In einer etwas überraschenden Entscheidung hat Richter John den Beginn der Hauptverhandlung auf den 2. Oktober festgesetzt.
Die Verteidigung hatte beantragt, den Prozess zunächst auszusetzen, bis die noch anstehenden rechtlichen Fragen geklärt seien, aber der Richter wollte davon nichts wissen.
In bereits 2 Wochen haben beide Seiten die gegenseitige "discovery," also den Austausch der Beweismittel, zu beenden. Bis Mitte September haben sie dann ihre komplette Zeugenliste vorzulegen, ebenso ihre Gutachter zu benennen, die sie vorladen wollen.
Der Prozess soll mit der Auswahl der Jury dann am 25. September beginnen, so dass alles bereit ist für den Start der Hauptverhandlung am 2. Oktober.
Der Richter meinte dazu nur lakonisch, dass das Tempo herausfordernd sei, aber das Gesetz in Idaho schreibt vor, dass ein Prozess innerhalb von 6 Monaten nach Anklageerhebung zu beginnen habe:
“I know Mr. Kohberger is anxious to have this speedy trial and he’s entitled to that, so I’m going to tell you, this is a little bit of a reality check,”
https://www.idahostatesman.com/news/local/crime/article278315083.html#storylink=cpy
In den USA läuft ein Prozess immer nach dem gleichen Muster ab:
1. Das Vorverfahren mit Anträgen etc. (die letzten sind bis zum 22. September einzureichen) Typische Anträge im Vorverfahren sind z.B. Eingrenzung der Beweismittel (motions in limine), Presseangelegenheiten usw.
2. Die Auswahl der Jury: In Idaho muss eine Jury aus 12 Juroren das Urteil einstimmig fällen. Da in einem Prozess aber immer das Risiko besteht, dass zwischendurch ein Geschworener ausfällt, und um zu verhindern, dass dann alles von vorne beginnen muss, werden immer einige Ersatzgeschworene bestimmt. So sitzen oft 18 Geschworene im Gericht und nehmen an der Verhandlung teil, aber nur 12 werden am Ende abstimmen.
Bei der Auswahl werden viele potentielle Geschworene per Post vorgeladen, diese werden nach dem Zufallsprinzip aus verschiedenen staatlichen Registern ausgewählt, z.B. der Wählerliste oder dem Führerscheinregister. In den USA gibt es kein Melderegister wie in Deutschland.
Geschworene müssen volljährig sein, amerikanische Staatsbürger und im entsprechenden Landkreis wohnen und nicht vorbestraft sein. Die Auserwählten haben die Möglichkeit, beim Gericht zu beantragen, von der Pflicht entbunden zu werden, wenn sie gute Gründe dafür haben.
Die eigentliche Auswahl beginnt dann mit der Vorladung, oft werden 50 oder mehr vorgeladen. Die Anwälte beider Seiten haben dann die Gelegenheit, diese Auswahl intensiv zu befragen, um eventuelle Voreingenommenheit oder andere Probleme festzustellen. Gefällt ihnen ein Geschworener nicht, können sie beantragen, denjenigen aus der Auswahl auszuschliessen: entweder wegen einem erwiesenen Vorurteil etc. oder, eine sehr begrenzte Zahl, auch ohne Grund. Entscheiden muss der Richter.
3. Ist die Jury dann etabliert und vereidigt, beginnt die Hauptverhandlung: mit dem Eröffnungsplädoyer der Staatsanwaltschaft. Hier kann der Staatsanwalt der Jury eine Art Landkarte des Verfahrens präsentieren, also vorlegen, welche Anklagetheorie er hat, ankündigen, welche Beweismittel er hat usw. Meistens dauert so ein Plädoyer ein paar Stunden.
4. Danach hat die Verteidigung die Gelegenheit, ein ebensolches Eingangsplädoyer zu halten. Sie kann aber auch dieses verschieben bis zum Beginn ihres "Teils." (siehe unten)
5. Danach beginnt die Beweisaufnahme: die Staatsanwaltschaft eröffnet diese nun mit dem Aufruf ihrer Zeugen und Gutachter. Meist beginnt sie mit dem Aufruf der Polizeibeamten, die zuerst am Tatort eintrafen, um den Geschworenen mehr oder weniger chronologisch zu zeigen, wie sich der Fall entwickelt hat.
Während der Beweisaufnahme hat die Verteidigung das Recht, gegen bestimmte Zeugen, Aussagen usw. Einspruch einzulegen, sofern sie diesen mit den gesetzlichen Regeln begründen kann. Entscheiden muss der Richter, der dadurch einen grossen Einfluss auf das Verfahren hat.
6. Nachdem die Staatsanwaltschaft ihren Teil abgeschlossen hat ("the people rest") hat nun die Verteidigung ihrerseits die Gelegenheit, ihre Zeugen usw. zufzurufen. Hat sie ihr Eingangsplädoyer noch nicht gehalten, wird sie es jetzt tun. Die Staatsanwaltschaft hat das gleiche Recht, gegen bestimmte Zeugen usw. nun Einspruch zu erheben.
7. Die Verteidigung hat die Möglichkeit, nun direkt zu beantragen, das Verfahren mit einem Freispruch zu beenden (motion for directed verdict), bevor sie ihre eigenen Zeugen aufruft, mit der Begründung, es sei offensichtlich, dass die Anklage keine überzeugenden Beweise vorgelegt habe. Das geschieht aber seltenst, denn die Staatsanwaltschaft wird einen extrem dünnen Fall seltenst zum Prozess bringen. Der Richter hat zu entscheiden.
8. Während dem Verfahren hat die Verteidigung ebenfalls die Möglichkeit, zu beantragen den Prozess für gescheitert zu erklären, und von vorne zu beginnen, weil im Verfahren ein grober Fehler begangen wurde und die Jury nicht mehr fair urteilen kann (mistrial). Das kommt ab und zu mal vor und ist dann eine grosse Peinlichkeit für die Staatsanwaltschaft.
9. Wenn auch die Verteidigung alle ihre Zeugen und Beweise vorgelegt hat, wird die Beweisaufnahme geschlossen. Dann beginnen die Schlussplädoyers. Zuerst die Verteidigung, dann die Staatsanwaltschaft: die Anwälte fassen die Beweisaufnahme zusammen und versuchen die Jury zu überzeugen, warum ihre Meinung die richtige ist und die Jury eben verurteilen oder freisprechen soll.
10. Ist auch das vorbei, wird der Richter der Jury das Gesetz vorlegen und erklären, also welche Bedingungen nach dem Gesetz vorliegen müssen, um einen Angeklagten schuldig zu sprechen. Dazu gibt es bestimmte schriftliche Anweisungen, welche die Jury bekommt.
11. Ist auch das vorbei, zieht sich die Jury zur Beratung zurück. Sie kann beantragen, bestimmte Beweismittel oder auch Zeugenaussagen noch einmal schriftlich vorgelegt zu bekommen. Auch hier entscheidet der Richter. Die Beratungen dauern zwischen Stunden und Tagen. Niemand, auch der Richter nicht, darf an den Beratungen teilnehmen.
12. Am Ende dann teilt die Jury dem Richter mit, dass sie sich auf ein Urteil geeinigt hat. Der Vorsitzende der Jury, der von den Geschworenen selbst gewählt wird, teilt dem Richter das Urteil schriftlich mit. Kann sich die Jury partout nicht einigen, teilt sie das ebenfalls mit. In dem Fall muss der Richter den Prozess für gescheitert erklären (mistrial) und die Jury entlassen. Die Staatsanwaltschaft hat dann die Möglichkeit, einen erneuten Prozess zu beantragen, und alles muss von vorn beginnen. Sie muss das aber nicht.
13. Hat die Jury ein Urteil gefällt, das nur "schuldig" oder "unschuldig" zu jedem Anklagepunkt lauten kann, wird im Gerichtssaal dieses dann verkündet.
14. Spricht die Jury den Angeklagten frei, ist das das absolute Ende des Verfahrens. In den USA hat die Staatsanwaltschaft kein Recht, Berufung oder Revision oder Wiederaufnahme zu beantragen. Der Angeklagte ist endgültig frei.
15. Spricht sie den Angeklagten aber schuldig, beginnt dann eine weitere Phase des Prozesses: im Fall, dass die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe beantragt hat, muss die Jury nun in einem zweiten Verfahren darüber entscheiden. In allen anderen Fällen wird die Jury nun entlassen, denn der Richter legt allein das Strafmass fest.
16. Bevor das Strafmass festgelegt wird, haben wieder beide Seiten die Möglichkeit im Rahmen der Gesetze für eine harte oder milde Strafe zu plädieren, und dafür wiederum Zeugen aufzurufen. Sehr wichtig wird dann auch der sogenannte "pre-sentence report," in dem Gutachter wie Psychologen usw. eine Empfehlung nach Betrachtung des Verurteilten abgeben. Daher dauert es auch in der Regel mehrere Wochen, bis nun das Strafmass verkündet wird.
17. Ganz wichtig ist auch, dass in diesem Teil des Verfahrens die Geschädigten bzw. ihre Angehörigen das Recht haben, direkt vor Gericht zu sprechen (victim impact statement).
18. Ganz am Ende des Prozesses nun wird der Richter das Strafmass verkünden. In den USA wird für jeden einzelnen Anklagepunkt ein gesondertes Strafmass verkündet, aus dem ergibt sich dann eine Gesamtstrafe, die manchmal freilich etwas skurril lautet: 5x lebenslänglich zum Beispiel. Natürlich wird der Verurteilte nur einmal bis zu seinem Tod in Haft bleiben, aber so wird jedem Opfer ein gewisser Respekt erwiesen.
19. Nach dem Prozess hat nun die Verteidigung die Möglichkeit, Revision einzulegen (appeal), aber das ist nicht mehr Teil dieses Verfahrens, daher lassen wir die Darstellung hier enden.
:)