calligraphie schrieb:Brady/Giglio ist irgendwo in einer Erläuterung gefallen.
@Rick_Blaine
Kann dir das sicher mit seinen Worten besser erklären. Grundsätzlich beinhaltet das wohl, dass die Staatsanwaltschaft nichts zurückhalten darf, was einen Angeklagten entlasten könnte. Die Bezeichnung Brady geht wohl auf einen Fall 1963 zurück und Giglio auf einen Fall aus 1972. Also Namen von Prozess Parteien.
Grundsätzlich geht es um die Garantie, dem Angeklagten seine verfassungsmäßigen Rechte auf einen fairen Prozess zu gewähren. Und dazu gehört eben der Verteidigung Zugang zu Informationen zu gewähren, die entlastend sein könnten. Warscheinlich selbst dann, wenn, wie in diesem Fall evtl die Aussage der Zeugin ihr selbst eben nichts bringt außer zusätzliches „damage“.
Im Prinzip geht es um Folgendes. In den USA gilt das "adversarial system" beim Strafprozess. Nicht das Gericht befragt die Zeugen, wie in Deutschland, sondern jede Seite, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ist für die Prozessführung individuell verantwortlich, also vor allem dafür, welche Informationen man der Jury präsentiert.
Allerdings befindet sich der Staat immer in einem gewissen Vorteil, da ihm der immense Apparat der Polizei zur Verfügung steht und theoretisch unbegrenzte finanzielle Mittel.
Nun gilt aber auch im angelsächsichen Recht, dass in einem Prozess Fairness das oberste Gebot ist und beide Seiten gleich behandelt werden sollen.
Es ergab sich aber in der Vergangenheit, dass die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen, entlastendes Material feststellte. Mit der Auffassung, das die Verteidigung das gefälligst selbst finden soll, hielt man diese Tatsache geheim. Konkret ging es um einen Mordfall, in dem zwei Täter angeklagt wurden, den Mord gemeinsam begangen zu haben. Beide wurden zum Tode verurteilt. Einer davon hiess John Brady.
Später kam heraus, dass dessen Komplize bereits vor dem Prozess gestanden hatte, das Opfer allein ermordet zu haben. Brady hatte zwar mit dem Komplizen zusammen das Auto des Opfers nach dem Mord entwendet, aber an dem eigentlichen Mord war er nicht beteiligt. Diese Aussage des Komplizen behielt die Staatsanwaltschaft für sich.
In verschiedenen Revisionsverfahren wanderte der Fall bis zum Obersten Gerichtshof der USA, der im Verhalten der Staatsanwaltschaft eine Verletzung der verfassungsmässigen Rechte eines Angeklagten sah und hob das Urteil auf. Seit diesem Grundsatzurteil gilt, dass die Staatsanwaltschaft alle relevanten Ermittlungsergebnisse der Verteidigung darlegen muss, welche eventuell entlastend sein können. Man nennt diese unter Juristen "Brady-Material." Und in einer Brady motion wird die Staatsanwaltschaft im laufenden Prozess daran erinnert, dass sie diese Pflicht hat.
In einem späteren Fall ergab sich, dass zwar keine an sich entlastenden Indizien entdeckt und von der Staatsanwaltschaft vorenthalten wurden, aber diese hatte wieder das Gebot der Fairness gebrochen: Sie klagte einen John Giglio an, Geldanweisungen gefälscht zu haben. Ein Komplize, der in einer Bank arbeitete hatte Giglio Unterschriftskarten von Bankkunden überlassen, so dass dieser die Unterschriften fälschen konnte. Das hatte der Komplize ausgesagt. Das wurde auch der Verteidigung gemäss Brady mitgeteilt. Der Fall war durch den geständigen Komplizen im Prinzip klar.
Was die Staatsanwaltschaft nicht verriet war, dass sie dem Komplizen für seine Aussage Straffreiheit versprochen hatte. Nachdem Giglio verurteilt wurde, kam das allerdings ebenfalls heraus. In den Revisionen argumentierte die Verteidigung nun, dass diese Tatsache die Glaubwürdigkeit des Zeugen erheblich beeinträchtigte, da dieser mit Aussicht auf Straffreiheit eventuell alles gesagt hätte, was die Polizei wollte, ohne dass es wahr sein müsse. Hätte man davon gewusst, hätte man als Verteidigung hier weitaus umfangreicher im Kreuzverhör vorgehen können. Und die Jury hätte vielleicht auch von sich aus Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen gehabt.
Auch hier schloss sich der Oberste Gerichtshof der USA dieser Sicht an und hob das Urteil auf. Er entschied, dass auch bei belastendem Material die Staatsanwaltschaft der Verteidigung mitteilen muss, wenn es sein kann, dass die Art und Weise, wie es gefunden wurde, nicht ganz koscher ist.
Daher spricht man seitdem unter Juristen von "Brady/Giglio Material."
fischersfritzi schrieb:Und ich glaube, man muss diese "Räuberpistole" trennen von der eigentlichen Sachinformation, nämlich dass der Privatdetektiv des Verteidigerteams Kohbergers Informationen ausgegraben haben will, die es angeblich notwendig machen, die Zeugin schon zum prelim zu laden. Interessant ist dabei, dass die Richterin in Idaho dem statt gegeben hat. Das heißt es muss für die Richterin zumindest überzeugend gewirkt haben. Es kann also keine ganz windige Geschichte sein, die nur auf reine Effekthascherei ausgerichtet ist. Es wird wohl schon etwas Substanz zugrunde liegen, so dass es legitim erscheint, die Zeugen zu laden. Ansonsten hätte die Richterin den Antrag ablehnen müssen.
Zumindest nach meinem laienhaften Verständnis.
Ganz genau. Irgendetwas muss die Richterin schon beeindruckt haben, wenn auch die Schwelle in dieser Phase des Verfahrens niedrig ist.