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Der beim weiblichen Homo sapiens – im Vergleich mit allen anderen Menschenartigen – sehr enge Beckenkanal ist insofern besonders bemerkenswert, als die Gehirngröße eines Neugeborenen bei Homo sapiens ohnehin nur ungefähr 28 Prozent der Gehirngröße des Erwachsenen beträgt. Ein Schimpanse wird hingegen bereits mit 40 Prozent der Gehirngröße seines ausgewachsenen Individuums geboren,[90] und auch der frühe Homo erectus wurde im Altpleistozän – vor mehr als einer Million Jahren – vermutlich noch mit rund 35 Prozent der Gehirngröße des Erwachsenen geboren, [42] obwohl dessen Beckenkanal bereits deutlich größer war als der von Australopithecus afarensis. Makaken werden sogar mit 70 Prozent des Gehirnvolumens ausgewachsener Artgenossen geboren.[91]
Vergleichsweise verlangsamt im Vergleich mit Homo erectus ist bei Homo sapiens auch das Größenwachstum des Gehirns in den Monaten nach der Geburt. Dies wurde abgeleitet von einem 1939 auf Java entdeckten Kinderschädel („Mojokerto child“; Archivnummer Perning I), den man 1994 mit Hilfe der 40Ar-39Ar-Methode auf 1,8 Millionen Jahre datierte. 2004 wurde dem Kind ein Lebensalter bei Todeseintritt von ungefähr einem Jahr und ein Gehirnvolumen von ungefähr 70 bis 90 Prozent eines Erwachsenen zugeschrieben; zum Vergleich: Kinder von Homo sapiens haben im Alter von einem Jahr erst ungefähr 50 Prozent des Gehirnvolumens eines Erwachsenen.[91]
Hieraus können zwei evolutionäre Trends für die Entwicklungslinie abgeleitet werden, die zu den heute lebenden Menschen führt: zum einen vergrößerte sich der Beckenkanal, was auf den Durchtritt eines schon vor der Geburt immer größer gewordenen Gehirns schließen lässt;[92] zum anderen wurde das Gehirn – im Verhältnis zu seiner Größe beim Erwachsenen – bei der Geburt immer kleiner. Das Gehirnwachstum wurde somit in erheblichem Maße in die Zeit nach der Geburt verlegt, was eine deutliche Verlängerung der Kindheit und der mit ihr verbundenen, verlängerten sozialen Fürsorge durch Erwachsene schon vor 160.000 Jahren[93] zur Folge hatte: Die Phase von Kindheit, Jugend und Adoleszenz – die zugleich eine Phase der Erziehung und des intensiven sozialen Lernens ist – dauert beim anatomisch modernen Menschen doppelt so lang wie bei den Schimpansen und führte zu einer Verlängerung des Intervalls zwischen zwei Geburten. Auch im Vergleich mit den Neandertalern war die Entwicklungsgeschwindigkeit eines Kindes von Homo sapiens wesentlich langsamer.
Wikipedia: Hominisation