Narrenschiffer
Diskussionsleiter
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen
dabei seit 2013Unterstützer
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen
Sherko Fatah - Der letzte Ort
22.10.2019 um 23:29Sherko Fatah wurde 1964 in Ost-Berlin als Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen geboren, und dieser 2014 erschienene Roman thematisiert seine deutsch-irakische Zerrissenheit mit einer Entführungsgeschichte.
Der aus einer kommunistischen Familie stammende Albert ist aus Abenteuerlust in den Irak gezogen und arbeitet im Nationalmuseum mit, um antike Geschichtsschätze zu retten und zu katalogisieren, als er mit seinem irakischen Übersetzer Osama von Schiiten entführt wird. Diese übergeben die beiden an sunnitische Fundamentalisten, weil sie mit den beiden nicht so richtig was anzufangen wissen.
Einerseits geht es um die völlig zerrüttete politische Situation im Irak und um Kunsthandel, andererseits sind da die beiden Entführten unter erbärmlichsten Zuständen und quälendsten Folterungen.
Andererseits reden Albert und Osama über ihr Leben und auch den Verlust eines Staates. Albert hat die DDR verloren und erzählt Längen über seinen mit Reiserlaubnis ausgestatteten Vater und seine im Kopf wirre, verschwundene Schwester, die er liebt, und Osamas Irak ist von Fremden und von durchgeknallten Fanatikern beherrscht.
Nicht uninteressant, nur das Setup ist unstimmig. Wie es den beiden in dieser ihr Leben bedrohenden Situation wirklich geht, wird nur durch Äußerlichkeiten (Zittern, Fieber) beschrieben. Dass sie vermutlich psychisch total zerrüttet sind, kommt nicht rüber.
Bei so manchen Passagen hätte ich mir ein strengeres Lektorat gewünscht. Solche Passagen wie diese sind schon eher peinlich:
"Ich komme in Urlaubsstimmung", sagte Albert, ...Und warum en detail beschrieben werden muss, wie der junge Osama sich einen über einer Penthouse-Seite einen runterholt, entzieht sich meinem Verständnis. Wird das den Autoren vom Lektorat eingeprügelt, Pornoszenen einzubauen?
Landschaft aus Hügeln, sanft geschwungen wie ein Frauenkörper.
Das beste am Terroristsein ist wahrscheinlich, nicht mehr arbeiten zu müssen.
Besser gelungen sind die Beschreibungen der politischen Situation im Irak sowie Motivationen und Pläne der jeweiligen Entführer.
Sherko Fatah scheint ein netter Mensch zu sein, daher waren auch die Kritiken nett. Naja, ich habe mich doch streckenweise gelangweilt und darüber reflektiert, ob ich jetzt ein Buch über von einem Österreicher in einem Keller eingesperrte und gefolterte Jugendliche schreiben soll, die über das Höhlengleichnis von Platon einen Disput führen.
Infolinks im Spoiler
Verlagsinfo:
Interview:
https://de.qantara.de/inhalt/der-neue-roman-der-letzte-ort-von-sherko-fatah-ein-buch-der-missverstaendnisse-zwischen-den
Rezensionen:
https://www.sueddeutsche.de/kultur/der-letzte-ort-von-sherko-fatah-irakisches-endspiel-1.2107471
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/sinnsuche-im-irak-sherko-fatahs-neuer-roman-13169417.html