"Snapchat-Killer" Mordfall Liberty German & Abby Williams
14.02.2024 um 02:24cododerdritte schrieb:Insofern kann ich mir eben nicht vorstellen, dass McLeland hier entweder einen derartigen Anfängerfehler gemacht haben soll (er kann sich wohl kaum darauf berufen, dass er diesen Rechtsgrundsatz nicht kennt....) oder aber dass er bewusst riskiert hat, den ganzen Prozess platzen zu lassen oder noch schlimmer: den Verteidigern zusammen mit den Akten gleich einen Revisionsgrund mitgeliefert hat.Ich denke, in den meisten Fällen, die heute aktenkundig werden ist es nicht Boshaftigkeit des Staatsanwalts, sondern oft eine Mischung aus Überarbeitung, mangelnder Aufsicht und vielleicht eben schon Antipathie gegen den Angeklagten und seine Verteidiger, die dann zu Verstössen führt. Staatsanwaltschaften sind grosse Behörden mit vielen Mitarbeitern, und diese sind ja nicht einmal die eigentlichen Ermittler, das ist die Polizei, die zwar für die Staatsanwaltschaft arbeiten soll, aber nicht generell weisungsgebunden ist. Und in so einem komplexen Fall entstehen tausende Seiten Ermittlungsakten. Und wenn sich da auf einer oder zwei etwas klar entlastendes findet, das aber entweder vom Ermittler oder dessen Vorgesetzten als gar nicht relevant oder entlastend eingeschätzt wird, oder einfach vergessen wird, oder, weil man den Angeklagten eh nicht mag, mal nicht als dringend eingeschätzt wird... da kann es dann plötzlich zu Brady/Giglio Problemen kommen. Und all diese Dinge sind dann keine Ausrede.
Ein straffes und gutes Fall-Management ist extrem wichtig, aber leider nicht immer vorhanden.
Beispiele aus meiner Praxis: Letztes Jahr stand ein Gerichtstermin an. 4 Wochen vorher hatte ich noch nicht einmal die Akte von der Staatsanwaltschaft erhalten. Die Tat sollte sich schon ein halbes Jahr zuvor ereignet haben. Ich rufe also die Staatsanwältin an und höre sie auf ihrer Computertastatur herumklicken - dann erklärt sie mir entgeistert: ich habe die Akten noch gar nicht von der Polizei bekommen. Tja, das war nicht mein Problem. Der Gerichtstermin fand nicht statt - bis heute nicht. Und jetzt ist die Tat verjährt.
Vor einigen Jahren hatte ich einen anderen Fall: ich wollte ebenfalls die Akten von der Staatsanwaltschaft. Die sagte mir, die sind noch bei der Polizei. Da rief ich bei der Polizei an, und die sagten mir, nein, die Akten haben wir vor Wochen schon an die Staatsanwaltschaft gesandt. Das war vor etwa 10 Jahren. Bis heute hat kein Mensch diese Akten mehr gefunden, die bestimmt in irgendeinem Regal falsch eingeordnet herumschlummern.
So etwas ist nicht die Regel, aber kommt doch so manches mal vor. Genau wie Brady violations.