmer bringen liess. Dabei gab sie ein unerwartet hohes Trinkgeld. Auch hier wieder stellen sich Fragen: wenn sie versucht haben sollte, so unauffällig wie möglich zu agieren, aus eigenem Antrieb oder auf Befehl, dann war das absolut kontraproduktiv. Erstens hat sie durch die Bestellung eben ein eindeutiges Lebenszeichen gegeben, sie hat eine face-to-face Begegnung mit dem Personal provoziert. Zweitens hat sie, und das ist ein alter Trick von Personen, die sich ein Alibi verschaffen wollen, dafür gesorgt, dass das Personal sich auf jeden Fall an sie erinnert: durch das ungewöhnliche Trinkgeld. Man fragt sich nun: war es beabsichtigt, aufzufallen, oder war es JF egal, oder hat JF hier unbewusst einen Fehler gemacht, wenn sie sonst nicht auffallen wollte?
4) Die relativ eindeutigen Spuren, dass zumindest zeitweise eine zweite Person involviert gewesen ist. Das beginnt mit der Buchung für Lois und endet bei dem mal benutzten, mal nicht benutzten Bettbezug, dem männlichen Rasierwasser usw. und natürlich bei der eigentlich unstreitbaren Tatsache, dass jemand Kleidung, Koffer und Gegenstände aus ihrem Zimmer entfernt haben muss. Auch hier wieder Fragen: ist das alles ein weiteres Zeichen dafür, dass hier eben keine Profis am Werk gewesen sind, oder soll es gerade so aussehen? Will jemand die Polizei absichtlich auf die Fährte eines mysteriösen "Lois" setzen, wissend, dass man den nie finden wird?
5) Die Auffindesituation ist wieder so ein Beispiel für Zwiespältigkeit: einerseits soll ganz offensichtlich ein Selbstmord suggeriert werden: die Tür von innen verschlossen, die Pistole in der Hand usw. Andererseits weiss selbst ein Hobby-krimineller Allmyuser heutzutage, dass ein solches Türschlosssystem ganz einfach manipuliert werden kann, und erst Recht weiss er, dass die Hand der Toten ohne jede Blutspritzer und Schmauchspuren ein klares Indiz sind, dass der tödliche Schuss nicht mit dieser Hand abgegeben wurde. Einer Toten eine Pistole in die Hand drücken um einen Suizid vorzutäuschen funktioniert nur in uralten Fernsehkrimis.
Halbwegs interessierte Ermittler sollten das bemerken, oder sie haben noch nie einen "Tatort" im Fernsehen gesehen. Wieder die Frage: ist das ein Zeichen für einen extrem unprofessionellen Kriminellen oder soll gerade eine solche Spur gelegt werden?
6) Einer der merkwürdigsten Punkte ist sicherlich die zeitliche Diskrepanz zwischen dem angeblich gehörten Schuss, und dem Obduktionsergebnis verbunden mit den anderen Merkmalen. Erst einmal gab es offensichtlich zwei Schüsse. Angeblich gehört wurde nur einer. Zweitens ist es tatsächlich merkwürdig, dass JF das Essen am Freitag Abend bestellt hat, kaum etwas davon gegessen hat, dann aber der Mageninhalt bei der Obduktion nahelegt, dass sie am Samstag davon gegessen haben müsste, wenn sie erst am Samstag abend getötet wurde.
Dazu kommt dann noch "Mr. F." der ja am Samstag Morgen schon von dem Tod im 28. Stock gehört haben will. Angesichts der oben genannten Tatsachen ist es tatsächlich denkbar, dass JF am Freitag umgebracht wurde. Nur, wieso wusste mindestens eine Person davon und wurde dennoch nie von der Polizei vernommen? Und wer hat dann am Samstag die Tele-Nachricht quittiert und das Geräusch verursacht, dass der security-Student gehört haben will?
Und nehmen wir an, dass letzteres alles so gewesen ist, wer hat ein Interesse daran, den Todeszeitpunkt auf Samstag zu verschieben und warum?
7) Angesichts dieses groben Fehlers wundert man sich dann nicht, dass hier ein Suizid einer gepflegten, geschminkten Frau suggeriert werden soll, deren Schminkutensilien aber nicht im Zimmer zu finden sind, die nicht einmal eine Hose oder einen Rock im Zimmer hat, mit dem sie unauffällig dieses verlassen haben könnte usw. Auch hier fragt man sich wieder: wer soll hier für dumm verkauft werden und warum?
So komme ich für mich zu dem Fazit: eine Frau, deren Identität recht professionell verschleiert worden ist, wird umgebracht, wobei recht unprofessionell ein Selbstmord vorgetäuscht wird, und dabei werden wiederum so viele Spuren gelegt, die auf mindestens eine weitere involvierte Person weisen - was steckt hier wirklich dahinter?
Als Vorlage für einen spannenden Kriminalroman ist das sehr brauchbar, aber leider haben wir es hier mit einem echten Opfer zu tun.
Fragen, aber keine Antworten. Leider. Eigentlich weiss ich nur eines, und auch das natürlich nur aus meinem Gefühl: diese Frau hat keinen Selbstmord begangen.