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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

4.454 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: USA, Mord, 2017 ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

09.02.2024 um 22:15
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb:Er hat halt die Meinung, dass der Supreme Court gar nicht für diese Frage zuständig gewesen wäre. Dann muss er auch inhaltlich nicht dafür oder dagegen stimmen.
Das meine ich ja gerade. Warum sollte der Supreme Court nicht zuständig sein? Die Richterin hat sie eigenmächtig abgesetzt bzw. behauptet, sie seien aus eigener Entscheidung und überraschend zurückgetreten. Das stimmte aber nicht. Soe hätten dann eigentlich eine Anhörung bekommrn müssen. Gerade auch die Verfahrensfehler wurden vielfach kritisiert.

An wen hätten sich denn Rozzi und Baldwin denn sonst wenden sollen. Doch nicht an Richterin Gull.
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb:Sie monieren schon irgendwie auch einen Verfahrensfehler, weil sie darauf hinweisen, dass die Absetzung der Verteidiger zwar prinzipiell möglich ist, aber eben nur als allerletzte Maßnahme, wenn also alle milderen Sanktionen schon ausgeschöpft sind und es damit nicht zielführend wäre z.B. noch mal und noch mal ein Bußgeld zu verhängen.
Auch das bezieht sich nicht auf den Vorgang der Absetzung.


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

09.02.2024 um 22:37
Naja, die schriftliche Begründung ist sicherlich etwas ausführlicher. Aber die obige Erklärung der Nichtzuständigkeit finde ich auf jeden Fall seltsam. Auch wenn da sicher noch viel mehr steht.


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

09.02.2024 um 23:01
Zitat von Helen559Helen559 schrieb:Das meine ich ja gerade. Warum sollte der Supreme Court nicht zuständig sein? Die Richterin hat sie eigenmächtig abgesetzt bzw. behauptet, sie seien aus eigener Entscheidung und überraschend zurückgetreten. Das stimmte aber nicht. Soe hätten dann eigentlich eine Anhörung bekommrn müssen. Gerade auch die Verfahrensfehler wurden vielfach kritisiert.

An wen hätten sich denn Rozzi und Baldwin denn sonst wenden sollen. Doch nicht an Richterin Gull.
Wo ist denn jetzt das Problem? Sie haben sich doch an den Supreme Court gewandt, der hat die Anfrage auch angenommen und verhandelt und jetzt eben entschieden.
Der eine Richter hat es halt so gesehen, dass die Situation, die durch die Absetzung der Verteidiger entstanden ist, keine Anrufung der nächsten Instanz gerechtfertigt hat. Er ist von seinen Richterkollegen überstimmt worden und damit ist das Gericht zu einer gültigen Entscheidung gekommen.

Es ist eben nicht so, dass man sich, wenn man sich von Behörden oder Gerichten ungerecht behandelt fühlt, in einem Rechtsstaat solange irgendwo beschweren kann, bis man bekommt was man will. Er was der Meinung, dass man sich über die entstandene Situation gar nicht beschweren kann, sondern sie halt so hinnehmen muss.

Dabei geht es ja nicht einfach um die Frage gerecht oder ungerecht.
In der Begründung heißt es ausdrücklich, dass die Rechte des Angeklagten auf seine Wunschverteidiger, seine rechte auf eine kompetente Verteidigung und die Intention der Richterin, für einen reibungslosen und revisionssicheren Prozess zu sorgen gegeneinander abgewogen werden müssen.
Dieser eine Richter war offenbar der Meinung, dass das Recht auf kompetente Verteidigung, das die Richterin für RA sicher stellen wollte das Recht auf die Wahl der Wunschverteidiger überwiegt.

Der Supreme Court hat festgestellt, dass die Richterin die verschiedenen Aspekte falsch gegeneinander abgewogen hat. Das bedeutet aber eben nicht, dass sie das gemacht hat hat, weil die parteiisch und einseitig gegen RA voreingenommen ist und bewusst gegen seine Interessen gehandelt hat. In seinem ureigensten Interesse ist es ja auch eine kompetente und effektive Verteidigung an seiner Seite zu haben. Und dieses Recht hat sie durch das Verhalten von Rozzi und Baldwin gefährdet gesehen.

Du musst doch selber einsehen, dass diese Leaks, die Baldwin zu verantworten hat, zu einer wirklich massiven Behinderung und Hinauszögerung des Prozesses geführt haben. Das kann einfach auch nicht im Sinne von RA sein. Und da kann man auch nicht einfach drüber weg sehen, dass dieses Verhalten seiner Verteidiger ihm auch direkt und indirekt schaden und seine Rechte gefährden kann (z.B. das auf eine speedy trial).


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

09.02.2024 um 23:52
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb:Es ist eben nicht so, dass man sich, wenn man sich von Behörden oder Gerichten ungerecht behandelt fühlt, in einem Rechtsstaat solange irgendwo beschweren kann, bis man bekommt was man will. Er was der Meinung, dass man sich über die entstandene Situation gar nicht beschweren kann, sondern sie halt so hinnehmen muss.

Dabei geht es ja nicht einfach um die Frage gerecht oder ungerecht.
Was für ein Quatsch. Du musst mir nicht immer das Wort im Mund verdrehen. Ich habe überhaupt nichts von ungerecht gesagt. Ich beschwere mich auch nicht. Ich finde es nur verwunderlich und seltsam. Im Sinne von erstaunlich, überraschend.

Vielleicht klingen seltsam und verwunderlich doppeldeutig? Weil ich sagte, die Richterin ist Schuld an der Verzögerung und nicht Rozzi und Baldwin? Aber wie "der Rechtsstaat" funktioniert, musst Du mir auch nicht erklären.


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

10.02.2024 um 00:49
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb:Du musst doch selber einsehen, dass diese Leaks, die Baldwin zu verantworten hat, zu einer wirklich massiven Behinderung und Hinauszögerung des Prozesses geführt haben. Das kann einfach auch nicht im Sinne von RA sein. Und da kann man auch nicht einfach drüber weg sehen, dass dieses Verhalten seiner Verteidiger ihm auch direkt und indirekt schaden und seine Rechte gefährden kann (z.B. das auf eine speedy trial).
Nein, das kann ich nicht sehen. Normalerweise wird man für sowas sanktioniert und nicht entlassen. Und der Prozess für die neuen Anwälte um zehn Monate verschoben.

Daran sieht man nur, dass die erste Verschiebung durch Rozzi und Baldwin um neun Monate in diesem großen und schwierigen Fall gerechtfertigt war.
Und das Oberste Gericht hat klar festgestellt, dass Baldwin und Rozzi durch die Verletzung der Gag Order ihrem Mandanten nicht schaden.
Das haben sie auch schon in der Anhörung klargestellt.

Weder direkt noch "indirekt" und "seine Rechte gefährden kann" "zB. auf einen schnellen Prozess". "Rechte gefährden kann" klingt ähnlich wie der Verteidiger von Gull in der Anhörung: Es könnte aber sein. Und das Recht auf einen schnellen Prozess bringst Du als Beispiel. Aber was anderes fällt mir auch nicht ein. Und daran sind sie aus den genannten Günden auch nicht schuld.


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10.02.2024 um 02:42
So, ich habe mir mal die Zeit genommen, mir die schriftliche Begründung des Urteils des obersten Gerichtshofs von Indiana durchzulesen.

I. Wie ich schon vorher gesagt hatte, sieht das Gericht das Recht, seinen Verteidiger frei zu wählen, als bedeutendes Verfassungsgrundrecht und legt daher strenge Masstäbe an jeden Eingriff an. Für amerikanische Juristen, aber vermutlich nicht für deutsche Leser ist dabei noch interessant, dass sie hier eher einen Verstoss gegen die "faire Prozessregel" des 5. Verfassungszusatzes sehen als einen Verstoss gegen das Grundrecht auf einen Verteidiger nach dem 6. Das nur am Rande.

Wie immer bei schweren Eingriffen in Grundrechte muss, das ist ein schon ewig feststehender juristischer Grundsatz, immer erst geprüft werden, ob nicht auch durch eine weniger schwerwiegende Massnahme das gleiche Ziel erreicht werden kann. Und genau gegen diesen Grundsatz, den jeder amerikanische Jurastudent in seinen Kursen zum Verfassungsrecht immer eingetrichtert bekommt, hat diese Richterin hier verstossen.

Schlimmer noch: auch im Verfahren vor dem obersten Gerichtshof hat sie, wie ich damals schon nach der mündlichen Verhandlung schrieb, gar nicht darstellen können, warum sie überhaupt sagt, dass die weitere Verteidigung durch seine gewählten Verteidiger Allens Verteidigung gefährden würde! Mit anderen Worten: sie trifft die schärfste Massnahme überhaupt, die nur bei eindeutiger Gefahr für Allens ureigenstes Interesse an einer guten Verteidigung angewendet werden dürfte, wenn alle anderen Massnahmen nicht helfen - und kann nicht einmal diese Gefahr benennen.

Beides zusammen, kein wahrer Grund und keine Abwägung mit anderen, weniger schweren Eingriffen in Allens Recht auf einen fairen Prozess machen die Entscheidung des Obersten Gerichts unausweichlich.

Die Mehrheit kann auch die Argumentation nicht nachvollziehen, dass das ganze Verfahren in einer Revision hätte vorgebracht und nicht direkt zu ihnen gebracht werden sollen, wobei sich anscheinend zwei der Richter dieser Meinung anschlossen aber das Ergebnis der Verhandlung befürworten. Auch das war bereits in der mündlichen Verhandlung deutlich.

Die Entscheidung entspricht genau dem, was auch ich gelernt habe und meinem Rechtsempfinden, da bin ich ganz froh, dass ich richtig lag.

II. Zur Absetzung der Richterin bemerkt das Gericht, dass sie vorgeblich ja aus dem Interesse Allens gehandelt habe und man grundsätzlich davon ausgehe ,dass eine Richterin unparteiisch sei. Diesmal sei es Allen nicht gelungen, einen Gegenbeweis zu erbringen. Ich persönlich halte das für sehr grenzwertig, aber so wurde nun mal entschieden.

Die Begründung kann man hier abrufen: https://caselaw.findlaw.com/court/in-supreme-court/115803515.html


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10.02.2024 um 02:56
Ich erlaube mir ausnahmsweise in einem Folgebeitrag noch auf zwei Dinge der beiden user vor mir einzugehen:
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb:Du musst doch selber einsehen, dass diese Leaks, die Baldwin zu verantworten hat, zu einer wirklich massiven Behinderung und Hinauszögerung des Prozesses geführt haben. Das kann einfach auch nicht im Sinne von RA sein. Und da kann man auch nicht einfach drüber weg sehen, dass dieses Verhalten seiner Verteidiger ihm auch direkt und indirekt schaden und seine Rechte gefährden kann (z.B. das auf eine speedy trial).
Nein. Das hat der Oberste Gerichtshof deutlich gesagt: die Richterin konnte nicht vorbringen, warum durch diese leaks überhaupt Allens Verteidigung beschädigt oder gefährdet wurde. Mir ist das auch in keiner Weise einsichtig.
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb:Er was der Meinung, dass man sich über die entstandene Situation gar nicht beschweren kann, sondern sie halt so hinnehmen muss.
Das war die Meinung der Vertreter der Richterin, sie hatten das in der mündlichen Behandlung vorgebracht, allerdings auch eingeräumt, dass es im Alternativfall dann eben eine andere Instanz sei, zu der man gehen müsste. Anscheinend schliessen sich sogar zwei Richter dieser Meinung an, dass man sich sehr wohl über die Situation beschweren kann, aber im Wege einer normalen Revision zum Revisionsgericht, nicht gleich zum Obersten Gericht. Hinnehmen muss man so etwas auf keinen Fall. Die Mehrheit hier hat diese Meinung auch klar abgelehnt, der Weg zum Obersten Gericht sei der richtige gewesen, gerade wegen der Bedeutung der Sache.


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

12.02.2024 um 00:17
@cododerdritte
Du kannst die Verstöße von Rozzi und Baldwin gegen die Gag Order und den Umgang damit ja schlimm finden und ich stimme Dir ja teilweise auch zu. Aber sie waren nicht der Grund für die Verzögerung des Prozesses. Darauf wolltest Du ja jetzt hinaus.

Als wie schlimm sie einzuordnen sind und was für Sanktionen sie verdienen, und ob dadurch auch eine Verzögerung verursacht wird, wird sich durch McLelands neuen Antrag ja zeigen.

Aber eine Einschätzung von @Rick_Blaine
aus professioneller Sicht würde mich auch interessieren! Und danke auch für die Zusammenfassung der Begründung des Supreme Courts.

Hier nochmal die Zusammenfassung der Verstöße von @cododerdritte
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb am 01.02.2024:Zum einen geht es um eine Presseerklärung aus Dezember 2022.
McLeland hatte am 22. November 22 beantragt, dass das Gericht eine GagOrder erlassen soll. In einer In- Chamber- Besprechung hatten Rozzi und Baldwin das für unnötig erklärt, da sie nicht due Absicht hätten, sich öffentlich zu dem Fall zu äußern.
Als nächstes haben sie dann am 1. Dezember eine Presseerklärung rausgegeben, in der sie sich detailliert zu einzelnen Beweisen geäußert haben und gesagt haben, RA sei unschuldig.

Der zweite und in meinen Augen wichtigere Punkt sind die leaks und der Umgang damit. Beim ersten Leak hat Baldwin versehentlich eine Liste mit Beweisen und den Namen der Jugendlichen Zeugen per Mail an eine falsche Person, wohl einen anderen Mandanten, geschickt. Als er das gemerkt hat, hat er der Person gesagt, er solle die Infis löschen, mehr nicht. Er hätte aber das Gericht informieren müssen, daß ein Fehler passiert ist und er hätte sicherstellen müssen, dass die Daten wirklich gelöscht wurden. Sie wurden nicht gelöscht, sondern sind ein halbes Jahr später im Internet aufgetaucht...

Beim Westermann-Leak haben Baldwin und Rozzi immer gesagt, der Typ sei eines Tages in Baldwin Kanzleo vorbeigeschaut, habe unbeaufsichtigt in dem Konferenzraum gesessen, in dem die Akten zu dem Fall aufbewahrt wurden und habe dabei heimlich die Tatortfotos abfotografiert. Er habe also Baldwin hintergangen und die Bilder heimlich gestohlen. Das hat Westernann auch so in einer eidesstattliche Erklärung bestätigt.
Tatsächlich haben die Ermittlungen, insbesondere due Analyse von Daten auf Westermanns Computer und seiner iCloud aber ergeben, dass Baldwin regelmäßig Details zu dem Fall mit Westermann ausführlich versprochen hat und ihm u.a. das Memorandum zum Korrekturlesen überlassen hat (bitte bedenken: das Originalmemorandum enthält im Anhang jede Menge Tatortfotos!!!)

McLeland argumentiert hier, dass es also nicht, wie von Baldwin und Rozzi eingeräumt um ein punktuelles Leak geht, das durch BaldwinsFahrlässigkeit entstanden ist, weil er von einem Freund hintergangen wurde. Sondern dass es praktisch einen bewussten und aktiven kontinuierlichen Strom an Informationen an Westermann gab. Sicher wollte Baldwin die Daten nicht absichtlich leaken, er wird auf Westermanns Integrität vertraut haben.
Aber Westermann war kein offiziell mit dem Fall betrauter Mitarbeiter von Baldwin, sondern eine aussenstehende dritte Person, womit er wegen der Gag Order keinerlei Infos hätte bekommen dürfen.

Und Baldwin und Rozzi haben offenbar die Richterin belogen, als sie due Story von dem einmaligen Bilderklau erzählt haben. Laut den polizeilichen Ermittlungen stellt sich die Sache komplett anders dar...

Das sind nun nicht gerade Peanuts. Zum einen hat sich eine Person in direktem Zusammenhang mit dem Leak das Leben genommen. Zum anderen sind die Ermittlungsbehörden durch die Opferfamilien informiert worden, dass Tatortbilder im Netz kursieren, was für die Angehörigen wohl sehr traumatisierend war. Zum dritten ist so ein Leak eben auch ein möglicher späterer Revisionsgrund und kann dazu führen, dass der Prozess wiederholt werden muss.

Und Rozzi und Baldwin haben sich eben nicht bemüht, den entstandenen Schaden zu begrenzen, indem sie bei der Aufklärung geholfen haben, sondern haben offenbar versucht, das ganze kleinzureden und zu vertuschen.
Aber: Sie haben keine Presserklärung rausgegeben, sondern den im Gerichtsgebäude lauernden Journalisten gegenüber ein kurzes Statement abgegeben und ein paar Fragen beantwortet. Ist zwar ähnlich, aber eine Presseerklärung wäre aus meiner Sicht noch vorsätzlicher. Vielleicht sind sie den Unfang mit Journalisten auch nicht so gewohnt. Und dachten vielleicht in dem Moment: Gibt ja keine Gag Order...:D

Die anderen Punkte hatten wir ja schon ab Deinem obigen Post auf S.193 und 194 laienhaft diskutiert.


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

12.02.2024 um 00:32
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb am 02.02.2024:McLeland schreibt in seinem Antrag, wie sehr die Angehörigen das traumatisiert hat, sue sind praktisch ein weiteres Mal zum Opfer geworden.

Abgesehen von den Leaks war es zudem völlig unnötig, im Memorandum das Szenario am Tatort so graphisch zu beschreiben und so detailiert auf die Verletzungen der Opfer und ihren angeblich langen Todeskampf einzugehen. Das war nicht notwendig, um die Odinistentheorie schlüssig darzulegen.
Auch das war rücksichtslos gegenüber den Familien der Opfer, die auf diese Weise diese Infos zum ersten Mal und gleichzeitig mit dem Rest der Welt bekommen haben.
Es diente meiner Meinung nach dazu, die Gag Order legal zu umgehen, und die Aufmerksamkeit der Presse auf die Version der Verteidigung zu lenken.
Das sehe ich allerdings auch ganz anders.
Der große Aufschrei über die Details war ein Schockeffekt, weil man eben garnichts wusste. Also, über die Tötungsart und das Staging. Nur, dass es ein Staging gab. Es ist aber ein Irrglaube, wie hier auch verschiedentlich geschrieben wurde, dass die Details im Prozess aus Rücksicht auf die Angehörigen nicht öffentlich verhandelt worden wären oder werden. Denn in aller Regel werden diese Dinge vor Gericht immer schmerzlich genau durchexerziert, weil es eben zur Wahrheitsfindung notwendig ist.

Und der Prozess stand ja eigentlich schon unmittelbar bevor. Da ist es ganz normal, dass dann mehr Details bekannt werden. Der Pretrial gehört ja eigentlich auch schon zum Prozess. Und bei dem großen Interesse an dem Fall kann man auch nicht ewig um den heißen Brei herum reden, wie es in den vergangenen Jahren der Fall war.

Und nun wurde der Tatort als zentrales Moment eben plötzlich genau beschrieben. Weil er eben sehr ungewöhnlich war. Das war ja schon bekannt. Und nicht nur wegen der Runen, sondern auch wegen der grotesken Positionierung und Bekleidung der Leichen.

Und das ist sachlich sehr wichtig, weil Baldwin und Rozzi anhand dieser Details sehr starke Bezüge zu den Details aus Todd Clicks Ermittlungsakte über die Odinisten Gruppe herausgearbeitet haben. Nicht nur bezüglich der Runen.

Das ist überhaupt nicht vage, wie Du mal geschrieben hast.
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb am 26.09.2023:Verteidiger behaupten an keiner Stelle, dass diese Personen die Täter sind, also die Tat begangen haben. Sondern legen nur dar, dass diese Personen die Tat begangen haben könnten und es Indizien gibt, die auf diese Personen hindeuten. Das ist insgesamt sehr vage gehalten, viel vager als man beim ersten durchlesen denkt. Und ich bin sicher, dass das mit voller Absicht genauso geschrieben ist.
Sondern aus meiner Sicht unheimlich konkret und detailliert. Ich habe selten so eine konkrete und detaillierte Beweisführung gelesen. Schon gar nicht in diesem Fall bezüglich R. Allen. Und manches habe ich jetzt erst noch verstanden. Ich bleibe dabei, ich halte das für eine sehr gute Arbeit.

Und die Crime Scene ist auch im Ton nicht verfehlt. Der Tatort ist überhaupt nicht dramatisch, sondern nur ganz genau beschrieben. Und auch mit großem Respekt vor Libby und Abby.
Und es ist ja auch im Interesse der Opfer, dass dieses Verbrechen, das an ihnen verübt wurde, aufgeklärt wird.

Und ich glaube auch nicht, dass das Staging und die Tötungsart all die Jahre aus Pietätsgründen geheim gehalten wurden, sondern hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich aus ermittlungstaktischen Gründen. Das heißt, dass es um die Zurückhaltung vonTäterwissen ging. Um verdächtige Aussagen identifizieren und von Wichtigtuern und Trittbrettfahrern unterscheiden zu können. Also wenn sich jemand verplappert und etwas aussagt, was er nicht wissen kann.

Das ist aber die wohlwollende Auslegung.
Denn die Kernaussage des Memorandums ist ja: Die gab es eben zuhauf - also nicht nur ein oder zwei, sondern mehrere - ohne dass ihnen irgendeine Beachtung geschenkt wurde.

Die Anschuldigungen gegen die Odinisten, die ineffektive Polizeiarbeit und den Staatsanwalt im Zusammenhang mit dieser großen Geheimhaltung, sowie auch über die Verdrehung der Aussagen der Zeugen auf dem Trail sind dagegen schon etwas dramatischer geschrieben.

Aber Anwälte schreiben auch keinen trockenen Polizeibericht, sie erzählen genau wie die Staatsanwaltschaft möglichst anschaulich eine Geschichte.
Und in den USA wird dabei traditionell auch eine etwas dramatischere und lebendigere Tonart als hierzuande gewählt.

Den Vorwurf gegenüber der Form halte ich darum auch für falsch. Und für den Inhalt können die Anwälte ja auch nichts. Das ist nunmal das, was sie herausbekommen haben. Die Runen, das bizarre Staging und die dutzendweise weiteren Indizien und Geständnisse, die auf die Odinisten weisen, sind das, was in diesem Fall tatsächlich eigentlich die ganze Zeit vorlag. Nur wusste man das nicht.

Im Englischen gibt es ja das schöne Sprichwort: Don't blame the messenger - Beschuldige nicht den Überbringer einer Nachricht. Aber das ist eben genau das, was oft passiert - und wie es dargestellt wird - wenn etwas publik gemacht wird, was nicht bekannt war.

Aber es ist ganz normal, dass Allens Anwälte das nutzen. Sie können das ja nicht unter den Tisch fallen lassen, solange das nicht geklärt ist. Und es muss der Prozess erweisen, ob die Schuld von R. Allen den Tatsachen entspricht oder nicht.


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12.02.2024 um 00:51
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb am 07.02.2024:Oh man, jedes Mal, wenn man in diesem Fall denkt: "Wie kann das sein, heftiger geht es ja wohl nicht mehr....!?" kommt schon der nächste Hammer.

Rozzi und Baldwin haben heute morgen beantragt, alle Anklagepunkte gegen RA fallen zu lassen und umgehend eine Anhörung zu diesem Thema durchzuführen.

Den Antrag begründen sie das wie folgt:

Bei der Durchsicht der Akten haben die Verteidiger ein Protokoll eines Vernehmung von Brad Holder gefunden, die am 17. Feburar 2017, also 3 Tage nach dem Leichenfund, durchgeführt wurde. In dem Protokoll steht, dass es sich um eine Zusammenfassung handelt, das gesamte Interview allerdings elektronisch auf gezeichnet wurde.

Außerdem wurde ein Protokoll zu einer Vernehmung von Patrick Westfall gefunden, in dem allerdings nicht vermerkt ist, ob es dazu eine Aufzeichnung gibt.

Rozzi und Baldwin haben daraufhin beantragt, ihnen die elektronischen Aufzeichnungen dieser Interviews auszuhändigen, damit sie sie als Beweismaterial sichten können. Am 8. September 2023 hat StA McLeland ihnen schriftlich mitgeteilt, dass es zu den Vernehmungen weder Audio- noch Videoaufzeichnungen gibt. Er hat das aber nicht erklärt oder begründet.

Kurz darauf hat McLeland dann die Absetzung von Rozzi und Baldwin beantragt und diese wurden daraufhin am 19. Oktober 2023 von Gull gefeuert.

Am 31. Januar 2024 haben sie, nachdem die wieder als Verteidiger eingesetzt wurden, die Akten zurückbekommen. Dabei befand sich ein Schriftsatz, in dem alle Beweismittel, die ausgehändigt wurden, katalogisiert sind. Auf Seite 5, Absatz 5, dieser Liste steht ein Vermerk, dass durch einen Fehler im Programm des digitalen Videorecorders (DVR) alle Aufnahmen, die bis zum 20. Februar 2017 angefertigt wurde, überschrieben wurden. Es können auch keine Tonspuren mehr ausgelesen werden.

Außerdem befand sich unter den Akten zwei Anträge auf Durchsuchungsbeschlüsse bei dem Mobilfunkanbieter AT&T für Daten auf Brad Holders und Patrick Westfalls Mobiltelefonen. In den Anträgen steht als Begründung, dass von Holder bzw. Westfall bekannt ist, dass sie Mitglieder einer religiösen Sekte seien und dass es in dem Mordfall Details gibt, die auf einen mögliche religiösen Zusammenhang hindeuten. Die angefragten Daten seien deshalb von Bedeutung für eine laufende kriminalpolizeiliche Ermittlung.

Unter den an die Verteidiger übergebenen Beweisen befinden sich keine Information zu Daten bezüglich Holder oder Westfall, die aufgrund dieser hier beantragten Durchsuchungsbeschlüsse erhoben wurde. Es ist völlig unklar, ob diese Anträge je eingereicht, genehmigt und/oder umgesetzt wurde.

Aus dem den Verteidigern vorliegenden Protokoll der Vernehmung von Brad Holder vom 17. Februar 2017 geht hervor, dass Holder damals angegeben hat, Abby, die ja angeblich seinen Sohn "datete", niemals persönlich begegnet zu sein.
In der Zwischenzeit scheint Holder nicht noch einmal vernommen worden zu sein. Am 30. August 2023 wurde er dann aber noch einmal von den Ermittlern zu den Delphi-Morden vernommen. Dabei sagte er aus: "I barely even knew that girl. I met her once." ("Ich kannte das Mädchen kaum. Ich bin ihr nur ein einziges Mal begegnet."

Das ist natürlich ein offensichtlicher und bedeutender Widerspruch zwischen seiner Aussage in 2017 und der in 2023. Immerhin geht es um seinen Kontakt zu einem der Opfer.

Als weitere Argumente wird noch angeführt, dass McLeland den Brief von Todd Click, in dem dieser auf den von ihm erarbeiteten Report zur Odinistenspur hinweist, den Verteidigern erst mit 4 monatiger Verspätung herausgegeben hat und zwar erst nachdem bekannt wurde, dass Rozzi und Baldwin selber Click kontaktiert hatten und ihn um ein Gespräch gebeten hatten. Außerdem habe McLeland behauptet, es sei nicht mehr ermittelbar, welcher Professor der Prdue-Universität damals die Ermittler zum Thema "Sekten/Kulte/Ritualmorde" beraten habe. Der Name ist dann aber später irgendwo doch wieder aufgetaucht.
Rozzi und Baldwin werfen McLeland vor, damit Beweise, Indizien, die RA entlasten könnten, absichtlich und gezielt zurückzuhalten und zu verschleiern.

Die Verteidiger argumentieren, dass alle Anklagepunkte gegen RA fallen gelassen werden soll, weil es für ihn durch Vernichtung der Aufzeichnungen der Vernehmungen nicht mehr möglich ist, diese Beweise auf weitere ihn entlastende Indizien und Beweise zu untersuchen und diese zu seiner Entlastung bei Gericht vorzubringen. Dass die ggfls. vorhandenen Beweise vernichtet wurden, hat der Staat zu verantworten.
Das machen Anwälte so. Die fassen auch immer wieder nach und warten nicht ab. Das sind Terrier.

Und das ist auch alles nicht neu, das steht alles schon im Memorandum. Auch wenn wohl noch neues Material hinzugekommen ist, das sie durcharbeiten müssen.

Aber nicht nur hat Staatsanwalt McLeland
den Brief des inzwischen pensionierten Ermittlers Todd Click an ihn, dass der Falsche verhaftet worden sei, vom 1. Mai letzten Jahres erst im September an die Anwälte weitergeleitet, nachdem sie von seiner Existenz erfahren hatten.

Auch hatte sich die entscheidende Ermittlungsakte dieses Officers über die Odinisten Spur nicht in den ihnen durch den Staatsanwalt übergebenen Akten des Falls befunden. Durch die kamen die Anwälte dann erst auf die Odinisten Spur. Das steht in der Einleitung und hatten wir hier schon besprochen.

Und die widersprüchlichen Angaben von BH und der höchst zweifelhafte Umgang damit durch die Polizei einschließlich der Sheriffs Leazenby und Tony Liggett damit stehen detailliert auf S.83 -86.


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12.02.2024 um 00:52
Zitat von Helen559Helen559 schrieb:Aber: Sie haben keine Presserklärung rausgegeben, sondern den im Gerichtsgebäude lauernden Journalisten gegenüber ein kurzes Statement abgegeben und ein paar Fragen beantwortet. Ist zwar ähnlich, aber eine Presseerklärung wäre aus meiner Sicht noch vorsätzlicher. Vielleicht sind sie den Unfang mit Journalisten auch nicht so gewohnt. Und dachten vielleicht in dem Moment: Gibt ja keine Gag Order...:D
Nein, in dem Punkt bezieht sich McLeland nicht auf diese kurzen Statements, die Rozzi und Baldwin unmittelbar nach der ersten Verhandlung, an der sie als RAs Verteidiger anwesend waren, im Flur des Gerichts abgegeben haben, sondern auf die schriftliche Pressemitteilung die die beiden am 1. Dezember 2022 veröffentlicht haben.
Du kannst deren Text hier einsehen (ganz nach unten scrollen):

https://www.wrtv.com/news/delphi/rick-is-innocent-allens-attorneys-release-statement-questioning-evidence

In dieser Erklärung schreiben sie zum einen, ihr Mandant sei unschuldig und zum anderen nehmen sie eben auch Bezug auf konkrete Details aus den Ermittlungen.

Das was zwar eben keine Verletzung der Gag order, weil die ja noch nicht erlassen war. McLeland schreibt in seinem Antrag aber, dass er am 22. Oktober 22 beantragt hat, dass eine Gag order erlassen wird. Rozzi und Baldwin haben sich daraufhin im Rahmen einer dieser in-chamber-conferences geweigert, einer Gag order zuzustimmen, weil eine solch unnötig sei, da sie eh keinerlei Absicht hätten, diesen Fall in der Öffentlichkeit zu diskutieren.
Und wenige Tage später hauen sie dann so eine Presseerklärung raus....!!!
Gull hat die Gag order dann am nächsten Tag, also am 2. Dezember erlassen, eben weil es sich gezeigt hat, dass sie offensichtlich doch nötig war.

Wie gesagt, legal mal das gewesen sein, denn die Gag order war nicht in Kraft. Ich weiß nicht, wie verbindlich so eine mündliche Absichtserklärung und Zusicherung im Rahmen einer In-Chamber-Konferenz ist, aber es ist zumindest ganz ganz schlechter Stil und eine ziemliche dreckiger Schachzug.
Zitat von Helen559Helen559 schrieb:Vielleicht sind sie den Unfang mit Journalisten auch nicht so gewohnt. Und dachten vielleicht in dem Moment: Gibt ja keine Gag Order...:D
Ich sehe es eher so, dass gerade diese beiden gerade auf diesem Gebiet sehr bewandert sind und da ganz bewusst jede Lücke nutzen, um Publicity zu bekommen und die Presse vor ihren Karren zu spannen. Die Gag order wurde am 22. Oktober beantragt, die In-chambers-Conference wird dann also irgendwann zwischen dem 23. Oktober und dem 30. November stattgefunden haben. Und Du meinst echt, die hätten dann bis zum 1. Dezember VERGESSEN, dass sie keinerlei Absicht hegen, den Fall öffentlich zu diskutieren.....?!?!?


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12.02.2024 um 01:16
Was die Glaubwürdigkeit der Anwälte angeht, glaube ich eher, dass die Strategie von Staatsanwalt McLeland in der Erwiderung auf das Memorandum das Grundoroblem ist. Denn er hatte es als bunt, dramatisch und hochgradig unprofessionell bezeichnet.

Damit hat er den Inhalt und die Form - und die Anwälte diskreditiert. Und auch ihre Glaubwürdigkeit untergraben.So wurde es von der Öffentlichkeit verstanden, als würde die Form beweisen, dass der Inhalt nicht stimmt.

Eigentlich ist es aber so, dass sie ihren Mandanten damit sogar hoch effektiv verteidigen. Das Problem ist aber, dass ihre Kompetenz oder wahlweise Glaubwürdigkeit immer wieder in Zweifel gezogen werden.

McLelands vollständiger Satz lautete aber: Auch wenn das Memorandum bunt, dramatisch und hochgradig unprofessionell ist, ist es nicht vollständig richtig. Der zweite Halbsatz bezieht sich auf den Wahrheitsgehalt und der ist deutlich vorsichtiger formuliert.


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12.02.2024 um 08:10
Zitat von Helen559Helen559 schrieb:Aber eine Einschätzung von @Rick_Blaine
aus professioneller Sicht würde mich auch interessieren! Und danke auch für die Zusammenfassung der Begründung des Supreme Courts.
Also ich stimme hier @Helen559 zu, die Veröffentlichung der "leaks" und des Memorandums werden aufgebauscht, der Inhalt dagegen gar nicht in seiner Dimension wahrgenommen. Wie auch schon der Oberste Gerichtshof fragte, ohne eine Antwort zu bekommen: wie hat diese Veröffentlichung denn der Verteidigung Allens geschadet?

Ich sehe keinen Schaden. Daher kann m.E. die Konsequenz nur eine Rüge des Verstosses gegen die Gag Order sein. Meistens wird so etwas, wenn überhaupt, durch ein Ordnungsgeld bestraft. Es sollte aber, es darf keinen Einfluss auf den Prozess gegen Allen haben. Das haben die obersten Richter ja auch in ihrer Entscheidung deutlich gemacht.

Viel interessanter sind die neuerlich aufgetauchten Vorwürfe, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihre Brady-Verpflichtungen verstossen habe. Das wäre juristisch gesehen viel folgenreicher.


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12.02.2024 um 21:25
Genau. Nachdem wir jetzt die Hintergründe zu der Presseerklärung und den Leaks von McLeland erfahren und diskutiert haben,

und ich möchte dazu noch anmerken,
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb am 01.02.2024:Das sind nun nicht gerade Peanuts. Zum einen hat sich eine Person in direktem Zusammenhang mit dem Leak das Leben genommen.
dass aus meiner Sicht der natürlich unglaublich tragische Suizid der dritten Person, die das Foto im Internet verbreitete, aber nicht, weder direkt noch indirekt, Baldwin angelastet werden kann,

finde ich die Hintergründe zu McLelands Antrag auf die Entlassung von Baldwin und Rozzi mindestens genauso - eigentlich aber noch erheblich gravierender und dubioser bezüglich der Aufklärung des Falls.
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb am 07.02.2024:Bei der Durchsicht der Akten haben die Verteidiger ein Protokoll eines Vernehmung von Brad Holder gefunden, die am 17. Feburar 2017, also 3 Tage nach dem Leichenfund, durchgeführt wurde. In dem Protokoll steht, dass es sich um eine Zusammenfassung handelt, das gesamte Interview allerdings elektronisch auf gezeichnet wurde.

Außerdem wurde ein Protokoll zu einer Vernehmung von Patrick Westfall gefunden, in dem allerdings nicht vermerkt ist, ob es dazu eine Aufzeichnung gibt.

Rozzi und Baldwin haben daraufhin beantragt, ihnen die elektronischen Aufzeichnungen dieser Interviews auszuhändigen, damit sie sie als Beweismaterial sichten können. Am 8. September 2023 hat StA McLeland ihnen schriftlich mitgeteilt, dass es zu den Vernehmungen weder Audio- noch Videoaufzeichnungen gibt. Er hat das aber nicht erklärt oder begründet.

Kurz darauf hat McLeland dann die Absetzung von Rozzi und Baldwin beantragt und diese wurden daraufhin am 19. Oktober 2023 von Gull gefeuert.

Am 31. Januar 2024 haben sie, nachdem die wieder als Verteidiger eingesetzt wurden, die Akten zurückbekommen. Dabei befand sich ein Schriftsatz, in dem alle Beweismittel, die ausgehändigt wurden, katalogisiert sind.

Auf Seite 5, Absatz 5, dieser Liste steht ein Vermerk, dass durch einen Fehler im Programm des digitalen Videorecorders (DVR) alle Aufnahmen, die bis zum 20. Februar 2017 angefertigt wurde, überschrieben wurden. Es können auch keine Tonspuren mehr ausgelesen werden.
Der zweite Teil ist natürlich wirklich neu. Ich bezog mich in meinem vorvorletzten Post auf die Vernehmungen von Brad Holder und Patrick Westfall (und den Brief von Todd Click).


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

12.02.2024 um 23:12
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Viel interessanter sind die neuerlich aufgetauchten Vorwürfe, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihre Brady-Verpflichtungen verstossen habe. Das wäre juristisch gesehen viel folgenreicher.
Ich hatte im Bryan Kohberger Fall schon mal gefragt, was die Brady Verflichtungen sind bzw. war dort vom Brady/Giglio Material die Rede.:)

Damit Du nicht nochmal alles neu erklären musst und ein wenig entspannen kannst im schönen California, habe ich das mal hier rüber kopiert.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb am 27.04.2023:Im Prinzip geht es um Folgendes. In den USA gilt das "adversarial system" beim Strafprozess. Nicht das Gericht befragt die Zeugen, wie in Deutschland, sondern jede Seite, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ist für die Prozessführung individuell verantwortlich, also vor allem dafür, welche Informationen man der Jury präsentiert.

Allerdings befindet sich der Staat immer in einem gewissen Vorteil, da ihm der immense Apparat der Polizei zur Verfügung steht und theoretisch unbegrenzte finanzielle Mittel.

Nun gilt aber auch im angelsächsichen Recht, dass in einem Prozess Fairness das oberste Gebot ist und beide Seiten gleich behandelt werden sollen.

Es ergab sich aber in der Vergangenheit, dass die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen, entlastendes Material feststellte. Mit der Auffassung, das die Verteidigung das gefälligst selbst finden soll, hielt man diese Tatsache geheim. Konkret ging es um einen Mordfall, in dem zwei Täter angeklagt wurden, den Mord gemeinsam begangen zu haben. Beide wurden zum Tode verurteilt. Einer davon hiess John Brady.

Später kam heraus, dass dessen Komplize bereits vor dem Prozess gestanden hatte, das Opfer allein ermordet zu haben. Brady hatte zwar mit dem Komplizen zusammen das Auto des Opfers nach dem Mord entwendet, aber an dem eigentlichen Mord war er nicht beteiligt. Diese Aussage des Komplizen behielt die Staatsanwaltschaft für sich.

In verschiedenen Revisionsverfahren wanderte der Fall bis zum Obersten Gerichtshof der USA, der im Verhalten der Staatsanwaltschaft eine Verletzung der verfassungsmässigen Rechte eines Angeklagten sah und hob das Urteil auf. Seit diesem Grundsatzurteil gilt, dass die Staatsanwaltschaft alle relevanten Ermittlungsergebnisse der Verteidigung darlegen muss, welche eventuell entlastend sein können. Man nennt diese unter Juristen "Brady-Material." Und in einer Brady motion wird die Staatsanwaltschaft im laufenden Prozess daran erinnert, dass sie diese Pflicht hat.

In einem späteren Fall ergab sich, dass zwar keine an sich entlastenden Indizien entdeckt und von der Staatsanwaltschaft vorenthalten wurden, aber diese hatte wieder das Gebot der Fairness gebrochen: Sie klagte einen John Giglio an, Geldanweisungen gefälscht zu haben. Ein Komplize, der in einer Bank arbeitete hatte Giglio Unterschriftskarten von Bankkunden überlassen, so dass dieser die Unterschriften fälschen konnte. Das hatte der Komplize ausgesagt. Das wurde auch der Verteidigung gemäss Brady mitgeteilt. Der Fall war durch den geständigen Komplizen im Prinzip klar.

Was die Staatsanwaltschaft nicht verriet war, dass sie dem Komplizen für seine Aussage Straffreiheit versprochen hatte. Nachdem Giglio verurteilt wurde, kam das allerdings ebenfalls heraus. In den Revisionen argumentierte die Verteidigung nun, dass diese Tatsache die Glaubwürdigkeit des Zeugen erheblich beeinträchtigte, da dieser mit Aussicht auf Straffreiheit eventuell alles gesagt hätte, was die Polizei wollte, ohne dass es wahr sein müsse. Hätte man davon gewusst, hätte man als Verteidigung hier weitaus umfangreicher im Kreuzverhör vorgehen können. Und die Jury hätte vielleicht auch von sich aus Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen gehabt.

Auch hier schloss sich der Oberste Gerichtshof der USA dieser Sicht an und hob das Urteil auf. Er entschied, dass auch bei belastendem Material die Staatsanwaltschaft der Verteidigung mitteilen muss, wenn es sein kann, dass die Art und Weise, wie es gefunden wurde, nicht ganz koscher ist.

Daher spricht man seitdem unter Juristen von "Brady/Giglio Material."



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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

12.02.2024 um 23:16
In Kurzform: Grundsätzlich beinhaltet das, dass die Staatsanwaltschaft nichts zurückhalten darf, was einen Angeklagten entlasten könnte. Die Bezeichnung Brady geht auf einen Fall von 1963 zurück.


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

13.02.2024 um 02:42
So ist es. Das ist ein sehr entscheidender Grundsatz amerikanischen Rechts und ein Verstoss dagegen kann erhebliche Folgen für die Staatsanwaltschaft haben.

Das Problem hier ist ja, dass schon seit einiger Zeit im Raum steht, dass die Staatsanwaltschaft und die Polizei es mit ihren Pflichten nicht so genau nehmen, das war ja auch der Vorwurf in der Franks Sache. Tauchen da jetzt noch mehr Probleme auf, wird es immer unangenehmer. Da wäre natürlich eine unvoreingenommene Richterin wichtig.


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

13.02.2024 um 03:30
@Rick_Blaine
Ich fand diese rechtsgeschichtlichen Hintergründe und Ausführungen von Dir nochmal sehr aufschlussreich, um die juristische Bedeutung dieser beiden Versäumnisse von MCLeland richtig zu verstehen. Die Kurzversion reicht nicht, um zu verstehen, welchen Stellenwert das hat.

Die Anwälte hatten in der Einleitung ja betont, dass er diese und andere Dinge nicht an sie weitergeleitet hat, obwohl er dazu verpflichtet war. Aber mir persönlich war nicht mehr ganz klar, welchen Stellenwert und welche Signalwirkung das in der Juristerei hat.

Darum hatte ich jetzt nochmal in dem anderen Fall nach diesem Post von Dir gesucht.


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

13.02.2024 um 03:45
Ja klar. Das ist nicht zu unterschätzen. Stellt sich heraus, dass die Staatsanwaltschaft Brady/Giglio Material nicht unverzüglich weitergeleitet hat, und ist das Verfahren noch offen, führt das normalerweise dazu, dass das Verfahren eingestellt werden muss und, falls die Staatsanwaltschaft das will, von vorne beginnen muss. Ist das Verfahren bereits abgeschlossen und der Angeklagte verurteilt worden, wird das Urteil aufgehoben. Das ist also ein ganz entscheidender Vorgang. Freilich wehrt sich eine Staatsanwaltschaft meist mit Händen und Füssen gegen eine solche Entscheidung, daher muss man sehen, ob das Gericht - oder später eine Revisionsinstanz - tatsächlich einen solchen Verstoss feststellt, aber ein Staatsanwalt wird einer solchen Entscheidung nie gelassen entgegensehen.


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"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams

13.02.2024 um 23:05
Heue vor genau 7 Jahren wurden Abby und Libby ermordet. Ich hoffe, dass es noch gelingen wird, denjenigen, der dafür die Verantwortung trägt, in einem fairen Prozess zu verurteilen und ein gerechtes Urteil zu finden.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Ich sehe keinen Schaden. Daher kann m.E. die Konsequenz nur eine Rüge des Verstosses gegen die Gag Order sein. Meistens wird so etwas, wenn überhaupt, durch ein Ordnungsgeld bestraft. Es sollte aber, es darf keinen Einfluss auf den Prozess gegen Allen haben. Das haben die obersten Richter ja auch in ihrer Entscheidung deutlich gemacht.
Nein, ich sehe auch keinen Schaden und der oberste Gerichtshof hat ja auch festgestellt, dass die Richterin die Schwere des Vergehens absolut falsch eingeschätzt hat und die von ihr aufgerufene Sanktion unverhältnismäßig hoch war. Diesen Urteilsspruch kann man nachvollziehen und auch so hinnehmen.

Im Gegensatz zu anderen hier sehe ich es aber eben so, dass das eigentliche Problem von den Verteidigern ausgegangen ist. Sie haben eben nicht nur die beiden Leaks ausgelöst, sondern haben danach auch noch versucht, ihre Rolle dabei und das Ausmaß des Leaks zu verschleiern.
Ich kann nachvollziehen, dass man das auch anders sehen kann und meint, allein Richterin Gull habe die Prozessverzögerung zu verantworten, weil sie eben eine Fehler gemacht hat. Aber ich bin eben der Meinung, dass es ohne Leak auch keine Fehleinschätzung der Richterin und damit keine Absetzung der Verteidiger gegeben hätte.
Über die Presseerklärung von Anfang Dezember 22 und das Memorandum mögen sich Staatsanwaltschaft und vielleicht auch das Gericht geärgert haben, aber juristisch gesehen waren diese Aktionen der Verteidiger legal, obwohl sie einfach nur schlechter Stil waren.
Zitat von Helen559Helen559 schrieb:Was die Glaubwürdigkeit der Anwälte angeht, glaube ich eher, dass die Strategie von Staatsanwalt McLeland in der Erwiderung auf das Memorandum das Grundoroblem ist. Denn er hatte es als bunt, dramatisch und hochgradig unprofessionell bezeichnet.
Mag sein, dass Du das anders siehst, aber ich muss kann da durchaus McLelands Position und seine Kritik nachvollziehen. Ich habe es bereits mehrfach geschrieben: den rein inhaltlichen Aussagen des Memorandums hätte man auch in anderer, in meinen Augen angebrachterer Form vor Gericht bringen können (Schwärzen von Klarnamen anderer Verdächtiger und sonstiger Beteiligter, weniger graphische Beschreibungen von Details vom Tatort und den den Opfern zugefügten Wunden). Ich bleibe bei meiner Meinung, dass es ein Winkelzug der Anwälte war, die Gag order zu umgehen und gleichzeitig für maximale Aufmerksamkeit für die eigentlich transportierte Botschaft zu sorgen: "Unser Ricky ist hier nicht der Täter, sondern das Opfer einer Verschwörung!" Dieser Winkelzug war legal. dafür wurden sie ja auch nicht mal gerügt, aber wer so was so durchzieht, der muss sich schon ein paar zynische Seitenhiebe des Staatsanwaltes gefallen lassen, die dieser in seinem nächsten Antrag verpackt, denn auch er ist ja ansonsten an die Gag order gebunden und kann keinerlei offizielle Stellungnahme dazu abgeben.
Zitat von Helen559Helen559 schrieb:In Kurzform: Grundsätzlich beinhaltet das, dass die Staatsanwaltschaft nichts zurückhalten darf, was einen Angeklagten entlasten könnte. Die Bezeichnung Brady geht auf einen Fall von 1963 zurück.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:So ist es. Das ist ein sehr entscheidender Grundsatz amerikanischen Rechts und ein Verstoss dagegen kann erhebliche Folgen für die Staatsanwaltschaft haben.
Und genau deshalb kann ich kaum glauben, dass McLeland hier derartige Fehler gemacht haben soll. Dass die Staatsanwaltschaft der Verteidigung entlastendes Material aushändigen muss, so ja nun wirklich einer der Grundpfeiler des Rechtssystems und -verständnisses. Diese Regelung kennt jeder Anfänger-Staatsanwalt und ist sich auch der Konsequenzen bewusst, die es haben kann, wenn er dabei derart schwerwiegende Fehler macht.
Insofern kann ich mir eben nicht vorstellen, dass McLeland hier entweder einen derartigen Anfängerfehler gemacht haben soll (er kann sich wohl kaum darauf berufen, dass er diesen Rechtsgrundsatz nicht kennt....) oder aber dass er bewusst riskiert hat, den ganzen Prozess platzen zu lassen oder noch schlimmer: den Verteidigern zusammen mit den Akten gleich einen Revisionsgrund mitgeliefert hat.
Man kann ihm Böswilligkeit unterstellen und meinen, er haben die Verteidiger hier hintergehen wollen, ihnen eben das entlastende Material vorenthalten wollen, aber eigentlich ergibt das kein sinnvolles Risiko-/Nutzenverhältnis.

Deshalb möchte ich erst mal abwarten, was die Staatsanwaltschaft zu diesen Vorwürfen erwidert und was dann bei einer gerichtlichen Anhörung zu dem Thema rauskommt und/oder wie die Richterin in der Sache entscheidet.

In meinen Augen ist das alles vor allem erst mal eine Art von Armdrücken. Dass Verteidiger versuchen, über ein Franks hearing Beweise (und hier sogar den wohl zentralsten Beweis, also die Pistole) aus dem Verfahren zu kegeln ist ja nun nichts ungewöhnliches und in derartigen Verfahren eher ein Standard als eine Ausnahme. Es ist halt ein Versuch, die Beweise und Indizien, die die Anklage vorbringen kann, zu schwächen

Das gleiche gilt wohl auch für Anträge der Verteidigung unter Berufung auf die Brady-Doctrine. Das haben die Anwälte im Koberger-Fall versucht und auch bei Alex Murdaugh war das meine ich ein Thema.
Ob Rozzi und Baldwin damit Erfolg haben, wird sich dann zeigen.

Ich denke, man kann froh sein, dass das jetzt alles im Vorfeld des Prozesses geklärt wird. Klar verzögert das den Prozessbeginn, aber es ist wohl besser, dass das alles jetzt auf den Tisch kommt, als wenn am Ende der Prozss kippt oder es eine Revision gibt.

Ich finde das ganze juristische Heckmeck nur unerträglich für die Angehörigen. Sie warten jetzt eben seit sieben Jahren darauf zu erfahren, was ihren Kindern widerfahren ist und ich stelle es mir sehr schwer vor, dieses Auf und Ab beobachten zu müssen und immer wieder zu hören, dass der Prozess doch noch mal um Monate verschoben werden musste.


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