Die inklusive Beschulung beruht auf der UN-Behindertenrechtskonvention von 2009, nach der in allen gesellschaftlichen Bereichen Barrieren und Ausgrenzungen beseitigt werden müssen. Die Aktion Mensch schreibt dazu:
Abbau von Sonderstrukturen
Getrennte Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderung, wie beispielsweise Förderschulen oder Werkstätten, müssen schrittweise aufgelöst werden. Menschen mit Behinderung haben explizit das Recht
- Bildungseinrichtungen für Menschen mit und ohne Behinderung besuchen zu können
- auf Arbeit in einem offenen, zugänglichen und inklusiven ersten Arbeitsmarkt.
Quelle:
https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion/un-behindertenrechtskonventionDen genauen Wortlaut der Behindertenrechtskonvention kann man hier lesen, man beachte im hier interessierenden Zusammenhang besonders Art. 24 "Bildung":
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/DB_Menschenrechtsschutz/CRPD/CRPD_Konvention_und_Fakultativprotokoll.pdfDass die AfD hier eine abweichende Position vertritt, überrascht einerseits nicht.
Man muss allerdings berücksichtigen, dass die gesellschaftliche Diskussion über Wege und auch Grenzen der Inklusion ebenso Angriffspunkte bietet, wie die konzeptionell, finanziell und personell oft mangelhafte Umsetzung in der Praxis.
Das Verdikt gegen Förderschulen berücksichtigt beispielsweise nicht, dass diese in Deutschland mit hervorragend ausgebildeten Fachkräften, die wie Gymnasiallehrer bezahlt werden (Besoldungsgruppe A13) nicht etwa nur ein "Sonderschulsystem" betreiben, wie es aus der Vergangenheit bekannt ist, sondern, beispielsweise in Sprachheilgrundschulen, manche Kinder erst fit für einen nahtlosen, allerdings späteren Übergang in die Regelgrundschule gemacht haben.
Zudem hat sich mit dem florierenden Privatschulsystem im Windschatten dieser Veränderungen ein Schultyp etabliert, der sich nicht in gleichem Maße dazu aufgefordert sieht, Kinder aller Lern- und Leistungsmöglichkeiten zu beschulen. Eine mir näher bekannte Privatschule etwa nimmt keine Kinder mit Hauptschulempfehlung auf- ob sie sich dann für Kinder mit Förderbedarf im Bereich Lernen verantwortlich fühlt, darf füglich bezweifelt werden. Vielleicht klagt ja mal jemand sein Kind in eine solche Einrichtung hinein - das dürfte dann aber kräftig am Geschäftsmodell der Betreiber rütteln, vermute ich.
In Fragen der Bildungspolitik versucht die AfD auch von einem Dilemma zu profitieren, in dem prinzipiell alle Eltern stecken: Den teilweisen Widerspruch, für die eigenen Kinder die besten Möglichkeiten und Zukunftschancen zu wollen, was legitim ist, zugleich aber bildungspolitisch Dinge zu fordern, die zwar den Kindern anderer zugute kommen, aber den Interessen der eigenen Kinder zum Teil zuwiderlaufen. Wenngleich auch leistungsstarke Kinder sozial von der Inklusion profitieren, darf ein leichteres Lernen der Leistungsstarken aus diesem Grund doch auch bezweifelt werden.
Meine Verwandtschaft mit SPD-Mitgliedschaft hat sich für die eigenen Kinder beispielsweise für das Gymnasium und gegen die Gesamtschule entschieden, obwohl die SPD das integrierte Schulwesen massiv unterstützt, und die Kinder dieser Verwandtschaft dort auch meiner bescheidenen Meinung nach besser aufgehoben gewesen wären. Hier hat meine Verwandtschaft offenbar individuell gegen die Linie "ihrer" Partei entschieden- wie will man da anderen vorwerfen, in eigener Sache ähnlich eigennützig zu agieren. Den anderen Wasser predigen, aber selbst den Wein bevorzugen.
Die AfD wird die bei uns allgemein anerkannte Lesart der BRK, wie sie im Zitat der Aktion Mensch zum Ausdruck kommt, nicht revidieren können. Sie wird es zudem schwer haben, ihre bildungspolitische Kompetenz nur auf der Ablehung der Inklusion zu gründen - sie wird schon auch Farbe bekennen müssen, was sie nicht nur NICHT will, sondern welchem Bildungssystem sie aktiv den Vorrang geben möchte.
Ohne mir die Sorgen der AfD zuziehen zu wollen: Keine leichte Aufgabe.
Dass die AfD vielleicht gerade die Kinder eines Großteils ihrer Anhängerschaft wieder auf die Hautpschule schicken möchte, wird sie für jene ohne eigenen akademischen Hintergrund nicht unbedingt wählbarer machen. Dass sie mit den Inklusions-Kindern ausgerechnet die fragilste Gruppe der Kinder zum Sündenbock für andere bildungspolitische Versäumnisse macht, adelt die AfD in keiner Weise.
Herr Höcke ist doch studierter Lehrer. Er wird den Widerspruch seiner Bildungspolitik für seine Wählerschaft vielleicht bewusst in Kauf nehmen. Seinen Mitstreitern geht es vermutlich um alles mögliche, aber nicht um eine bessere Bildung. Hauptsache, man thematisiert eine gesellschaftlich umstrittene Gegebenheit, und generiert aus einer Anti-Stimmung Wählerstimmen. Wie auf anderen Gebieten auch - alles wie gehabt.
Es geht nur darum, Konfliktpunkte der zurück liegenden Politik für die eigene Parteipolitik auszunutzen, mehr nicht.
Ein wenig Stimmungsmache gegen Menschen mit Behinderung nimmt man dabei in Kauf. Wie niederträchtig.