Es ist hier etwas still geworden um diesen spektakulären Fall, aber hinter den Kulissen ist durchaus einiges los. Wer das amerikanische System in Strafprozessen kennt, weiss, dass die Entscheidung über Schuld oder Unschuld bei einer Jury liegt. Diese wird aus dem pool der im Landkreis des Gerichtsitzes, in der Regel der Landkreis des Tatorts, lebenden Staatsbürger über 18 Jahre zunächst per Zufallsgenerator ausgewählt.
Es werden bei grossen Verfahren in der Regel eine Vielzahl der benötigten 12 Juroren plus 3-4 eventuellen Ersatzjuroren in der Vorauswahl einberufen, das können durchaus 50 oder mehr sein. Es gibt eine grosse Anzahl von Gründen, warum ein Juror der Vorauswahl dann abgelehnt werden kann, z.B. weil er mit dem Angeklagten oder einem Opfer verwandt, befreundet usw. ist, weil er eine vorgefertigte Meinung hat, weil er gesundheitlich dem Verfahren nicht gewachsen ist und so weiter und so weiter. Daher die grosse Zahl der Vorauswahl, aus der dann 12 Juroren ausgewählt werden.
Der Prozess beginnt mit diesem Auswahlverfahren, dem sogenannten "voir dire" (alt-französisch für "die Wahrheit sagen"). Sowohl der Richter, als auch beide Seiten durch ihre Anwälte, können die Mitglieder der Vorauswahl befragen und ggf. ablehnen.
In diesem Fall aber sind wir noch nicht in dieser Phase. Die Verteidigung hat beantragt, den Prozess aus dem ländlichen Landkreis Latah in einen anderen, städtischeren Kreis zu verlegen, da sie befürchtet, dass die potentiellen Juroren hier eine vorgefasste Meinung haben, die gegen den Angeklagten sei. Begründet wird das unter anderem mit dem sehr grossen Medienrummel rund um die Morde. Ungefähr die Hälfte der Bewohner des Landkreises lebt in der Universitätsstadt, die Tatort war. Unzweifelhaft ist, dass gerade dort die Betroffenheit hinsichtlich der Tat sehr gross war.
Nach dem Gesetz von Idaho muss die Verteidigung einen solchen Antrag begründen, es reicht nicht, nur auf die geringe Grösse des Kreises zu verweisen und nur abstrakt "Medienrummel" festzustellen.
Und da kommen wir zum derzeitigen Problem: die Verteidigung hat nun einen Experten beauftragt, 1% der potentiellen Juroren, 400 Personen, nach statistischem Zufallsverfahren ausgewählt, zu befragen, wie es mit der aus den Medien gewonnenen Information zum Verfahren und ggf. Vorurteilen aussieht.
Dazu hat der Experte diesen 400 Personen konkrete Fragen gestellt, ob sie bestimmte Informationen besitzen usw. Dabei hat er wohl auch Fragen so gestellt, die faktisch falsch sind, um herauszufinden, ob die Personen diese falschen Informationen als richtige annehmen.
Die Staatsanwaltschaft hat nun den Richter angerufen und verlangt, die Befragung sofort einzustellen, da die Verteidigung hier Informationen, richtige und falsche, "verbreite" und daher gegen eine sogenannte "gag order" verstosse.
Der Richter hat der Staatsanwaltschaft zugestimmt und die Befragung gestoppt.
Die Verteidigung argumentiert aber, dass es genau so einer Befragung bedarf, um eben herauszufinden, wieviele Personen bereits evtl. auch falsche Informationen verinnerlicht haben und daher nicht geeignet sind, Juroren in dem Verfahren zu sein, und daher ihren Antrag auf Verlegung des Prozesses zu begründen.
https://www.foxnews.com/us/idaho-murders-kohberger-defense-reaching-out-potential-jurors-survey-before-judge-banned-contactDie Staatsanwaltschaft lehnt die Verlegung interessanterweise genau mit dem Argument ab, dass eben eh schon soviel Medienberichterstattung stattgefunden habe, und daher es egal sei, wo man den Prozess abhalte, da alle potentiellen Juroren dieser Berichterstattung ausgesetzt worden seien.
Der Richter hat noch nicht über die Verlegung entschieden.
Einige Fachleute sehen in der Befragung durch den Experten kein Problem und kritisieren den Beschluss des Richters. Dem schliesse ich mich an, wobei ich allerdings, wie die Öffentlichkeit, den konkreten Fragenkatalog nicht kenne.
Das Problem der Medienberichterstattung und daher potentieller Vorbeeinflussung von Juroren ist natürlich heute, angesichts der Flut von Informationen, falsch und korrekt, ein grosses geworden, das so vor 50 Jahren noch nicht existiert hat.
Egal wo der Prozess am Ende stattfindet, wird das
voir dire sicherlich noch sehr intensiv werden.