kleinundgrün schrieb:Ideell gesehen nicht. Aber der Grund, warum es so etwas wie Freundschaft überhaupt gibt (warum es ein evolutionärer Vorteil ist), ist, dass auch der Gebende profitiert. Eben später, wenn er in Not ist.
Wenn man mit dieser Erwartungshaltung lebt, dann ist man tatsächlich eigennützig, denn dann betrachtet man Freundschaft als nichts anders als ein Kredit- und Zinsmechanismus. Mit anderen Worten eine kapitalistische Form der Freundschaft. Hat man diese Erwartungshaltung besteht immer das Risiko einer Enttäuschung, wenn man gegeben hat und die Erwartung enttäuscht wurde das der andere nicht zurückgeben konnte (wann und was auch immer). Das kann entweder ein Zeichen für die eigene Eigennützigkeit oder die des Gegenüber.
Aus dem Grund hab ich keine Erwartungshaltung mehr, denn diese ist der Quell für jede Form der Enttäuschung und am Ende auch der Quell für das Kreditwesen, das ja eben auch auf der Erwartung der Rückzahlung basiert. Ich kenne keine gute Freundschaft die auf diesem Prinzip basiert, die nicht irgendwann in die Brüche gegangen ist weil die gegenseitige Erwartungshaltung zu hoch war, gleiches gilt auch für eine Beziehung und für eine Familie, ebenso für Kollegen und Genossen.
kleinundgrün schrieb:Aber genau das setzt ja die nähere Kenntnis des anderen voraus. Solange ich in der Zeitung lese: "A bringt B um" oder "A betrügt B" oder "A erschleicht Leistungen von B", wird mein Vertrauen in mir unbekannte Menschen stets erschüttert. Ich sehe dann, wenn ich selbstlos bin, ist es ein anderer vielleicht (oder eher wahrscheinlich) nicht.
Das ist nur ein Zeichen dafür das du dich zu stark von Medien beeinfluss lässt im selbstständigen Denken. Denn eines ist Fakt, die Medien geben den negativen Eigenschaften der Menschen eine höhere Bedeutung als den positiven Eigenschaften, weil sie die Sensationsquote nutzen. Dabei ist die überwiegende Mehrheit der Menschen weit weniger negativ als im falle deiner genannten Beispiele. Diese Medien zielen darauf ab Misstrauen zwischen Menschen zu verstärken, durch Spaltung und Quotensucht der Medien wird bewusst Manipulation betrieben. Natürlich passieren solche Dinge zwischen Menschen, doch Medien lenken den Fokus allein auf diese Ereignisse und deformieren damit die Realität. Ursachenforschung wird medial selten betrieben (außer im investigativen Journalismus).
Wenn man z.B. ständig Nachrichten der Springerpresse ließt, so ist es kein Wunder das man am Ende jedes Vertrauen in andere Menschen verloren hat, es würde mich auch nicht wundern wenn man am Ende zum misanthropischen Menschenfeind wird oder zum gleichgültigen Konsumenten.
Vertrauen muss man sich natürlich gegenseitig verdienen, das ist nichts das selbstverständlich ist, jedoch wenn wir in den Supermarkt gehen haben wir so viel Vertrauen zu gänzlich fremden Produkten, stammend aus fremden Händen das wir diese kaufen. Vertrauen ist im Prinzip eine Einstellungsfrage. Misstrauische Menschen haben meist selbst etwas wo sie sich selbst nicht vertrauen würden und projizieren dies dann auf andere Menschen. Eben das ist das Problem, viele Menschen gehen zu sehr von sich selbst aus und denken, dass alle so sind. Da ich ein ziemlich ehrlicher und offener Mensch bin, habe ich großes Vertrauen zu anderen, gleichzeitig habe ich eine sehr geringe Erwartungshaltung und werde so weit weniger negativ überrascht. Das kann hilfreich sein überhaupt einen Bezug zu anderen aufzubauen. Das ist eine intuitive Frage auch eine Frage von Menschenkenntnis. Ohne Empathie gibt es tatsächlich kein Vertrauen. Man kann sagen das alle Despoten, alle Großbanker, Monopolisten und Faschisten völlig empathielose Typen waren, bei den Adligen konnte man das auch sehen, die brauchten vor jedem Essen meist nen Vorkoster, bei denen ihnen das Leben des Vorkosters gänzlich egal war.
Diese empathielosen Antihumanen Menschen, diese Menschenfeinde, sie waren immer eine Minderheit und sie waren immer die mit dem größten Ehrgeiz, bzw. Machtbedürfnis. Diese Menschen besitzen meist auch die größten Komplexe, sie sind Teil menschenverachtender Ideologien oder haben diese erschaffen.
kleinundgrün schrieb:Aber auch hier gibt es zum einen Belohnungen (man erhält Lob, man wird als Mitwirkender genannt, andere verlassen sich auch einen) und zum anderen schließt man sich so einem Projekt nur an, wenn das Projekt einem am Herzen liegt. Wenn man möchte, dass es voran geht und man für diesen Wunsch auch persönliche Nachteile erträgt.
Es gibt zahlreiche Programmierer die gänzlich anonym etwas erstellt haben und in Umlauf gebracht haben, denen war es völlig egal ob sie sich damit selbst pushen oder nicht, die haben die reine Zweckmäßigkeit ihres Programms erkannt. Mit anderen Worten es ist ein Selbstläufer. Diese Egopusher sind dann die, die ihre Programme zu extremen Preisen auf den Markt schmeißen, sich mehr um den Kopierschutz kümmern und weniger auf die Qualität des Produkts achten als auf den Zweck zu achten. Generell sind es die Menschen die sich durch ihr und nur ihr Produkt oder gar sich selbst vermarkten, die auch die größten Feinde eines gemeinschaftlichen Nutzen ihres Erzeugnisses sind. Tatsächlich blüht die Innovation im OpenSource Sektor weit mehr als im kommerziellen Sektor, denn der basiert nicht auf Akkumulation.
kleinundgrün schrieb:Natürlich kann man argumentieren, dass gerechtere Systeme auch mehr Zuspruch erfahren. Aber was ist mit denen, die sich dennoch benachteiligt fühlen (ohne es vielleicht zu sein)? Werden die ausgewiesen? Gezwungen mitzumachen (und wenn ja, wie)?
Zwang war schon immer kontraproduktiv für Menschen, diese Option ist auch nicht die Basis für einen Kommunismus/Anarchismus, die Basis ist eben das Gewinnen von gegenseitigen Vertrauen. Menschen sind nicht statisch und sie können sich mit bestimmten Anreizen entwickeln. Es gibt immer Situationen bei denen großer Druck herrscht oder man zu etwas gezwungen ist weil es die Situation erfordert, nur entsteht dieser "Zwang" durch die Situation selbst. Man ist gezwungen zu handeln, man ist gezwungen ein Problem zu überwinden. Im Kapitalismus gibt es den Zwang bestimmte Leistungen zu erfüllen um sich einen Lebensstandard sichern zu können, in einem Kommunismus gäbe es den Zwang ein gerechte Verteilung zu schaffen. Jedoch ist der Zwang in beiden Fällen nicht systemischer Natur, er ist rein situationsbedingter Natur.
Der Irrglaube im Staatssozialismus war es, den Menschen per Gesetz oder per Jahresplan etwas aufzuzwingen, ohne die nötige Problem und Situationsanalyse zu machen. Damals gab es kaum Möglichkeiten etwas genau zu berechnen und dann wurde es eben von der Elite beschlossen. Heute kann man das durch Netzwerke gänzlich dezentral organisieren. Beim Hochwasser an der Elbe konnte man das perfekt beobachten, einzelne kleine Netzwerke haben analysiert wo und wann Hilfe gebraucht wird, die einzelnen Leute haben sich dann über das Internet informiert und haben sich an den Stellen gemeldet wo ihre Hilfe nötig war. Es gab keine Probleme bei dieser dezentralen Organisation, im Gegenteil an den Stellen wo sogar schon zu viele Helfer waren, wurde sofort nach Mängeln gesucht, man hat diese dann zu den stellen verteilt wo Hilfe nötig war. Das ist das dezentrale, anarchistische Organisationsprinzip ganz praktisch und unkompliziert. Genau das Prinzip ließe sich auch perfekt auf die Produktion übertragen. Wenn man das verstanden hat wird man auch erkennen wie unkompliziert und einfach ein Kommunismus wäre. Bisherige Systeme waren einfach noch nicht reif für einen Sozialismus, Kommunismus und Anarchismus (die ich alle im Zusammenhang betrachte).
Umwege über höhere Instanzen schaffen nur Energie- und Zeitverschwendung, erst die Zentralisierung schafft diese Verkomplizierung am Ende eben auch Bürokratisierung. In der Hinsicht sind sich Kommunismus und Liberalismus sogar recht ähnlich, dabei beide auf eine Dezentralisierung aus sind.