KL21 schrieb:nur ist es eben so, das vor allem auch in dem Thread hier, der Auslegungsfaktor eine größere Rolle zu spielen scheint. Wo gehen da die unterschiedlichen Gemeinschaften konform und wo nicht ?
Im Dialog miteinander läuft das. In immer mehr Themenfeldern. Seit ca. Mitte des 20.Jh. wird die theologische Debatte immer stärker unter Einbeziehung theologischer Beiträge anderer Gemeinschaften als der eigenen in den Kirchen geführt. Kaum ein wissenschaftlicher theologischer Kommentar oder eine systematisch-theologische Schrift (also Bibelauslegung und "Dogmatik"), in dem nicht die evangelischen, katholischen, orthodoxen Auffassungen berücksichtigt und positiv aufgegriffen werden, selbst jüdische Arbeiten und seit einiger Zeit zuweilen auch muslimische Sichtweisen. Hab hier z.B. ein Standardwerk zur wissenschaftlichen Textkritik des jüdischen Professors
Emanuel Tov, eines Israelis, der erst in Jerusalem lehrte, später in Großbritannien, den Niederlanden und den USA. Erschienen ist sein Werk im wissenschaftlichen Kohlhammer-Verlag, in dem viele evangelische, katholische, aber auch interreligiös thematisierte Fachpublikationen erscheinen. Es ist überhaupt keine Seltenheit, daß die evangelischen und katholischen Fakultäten in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern, Gastprofessoren aus anderen Konfessionen heranziehen, aber eben auch Gastvorlesungen von Theologen anderer Religionsgemeinschaften (speziell des Judentums) anbieten.
KL21 schrieb:Es wird das Trennende betont, wenn es um Schafe und Böcke oder Gläubige und Ungläubige geht.
Es wird das Verbindende betont, wenn wir erkennen, daß die Werke für alle Menschen unterschiedslos von Belang sind, und wenn wir darauf verweisen, daß Der, Welcher uns Christen im Glauben rettet, auch die Nichtglaubenden gnädig freisprechen wird, aufgrund des selben Erlösungsangebot. Schon Paulus verwies darauf, daß Juden wie "Griechen*" gleichermaßen vor der Werksgerechtigkeit stehen und an der Werksgerechtigkeit scheitern, und daß Juden wie "Griechen" auf Gottes Gnade angewiesen sind (Römerbrief, mehrere Kapitel). Paulus sagt "Da ist nicht Jude noch Grieche [...] sondern alle sind einer in Christus" (Galater3,28).
[*
"Grieche" ist für Paulus geradezu ein Synonym für "Nichtjude".]
KL21 schrieb:Es soll nichts hinzugefügt und nichts dabei weg genommen werden. Was aber bei genauem Hinsehen immer dann geschieht, wenn unterschiedlich ausgelegt wird, weil eben unterschiedlich verstanden.
Ein unterschiedliches Verstehen ist was anderes als Hinzufügen oder Weglassen. Paulus jedenfalls schreibt, daß es unter den Christen verschiedene Auffassungen geben müsse, damit sich das Richtige bewähren kann (1.Korinther11,19). Er setzt also genau auf den Dialog. Unterschiedliche Auffassungen und "theologischer Streit" sind nicht Mangel, sondern Gewinn. Wer im Dialog ist, der ist nicht getrennt, der ringt um Einheit. Nicht um die Verschiedenheit. Die müßte man ja nur konstatieren.
KL21 schrieb:wenn man sein eigenes Bibelverständnis interpretiert, dann interpretiert man was man herausliest und nicht was da steht.
Auch das "Herauslesen" ist ein dialogisches Geschehen. Für jede "Kommunikation" gehören zwei Seiten. Wenn A zu B etwas sagt, dann versucht A, mit B eine gemeinsame Sprache zu finden, damit B die von A beabsichtigte Aussage verstehen kann. Und auch B muß darauf achten, welche Sprache A spricht, um ihn verstehen zu können. Stehen zwei Personen einander gegenüber, können beide Seiten diese Voraussetzungen für Kommunikation berücksichtigen. Ist A hingegen eine mehrtausendjährige Schrift aus einer anderen Kultur, wird es natürlich deutlich schwieriger, das ist man klar. Und je weniger Person B, der Leser der Schrift A, vom kulturellen Kontext jener Zeit und Gesellschaft weiß, desto eher kann er diese Schrift eben nur auf dem Hintergrund seiner eigenen Zeit und Kultur lesen und interpretieren.
Deswegen setzt die Theologie schon seit langem in der Exegese (wissenschaftliche Bibelinterpretation) auf die sogenannte Historisch-Kritische Exegese. Also auf genau die Berücksichtigung der Sprache, des kulturellen Kontextes, der Vorstellungswelt, Denkweise etc. jener Zeit und Gesellschaft, in der die biblischen Texte entstanden sind. Und diese Ergebnisse kommen in Fach- und Sachliteratur heraus, werden auch in Predigten und Gemeindearbeit vermittelt.
Andererseits hat aber auch die "unverbildete" Varriante ihre Berechtigung, also das Lesen und Interpretieren der Schrift ohne nennenswerte Vorkenntnisse des historisch-kulturellen Hintergrundes. Das ist dann Kommunikation, wie sie schwerpunktmäßig in der Kunst stattfindet. Beim Betrachten eines Gemäldes oder einer Skulptur obliegt es dem Betrachter, was das Kunstwerk "ihm sagt". Das hat seine Berechtigung, kann aber eben nur individuell gelten. Hier befinden wir uns im Bereich des Meditativen, der persönlichen Spiritualität. Daneben gibt es auch wissenschaftliche Analysen unter Berücksichtigung des Gesamtwerk des Künstlers sowie dessen Biographie, Zeit und Gesellschaft, ebenso dessen eigener Schriften, in denen er sich womäöglich über das Anliegen seines Kunstschaffens äußert. Das wäre dann das, was die Historische Kritik herauszuarbeiten sucht bezüglich der Bibel. Beides hat seinen Platz im Christentum. Wie in der Kunst.
Auch ich lese zuweilen die Schrift individuell / meditativ, lasse mich also in einer Weise von ihr "ansprechen", wie sie historisch-kritisch womöglich gar nicht gemeint ist (auch wenn das recht schwerfällt, da ich mich in Sachen Historischer Kritik recht gut auskenne und das stets beim Lesen im Hinterkopf habe).
KL21 schrieb:Und genau da fängt missionieren an.
Exegese ist kein Missionieren. Dialog zum Herausfinden, was sich bewährt, ähnelt einem Missionieren ohne jeden Zweifel. Aber es ist kein Missionieren. Oder jeder wissenschaftliche Disput ist Mission. Das müßte man dann aber schon böswillig so "verstehen"
wollen!
Der Rest Deines Beitrags muß nicht eigens kommentiert werden. Alles, was dazu zu sagen wäre, hab ich hier bereits gesagt.