Heide_witzka schrieb:Die unabhängige und bewusste Entscheidung "Ich unterstütze Rechtsextreme" lässt sich in meinen Augen nicht entschuldigen. In der Wahlkabine entscheidet jeder, zumindest die Zurechnungsfähigen, ganz allein und ist eigentlich nur seinem Gewissen verpflichtet. Da nach Entschuldigungen zu suchen, erscheint mir doch etwas ärmlich.
Ja ich kann das nachvollziehen, aber dennoch finde ich, dass das nicht allen situativen Empfindungen gerecht wird. Irgendwann werden Menschen von Unmut und Frust getrieben und denken, dass sie nicht mehr abgeholt werden von bisherigen Parteien und Politik jener.
Es ist leichter sich immer distanziert hinzustellen und von einer ablehnenden Haltung auch die Frust- und Wechselwähler zu verteufeln die ja sehr wohl eine extreme Partei auch mit ihren Stimmen begünstigen, hierfür aber eine ganz andere "Rationale" und 'Rechtfertigung' anwenden. Zudem befinden sich heutzutage nicht gerade wenige Wähler mit Migrationshintergrund unter AfD-Wählern wenn man sich mal umschaut und ggf. seine eigene Blase verlässt. Dokus und Clips dazu findet man einige.
Mir ging es im Frust mal genau so. Um 2015 rum (nicht nur wegen Migration als wachsendes Thema). Das ging nicht nur mir so sondern meinem ganzen kollegialen Umfeld so, welches ich als relativ "mittig"/bürgerlich bezeichnen würde - einige konservativer, andere sozialliberal oder sozialdemokratisch in Summe. Da war man mit anderen Parteien zufrieden und empfand etwaige Missstände. Am Mittagstisch breites nicken, AfD wählen zu wollen. Zugegeben war das eine weitaus gemäßigtere andere (im Vergleich zu heute!) AfD mit nem Lucke und ner Petry on top, wo es zwar auch radikale Elemente gab aber die eher in hinterer Reihe als on top. So zumindest meine Erinnerung an damals.
Ja, es änderte sich maßgeblich unter allen gerade genannten andekdotischen Beispielen bzw. den Menschen darin und mir als die Partei abdriftete. Würde ich die gleichen Leute heute fragen würden sie ablehnend die AfD kommentieren.
Aber der Punkt ist: Wir haben alle in einem allgemein-situativen Frustempfinden damals zumindest einmal die Partei gewählt oder uns von ihr eine Art Politikwandel in diversen Bereichen versprochen, ob das jetzt irrig für manche wirken mag oder nicht. Eher rein linke Kräfte sahen sie immer kritisch und ablehnend. Wenn man immer die Partei ablehnend sah sage ich Chapeu, aber bringt halt anderen Menschen nichts die das situativ oder allgemein aus einer ganz anderen Lage betrachten. Die Partei wurde sicherlich schlimmer, aber wie gesagt, es gibt scheinbar mehr Menschen als je zuvor die diese wählen und befähigen wollen.
Mein Punkt ist, man sollte hier auch als Ottornomal - du, ich, Hinz und Kunz - bei aller verständlichen Ablehnung eine offenere Analyse zu den Gründen wagen. Zu den möglichen Gründen gehört es für mich auch die Zeichen der Zeit (steigende Preise, schwankende Wirtschaftslage/-wachstum) sowie mögliche Fehler oder Lethargien in der bisherigen Politik oder teils auch Gesellschaft zu identifizieren um Gründe für das Wachstum der AfD zu erklären als einfach nur einen kryptischen Rechtsruck in den Raum zu stellen. Der kommt ja von irgendwoher und fällt nicht vom Himmel.
Schaut man sich ehrlicher mögliche oder ganz objektiv ableitbare Gründe an, kann man auch besser Gegenstrategien entwickeln oder auch besser argumentativ mit dem Gegenüber sprechen als in in jedem Fall nur auf ad-hominem Ebene den Buhmann auch dem einzelnen Wähler der sich dahingehend ggf. outet zuzuschieben.
Weil, so wird sie nicht bekehren. Es kann natürlich individuell sein dass es wirklich ein Klischee-Rechtsextremer ist. Aber das ist nicht immer der Fall. Gerade wenn du in öffentlichen Debatten Leute vielleicht zur Selbstkritik anregen willst wäre es besser nicht belehrend stumpf Leuten so was vor die Füße zu klatschen sondern ggf. etwas bedachtsam-empathischer sehr wohl kritisch, aber zugleich auch überzeugender zu argumentieren.
Also nicht falsch verstehen: Wenn man das denn will und Leute erreichen will. Ich sage ja nicht, dass man hier anfangen muss Leute zu bekehren. Ich hab das jahrelang im Netz zu Reizthemen auch bei Konträren und Extremen und Kremlfreunden versucht. Es ist anstrengend. Aber aus der Erfahrung heraus kann ich auch sagen: Wenn man Leute noch erreichen will dann muss man seinen Duktus lieber anpassen als es rein ablehnend ohne sinngemäß ausgestreckte Hand zu tun weil dann einfach meist nur die mentalen Scheuklappen hochgehen und das Gegenüber für Argumente komplett dicht macht.
Dann geht abstrakt einfach nur Teilung und Radikalisierung der Debattenkultur weiter und jeder schimpft über den anderen und die andere Echokammer - aus seiner eigenen heraus.
Aber sorry, ich bin jetzt etwas abgeschweift. Mein ursprünglicher Punkt bleibt bestehen, dass ich finde, dass zumindest abstrakt und indirekt Teile bisherigen politischen und gesellschaftlichen Handelns zumindest partiell einen Aufwachs der AfD begünstigt haben mag. Das sollte man zumindest, selbst wenn man es kritisch sieht, nicht ganz abtun.
Ich formuliere es simpler: Wenn bisherige Parteien (die in Landesparlamenten oder im Bundestag sitzen) wachsende Nöte und Sorgen nicht aktiver angehen und es auch gut kommunizieren, fühlen sich weniger Leute abgeholt die im Zweifel dann aus Trotz oder Frust oder anderen Erwägungen ihr Kreuz bei Populisten und Radikalen/Extremisten machen.
Simples Ding gerade wenn die Zeiten wirtschaftlich oder anderweitig schwerer für viele werden.