@Merowinga Die Wissenschaft verfolgt nicht das Ziel die Gesamtheit des Seins bis in die letzte Facette zu klären. Biologen, Chemiker, Physiker und was es noch alles gibt, arbeiten vor allem an praktischen Modellen, um die Natur möglichst genau qualitativ und quantitativ zu beschreiben.
Die Physik beispielsweise verfolgt insbesondere zwei Ansätze: Zum einen werden mit Hilfe von Experimenten gezielt Fragen an die Natur gestellt, um direkt empirisches Wissen zu generieren. Zum anderen wird von der theoretischen Seite mit Hilfe der Mathematik versucht das empirische Wissen auf einen kleinsten Nenner zu bringen, um fundamentale Axiome zu formulieren, die gerne auch ehrfurchtsvoll als "Naturgesetze" bezeichnet werden, sowie neue Vorhersagen zu treffen, um gezielt neue Fragen an die Natur stellen zu können.
Die Natur ist dabei der Richter: Treten die Vorhersagen ein, dann spricht dies natürlich für das Modell und stärkt sein Fundament. Falls es zu Widersprüchen kommt, muss das Modell verbessert oder verworfen werden.
Newton beispielsweise erkannte drei bzw. vier fundamentale Prinzipien der Bewegung, seine berühmten Newtonschen Axiome der Dynamik. Auf der Grundlage dieser Axiome kann die gesamte klassische Mechanik hergeleitet werden, man benötigt lediglich Kenntnis (etwas) höherer Mathematik.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verdichteten sich die Hinweise, dass die Mechanik nach Newton nicht der Weisheit letzten Schluss darstellen kann: Zum einen stellte man fest, dass die Lichtgeschwindigkeit immer den gleichen Wert besitzt - egal mit welcher Geschwindigkeit wir uns bewegen! Oder, dass die Bahn des Merkur nicht vollkommen stabil ist, sondern ihr sonnennächster Punkt langsam um die Sonne wandert (Apsidendrehung). Auch durch Gezeiteneffekte oder den störenden Einfluss der anderen Planeten unseres Sonnensystems konnte dies nicht zufriedenstellend erklärt werden.
An dieser Stelle setzen die allgemeine und die spezielle Relativitätstheorie an: Sie verbessern die Newtonsche Mechanik sowie sein Gesetz der Gravitation und formulieren erstmals eine Art Ursache (Krümmung der Raumzeit) für die Gravitation - fernab der rein phänomenologischen Beschreibung über ein Kraftgesetz.
Mit diesen neuen Modellen kann die Apsidendrehung des Merkurs genauso gut verstanden werden wie die gravitative Ablenkung von Licht oder all die merkwürdigen Effekte, die auftreten, sobald wir uns der Lichtgeschwindigkeit nähern. Vorhersagen der SRT undf ART konnten im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder mit erstaunlicher Genauigkeit bestätigt werden. Als Sahnestück ergibt sich die klassische Mechanik nach Newton als Grenzfall für niedrige Geschwindigkeiten und mäßig starke Krümmungen der Raumzeit - also menschlichere Größenordnungen.
Heute ist die ART ein unverzichtbares Hilfsmittel, um die Strukturen im Kosmos sowie die Entwicklung des Universums als Ganzem zu verstehen. Ob innerhalb der nächsten Jahre oder erst im nächsten Jahrhundert: Neue Beobachtungen, wie etwas das Phänomen der dunklen Materie oder der dunklen Energie, könnten möglicherweise in Zukunft zu einer neuen, besseren Theorie oder aber einer Erweiterung der ART führen.
Bis dahin bleibt sie das Maß aller Dinge zur Beschreibung des Phänomens "Gravitation" auf großen Längenskalen. Nicht mehr, nicht weniger versteht ein Wissenschaftler darunter, wenn von einer wissenschaftlichen Theorie gesprochen wird. Ein wissenschaftliches Modell "ist" nicht die Natur, es bildet unsere experimentell erfahrene Wirklichkeit nur möglichst gut ab.