Optimist schrieb:"Staaten- und Herrschaftslosigkeit" klingt echt gut.
Nur wie soll das in der Praxis aussehen? Bzw, wer soll darüber "wachen" (im Sinne von "Zügel in die Hand nehmen"), dass auch wirklich Alle an einem Strang ziehen und nicht die einen hü und die Anderen hot wollen?
Das kann natürlich nur auf Basis freiwilliger Assoziation funktionieren. Die Räterepublik war so ein Modell und auch der Syndikalismus. Gerade durch die Infrastruktur der digitalen Massenkommunikation, ergeben sich selbstverständlich ganz neue Möglichkeiten. Das erfordert natürlich einen andauernden Willen zur Partizipation. Politik als Dienstleistungsgewerbe gibt es dann nicht mehr.
Optimist schrieb:Oder glaubst du, sowas regelt sich dann alles von selbst, wenn es keine Strukturen und Organisation mehr gäbe?
Aber WENN es noch Organisation gäbe, dann müsste es auch jemanden geben, der den Hut auf hat
Nein, nur glaube ich nicht an Blaupausenentwürfe. Viel mehr müssen Strategien für eine Transformation her. Das eine Hierarchie jedoch immer vertikal sein muss, ist nicht korrekt. Es gibt gerade heute mehr Möglichkeiten zur Meinungsfindung als je zuvor. Genau dort liegt ja das Problem des Kapitalismus. Er gibt uns früher oder später alle nötigen Werkzeuge an die Hand, aber lässt die Verwendung nur im Rahmen der Kapitalverwertung zu. Mit der heutigen Technologie könnte man die Möglichkeiten individueller Freiheit deutlich effektiver ausloten, wenn tatsächlich die Bedürfnisse der Menschen und nicht die Kapitalakkumulation die treibende Kraft wäre.
Optimist schrieb:Ganz ohne jemanden der den Überblick behält wirds sicher auch hier auf Erden nicht gehen ;)
Das hat zwei Dimensionen:
1. Verwickelt uns der Kapitalismus in Sachzusammenhänge, die weder auf lokaler, noch auf globaler Ebene von irgendjemandem zu kontrollieren sind. Die meisten durchschauen nicht einmal einfachste Zusammenhänge. Die dadurch entstehende Unmündigkeit, ist interessanterweise effektiver als die direkte Gewaltausübung im Feudalismus. Durch die ideologische Funktion von Glücksversprechen und angeblich bereits realisierten Utopien wie "Freiheit" und "Gleichheit", besteht für den unbedarften kein Grund zum Aufbegehren, da im die zweite Natur mittlerweile wie die erste gegenübersteht. Aus gesellschafltichen Zusammenhängen werden scheinbare Naturzwänge. Wer es mit menschlicher Emanzipation ernst meint, der muss so oder so auf eine Überwindung und ein über sich hinaus wachsen des Kapitalismus hinarbeiten. Alles andere ist blanker Zynismus.
2. Lehnt auch der Anarchismus/Kommunismus keine temporären Autoritäten ab. Er verweigert sich nur der Institutionalisierung und der problematischen Dimension von dem was wir "Staatsgewalt" nennen. Ein Verein freier Menschen lässt sich nicht überstülpen. Ein gewisses Maß an einem Willen zur Utopie muss da sein. Jedoch sah es am Vorabend zur französischen Revolution auch nicht anders aus. Auch dort gab es Zweifler, die meinten man könne gar nicht ohne Autokraten, da es ja immer so gewesen ist. Und auch ein Thomas Hobbs, ist dieser Denkweise noch verhaftet gewesen (und wirkt mit seinem absolutistischen Politikverständnis ironischerweise sogar auf liberale Verfechter der Republik nach). Die Demokratie war lange Zeit ebenfalls eine Utopie, die als einmaliger Sonderfall der griechischen Geschichte belächelt wurde.