Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre
24.10.2019 um 15:14Lichtenberg schrieb:Das Gericht (korrekt: die Große Strafkammer) ist verpflichtet, Beweisanträgen nachzugehen. Das Gericht darf Beweisanträge nur dann ablehnen, wenn diese offensichtlich(!) nur der Verfahrensverzögerung dienen (damals nannte man das "Telefonbuchanträge"). Wenn es andere Gründe gegeben haben soll, dass kein "Gegen-" Gutachten in die Verhandlung eingeführt wurde, dann liegen diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beim Verurteilten begründet.Da ist dann auch mal auszusprechen, dass es natürlich nicht immer am bösen und unfähigen Gericht liegt, wenn ein Prozess verlorengeht. Selbstverständlich spielen Kompetenz, Sachkenntnis, forensische Erfahrung eines Verteidigers, wie in jeder anderen Prozessart auch, eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Im Zivilprozess wird ein Verschulden des Anwalts, etwa die Versäumung der Frist in Bezug auf die Einlegung eines Rechtsmittels, der vom Anwalt vertretenen Partei zugerechnet, wenn der Anwalt die Fristversäumnis nicht genügend entschuldigt. Schon einige Leute haben auf diese Weise erfahren müssen, dass sie gegen ein sie belastendes Urteil nicht mehr in Berufung konnten, weil ihr Anwalt die Frist verbaselt hat. Daher sind Anwälte auch verpflichtet, sich zu versichern, damit ein dem Mandanten aus ihrem Fehlverhalten entstehender Schaden ausgeglichen werden kann.
Im Strafprozess kann ein unterlassener Beweisantrag des Verteidigers eben auch böse Folgen haben, an denen dann nicht das Gericht schuld ist.
Natürlich merken Richter anhand der Schriftsätze von Verteidigern oder anwaltlichen Prozessbevollmächtigten recht schnell, wes Geistes Kind der betreffende Anwalt ist. So weit es geht sind Richter auch meistens geneigt, Prozessbeteiligten, die mit einem unfähigen Anwalt geschlagen sind, zu helfen. Das hat aber natürlich seine Grenzen, denn Richter sollen ja im Rahmen der jeweiligen Prozessordnung unparteiisch sein und nicht einer Seite im Prozess übermäßig unterstützen.
Was ich damit sagen will: Es wäre damals Sache der Verteidigung gewesen, mit einem Beweisantrag auf ein Gegengutachten zu kommen. Futter dafür gab es anscheinend genügend. Dass dann kein Beweisantrag gestellt wurde, ist nicht dem Gericht anzulasten