Amerikanische Todesschwadrone im Irak?
18.09.2006 um 15:20
(16.04.2006)
Hitlers Todesschwadron vor Palästina Spektakulärer Funddeutscher Historiker: Wie die SS die Juden
im Nahen Osten ermorden wollte
Von Thomas Lackmann
Haifa 1942. Die kleine Ruth hört im Radio,dass Rommels Afrika-Korps näher rückt. Als ihre Familie aus dem fränkischen Burghaslachvertrieben wurde, hatte der Kleinstadt-Mob geschrien: „Ihr seid noch nicht in Palästina.“Nun lebt sie im Land der Zuflucht – in neuer Angst.
Die Wehrmacht steht vorKairo. Den Libanon und Syrien halten mit dem „Dritten Reich“ verbündete Italiener undVichy-Franzosen. „Da fuhr der Mufti von Jerusalem zu Hitler“, erinnert sich die nachDeutschland zurückgekehrte Ruth Lapide 60 Jahre später. „Der versprach dem Mufti, die 600000 Juden von Palästina bald nach Auschwitz zu deportieren. Das wussten wir.“ ImRückblick dieser Überlebenden verbindet sich Angst vor Rommels Vormarsch mit den „ärgstenBombennächten“ von 1941, als deutsche und französische Flieger Haifa angriffen, denletzten Mittelmeer-Hafen der Engländer.
Dass Juden auch außerhalb Europas durchdeutsche Mordpläne bedroht waren, wurde bislang – trotz solcher Zeitzeugen-Berichte –kaum wahrgenommen. Es ist kein Geheimwissen, dass seinerzeit Planungen für ein KZ beiShanghai bestanden, dass arabische Führer mit NS-Funktionären konferierten. Dochverbreiten konnte sich die Vorstellung, Flüchtlinge seien damals außerhalb Europas sichergewesen. Umso mehr hat nun ein 23-Seiten-Aufsatz mediale Betroffenheit ausgelöst,erschienen unter dem Titel „Beseitigung der jüdisch-nationalen Heimstätte in Palästina“;in einem Sammelband („Deutsche, Juden, Völkermord. WBG, 340 S., 59,90 Euro) mit demUntertitel: „Der Holocaust als Geschichte und Gegenwart“.
In ihrem Beitragverbinden Klaus Michael Mallmann und Martin Cüppers von der Forschungsstelle Ludwigsburgbekannte Fakten mit einer spektakulären Entdeckung: 1942 wartete ein deutsches„Einsatzkommando Ägypten“ in Athen darauf, hinter der Afrika-Front seine Tätigkeitaufzunehmen. Geführt wurde diese Truppe – sieben junge, als „radikaleWeltanschauungskrieger“ bezeichnete SS-Führer, 17 Unterführer mit Mannschaften – voneinem Spezialisten des Massenmords, Walther Rauff.
Rauff hatte unter demOrganisator des Holocaust, Reinhard Heydrich, Karriere gemacht. In der UdSSR war er für20 Vergasungs-Lkw – seine Erfindung – zuständig gewesen. Die Wehrmachtsführung vermerkt,Rauffs mobiles Orient-Kommando erhalte Weisung von Himmler und führe „Aufgaben in eigenerVerantwortlichkeit durch. Es ist berechtigt, im Rahmen seines Auftrages in eigenerVerantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen zu treffen“: So lautetenauch Einsatzbeschreibungen der Mord-Kommandos an der Ostfront.
Am 20. Juli 1942fliegt Rauff in das libysche Tobruk zum Gespräch mit Marschall Rommel, der sich jedochbereits 500 Kilometer östlich mit der Schlacht von El Alamein beschäftigt. Offiziell wirdder Obersturmbannführer einem Stabsoffizier der Panzerarmee unterstellt. Sobald Ägyptenerobert sei, soll sein am 29. Juli in Athen eintreffendes Kommando nach Tobrukweiterfliegen: um, folgern die Autoren, im angrenzenden Palästina „in erster Linie gegenJuden aktiv (zu) werden“.
Die Brisanz der Aktenfunde erhöht sich durch denstrategisch-ideologischen Kontext. Rommels Armee hatte die Strecke Tobruk-El Alamein inzehn Tagen zurückgelegt; genauso weit ist es nun nach Palästina. Teile des Ostheeressollen, durch den Kaukasus vorstoßend, mit dem Afrika-Korps zusammentreffen. Im November1941 hatte Hitler dem Mufti von Jerusalem in Berlin versichert, man attackierekompromisslos „die jüdische Heimstätte in Palästina“ und erstrebe „die Vernichtung des imarabischen Raum unter der Protektion der britischen Macht lebenden Judentums“. Im April1942 bittet der Mufti Außenminister Ribbentrop um Hilfe gegen die „jüdisch-nationaleHeimstätte“; als einziges Land bekämpfe sein Staat ja nicht nur Juden im eigenen Land,sondern das Weltjudentum.
Begleitet werden solche Führer-Kontakte vonantijüdisch motivierten Sympathien an der Basis, die den Deutschen im Orient häufigbegegnen. Im August 1942 bereitet der Mufti Rommels Einmarsch in Palästina durch die„Aufstellung von bandenartigen arabischen Kräften“ vor. Mit solchen einheimischenKollaborateuren rechnet auch Rauffs kleines Kommando. Hätte seine Truppe ihren Auftragerledigt, wäre in Nahost kein Judenstaat gegründet worden. Doch nach der deutschenNiederlage in der zweiten Schlacht von El Alamein am 3. September wird die Todesschwadronaus Athen abgezogen.
Ihren medialen Marktwert verdankt dieser Fund demkriminalistischen Thrill. Zudem zeigt er den deutschen Rassismus gesteigert monströs unddie Wehrmacht, ja den Helden Rommel, als Wegbereiter des Massenmords. Der politischeZündstoff des Dramas, das israelische Ängste vor einer Fortsetzung des Holocaustsplausibel macht, ist evident. De facto nimmt der Aufsatz Partei in der Endlosschleifearabisch-jüdischer Schuldzuweisungen. Und berührt ein beschwiegenes Thema, das durchIrans Staatspräsidenten Schlagzeilen machte: das gestörte Verhältnis der Öffentlichkeitin muslimischen Ländern zur historischen Wahrheit; den Schulterschluss desinformierterMenschen in der Dritten Welt mit Hitler, dem Bestrafer der Kolonialmächte.
AufSpuren dieses Geschichtskrimis war Einsatzgruppen-Spezialist Klaus- Michael Mallmann vorsieben Jahren gestoßen, als er rätselte, worauf Rauffs Truppe in Athen gewartet hatte.Plötzlich sei das nahe Tobruk an Afrikas Küste in sein Blickfeld geraten; diePuzzle-Montage begann. Viele Stücke davon hätten vorgelegen, seien nicht ernst genommenworden, sagt Mallmann: wie Hitlers Ankündigung gegenüber dem Mufti, in die Lösung derJudenfrage außereuropäische Völker einzubeziehen. Das politische Gewicht der Studie seiunbeabsichtigt, aber absehbar gewesen. Zum Herbst soll ein Buch daraus werden: „Halbmondund Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina“. Dessen Epilog, so Mallmann,werde „falsche Positionen“ heutiger Islamwissenschaftler und Arabisten attackieren,welche – „verliebt in ihren Gegenstand“ – die arabisch-muslimische Realität „nichtwahrhaben wollen“. Geschichte ist Gegenwart.
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