Der Bericht der Bild-Zeitung am 5.03.2018 zum Fall JF war die bisher größte öffentliche Information zum Fall JF in Deutschland. Auch ich habe bei Bild-online erstmalig von diesem Fall gehört. Die Bild Zeitung hat aktuell eine Auflage von ca. 1,5 Mio. und Bild Online etwa 3,4 Mio. tägliche Besucher. Ich gehe davon aus, dass etwa 3 bis 5 Mio. deutsche Bürger diesen Bericht gelesen oder zumindest kurz die Bilder betrachtet haben. Vermutlich haben somit etwa 3- 5 % der erwachsenen Bevölkerung mindestens einmal von diesem Fall gehört. Selbst ein sehr zurückgezogener Mensch dürfte ein soziales Umfeld von ca. 50 - 100 Personen haben. Unter einem sozialen Umfeld sind Menschen zu verstehen, die JF persönlich und namentlich kannten. Nach meiner Schätzung werden viele davon in der Lage sein, eine gesuchte Person auch noch nach über 20 Jahren relativ sicher zu identifizieren. Selbst unter ungünstigen Bedingungen müsste JF allein durch die Berichte der Bild –Zeitung von mindestens einer Person erkannt worden sein. Wie viele Personen allerdings bereit sind, ihre Erkenntnisse der Polizei oder der Zeitung mitzuteilen, ist schwer zu schätzen. Aus vielen Kriminalfällen ist bekannt, dass einige Menschen sich erst überwinden müssen, ihr Wissen preiszugeben. Die Erfolge vom „XY-ungelöst“ u.vergl. Formaten sind mMn auch darauf zurückzuführen, dass diese Wissensträger sich erst unter dem Eindruck der Berichtserstattungen an die Polizei wenden.
In diesem Zusammenhang möchte ich euch einmal folgende Frage stellen:
Wie viele Personen könnten euch heute noch sicher und spontan anhand eines ca. 23 Jahre alten Fotos erkennen ?
Für die jüngeren Leute: Ein Foto das euch im Alter von ca. 16 - 20 Jahren zeigt, wird nach 23 Jahre zur Identifikation verwendet.
Ich habe mir alte Klassenfotos, Bilder von Freunden, Urlaubsfoto, usw. angeschaut und bin zum Ergebnis gekommen, dass ich mehr als 2/3 der Personen auch nach langer Zeit sofort erkannt habe bzw. einen Namen zuordnen konnte. Schwieriger ist es mMn, eine Person wiederzuerkennen, die einem lange Zeit nicht mehr begegnet ist. In diesem Sinne glaube ich, dass JF vielen Menschen noch in Erinnerung sein dürfte. Sie müsste auch heute noch anhand des Fotos von ihrem damaligen sozialen Umfeld erkannt werden.
Es muss für JF von erheblicher Bedeutung gewesen sein, Ihre wahre Identität zu bewahren. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie sich mit gefälschten Namen und Adresse im Hotel angemeldet hatte und auch im Nachlass keine persönlichen Dokumente oder sonstige verwertbaren Hinweise gefunden wurden. Die gefälschten Angaben waren zwar nicht sehr geschickt gewählt und hätten einer groben Plausibilitätsprüfung nicht standgehalten, aber sie reichen bis heute aus, die wahre Identität zu bewahren. Sie war hinsichtlich der gefälschten Identität gut vorbereitet, denn den Namen Jennifer Fergate benutzte sie bereits mehrere Tage vor ihrer Ankunft im Plaza Hotel.
Aus der Perspektive von JF ist deshalb zu vermuten, dass sie sich folgende Aufgabe gestellt hat: Finde einen Ort, wo dich ganz sicher keiner kennt und daher auch nicht identifizieren kann. In diesem Sinne muss der Ort neutral sein, d.h. es dürfen keine früheren oder gegenwärtigen Beziehungen zu Personen an diesem Ort oder Umfeld bestehen.
Aber warum hat JF sich ausgerechnet für Oslo entschieden ? Warum nicht für Paris, London, Brüssel, Zürich, Amsterdam, Wien oder Sydney, Tokio, New York usw. ? Hierfür muss es einen für JF naheliegenden Grund gegeben haben. Es kann nicht nur der Wohlstand dieses Landes gewesen sein und auch nicht die Aussicht auf eine posthum würdige Behandlung.
Nach meiner Vermutung hat JF mit ihrem Vorsatz zur Bewahrung der Anonymität durchaus eine rationale Entscheidung getroffen, indem sie sich für Oslo entschied. Einerseits wollte sie einen Ort mit ausreichender Entfernung von ihrem Wohn- /Herkunftsort finden, andererseits durfte sie dort keiner kennen. Um ein Ermittlungsverfahren zu erschweren ist es sinnvoll, dafür das Heimatland zu verlassen und auf diesem Weg auch keine verfolgbare Spuren zu hinterlassen. Aufgrund möglicher Passkontrollen und Buchungsdaten ist deshalb anzunehmen, dass sie sich nicht für eine Flugreise entschieden hat. Auch der Transport der Waffe dürfte in diesem Zusammenhang schwierig gewesen sein. Um keine Spuren zu hinterlassen, war es ihr auch nicht möglich, mit einer Kreditkarte o.ä. zu zahlen. Ich gehe davon aus, dass JF über eine gewisse Menge Bargeld verfügte, die sie lokal in die Landeswährung tauschte. Nach meiner Vermutung war JF berufstätig und verfügte über ein durchschnittliches Einkommen. Der Ohrstecker und Ring war aus preisgünstigen 333er Gold. Es ist denkbar, dass JF aufgrund begrenzter Finanzen eher ein kostengünstiges Reisemittel genutzt hat. Ich glaube deshalb, dass JF sich für eine Fernbusreise entschieden hat.
Die meisten Fernbusse fahren über Nacht und die Ankunftszeit beim Busterminal in Oslo (300m vom Plaza entfernt) stimmt nicht mit der Ankunft beim Hotel überein. Zwischenzeitlich habe ich aber einige Verbindungen gefunden, die ab der Region Kopenhagen / Malmö, Südschweden regelmäßig nach Oslo fahren und die mit der Ankunftszeit übereinstimmen. Ob diese Verbindungen bereits 1995 mit vergleichbaren Fahrplänen existierten, konnte ich nicht feststellen.
Nach meinem Bauchgefühl hat JF ihre Reise in Norddeutschland angetreten. Die mitgeführte Kleidung deutet darauf hin, dass JF sich nicht auf einen kurzfristigen Aufenthalt in Norwegen eingestellt hat. Vielleicht hat sie ihren Standort mehrfach geändert. Vielleicht suchte sie einen Job (Au pair, Hotelbranche etc.) und Oslo war die Endstation einer mehrtägigen Reise.