Kampf der Kulturen GIB ES NICHT
11.03.2006 um 22:35
Hier der Text von dem Link:
Huntington liegt falsch - Essay
Fast alle Konflikte finden innerhalb eines Kulturkreises statt und nicht beimZusammenprall verschiedener Zivilisationen Von Niall Ferguson
von NiallFerguson
Es ist bald 13 Jahre her, daß mein Kollege und Nachbar SamuelHuntington in der Zeitschrift "Foreign Affairs" seinen bahnbrechenden Aufsatz "Der Kampfder Kulturen?" veröffentlichte. Wie es mit Werken akademischer Weissagung geht, war dasein echter Gewinner - ganz oben auf dem Treppchen, gemeinsam mit George Kennansepochemachendem Essay "Die Ursprünge des sowjetischen Verhaltens" von 1947 über dieEindämmung ("containment") der Sowjetunion. In dieser neuen Welt, schrieb Huntington,würden die grundsätzlichen Konflikte globaler Politik zwischen Nationen und verschiedenenKulturkreisen auftreten. Die Bruchlinien zwischen den Kulturen wären die Schlachtliniender Zukunft.
Das andere große Denkstück der Zeit unmittelbar nach demKalten Krieg, Francis Fukuyamas "Das Ende der Geschichte" - veröffentlicht im Sommer1989, vor dem Fall der Mauer in Berlin -, galt innerhalb weniger Jahre erst alsvorausschauend, dann als allzu optimistisch. Insbesondere Bosniens blutiger Bürgerkriegzeigte, wie die Geschichte tatsächlich mit aller Macht in einige postsowjetischeGesellschaften zurückkehren konnte. Dagegen scheint sich Huntingtons Vision einer entlanguralter kultureller Verwerfungen geteilten Welt viel besser bewährt zu haben. In der Tatwar der Krieg in Bosnien ein gutes Beispiel für Huntingtons These, fand der Konflikt dochgenau auf der Verwerfungslinie zwischen westlichem Christentum, Orthodoxie und Islamstatt.
In Bosnien waren die Moslems die Verlierer, auch wenneine verspätete internationale Intervention ihre gänzliche Vertreibung aus dem Landverhinderte. Huntingtons Punkt jedoch war, daß der Islam sich in anderer Hinsicht imAufstieg befände, nicht zuletzt aufgrund der außerordentlich hohen Geburtenraten in denmoslemischen Gesellschaften. Die Anschläge vom 11. September wurden von vielenAmerikanern mit Huntingtons Begriffen gedeutet: es handelte sich um einen Angriff aufAmerikas "judao-christliche" Zivilisation durch die fanatischen Anhänger eines Propheten,den Juden wie Christen verachteten. Ebenso im Aufstieg begriffen sei, so argumentierteHuntington, der Konfuzianismus, die Kultur Chinas. Auch diese Vorhersage wurde vomanscheinend nicht aufhaltbaren Wachstum der chinesischen Wirtschaft bestätigt. Wiekriegen die Chinesen ohne Rechtsstaat und repräsentativen Parlamentarismus in westlicherManier hin, was wie ein dynamischer Markt aussieht? Die Antwort aus dem Effeff lautet,daß es der Konfuzianismus ist, der die Koexistenz liberaler Wirtschaft undpatriarchalischer Politik erlaubt.
Huntingtons Modell macht für einenbeeindruckend hohen Anteil der Nachrichten Sinn. Wenn junge moslemische Männer gewaltsamgegen dänische Mohammed-Karikaturen protestieren, sieht das gleich nach dem nächsten Fallzusammenprallender Zivilisationen aus. Kein Wunder, daß die Bereitschaft derBush-Regierung, ein in Dubai ansässiges Unternehmen sechs US-Häfen übernehmen zu lassen,so viele Kongreßabgeordnete verblüfft: Tut uns leid, falsche Zivilisation. Und wenn derEU-Handelskommissar Peter Mandelson protektionistische Maßnahmen gegen den Importchinesischen Schuhwerks verkündet, dann spielt auch er eine Rolle in diesem großenKulturkampf. Diese konfuzianischen Sneaker sind verdammt noch mal einfach zu billig.
In Nigeria zanken Moslems und Christen? Noch ein Punkt für Huntington. Probleme imKaukasus? Das macht zwei. Darfur? Drei - und so weiter. In der Summe ergibt das eineSchlußfolgerung, die viel beunruhigender ist als die Fukuyamas. Weit von einem Triumphanno 1989 entfernt, scheint der Westen zum Rückzug verdammt, sieht er sich doch nicht nurvon einer, sondern gleich von zwei östlichen Zivilisationen herausgefordert.
Und doch - trotz ihrer verführerischen Einfachheit habe ich die Theorie einer vomZusammenprall der Zivilisationen beherrschten Zukunft nie so ganz gekauft. Zum einen kammir der Begriff "Zivilisation" immer zu schwammig vor. Ich weiß, was eine Religion ist.Ich weiß, was ein Imperium ist. Aber, wie Henry Kissinger gesagt haben könnte, wo rufeich an, wenn ich mit der westlichen Zivilisation sprechen will? Jeder, der so oft wie ichden Atlantik überquert, begreift, wie hohl diese Phrase geworden ist. Wie es Robert Kaganschrieb - in einem weiteren großen amerikanischen Essay: "Amerikaner sind vom Mars,Europäer sind von der Venus", wenigstens wenn es um die Legitimität des Einsatzesmilitärischer Mittel geht. In so vielen Bereichen - von der Art, wie sie beten, bis zuder Art, wie sie arbeiten - trennt Amerikaner und Europäer mehr als ein Meer. Und was diejudao-christliche Zivilisation betrifft (ein Ausdruck, den Bernhard Lewis, ein weitererProphet des großen Zusammenpralls, populär gemacht hat): Ich kann mich nicht erinnern,daß es sich bei ihr in den vierziger Jahren um eine besonders harmonische Gemeinschaftgehandelt hätte.
Das eigentlich große Problem mit der Theoriejedoch haben wir genau vor der Nase. Frage: Wer hat in den vergangenen zwölf Monaten diemeisten Moslems umgebracht? Die Antwort lautet natürlich: andere Moslems. Ich sage seiteiniger Zeit voraus, daß der Irak wie ein Libanon hoch zehn enden könnte, sollte der sichbereits ankündigende Bürgerkrieg dort eskalieren. Der Anschlag auf den Schrein vonSamarra könnte der Auslöser für eben diese Eskalation sein. Hunderte Menschen starbenaufgrund eines mörderischen Wie-du-mir-so-ich-dir, und Aufwiegler wie Muktada al-Sadrschürten noch die Flammen des Hasses. Der Punkt ist, daß der Bürgerkrieg im Irak keinKrieg zwischen Zivilisationen, sondern einer innerhalb der islamischen Zivilisation ist -zwischen der sunnitischen Minderheit und der schiitischen Mehrheit des Landes.
Nun ist Huntington clever genug, sich nach allen Seiten abzusichern. Sein Aufsatzbehaupte nicht, schrieb er 1993, daß es zwischen einzelnen Gruppen innerhalb einerZivilisation nicht zu Konflikten oder Kämpfen kommen könne. Doch fuhr er mit derBekräftigung fort, daß Konflikte zwischen Gruppen aus unterschiedlichen Zivilisationenhäufiger, anhaltender und gewalttätiger sein würden als solche zwischen Gruppen ausderselben Zivilisation.
Tut mir leid, falsch.
Es istallgemein bekannt, daß die überwältigende Mehrzahl von Konflikten nach dem Ende desKalten Krieges Bürgerkriege waren. Interessant dabei ist, daß nur eine Minderheit vonihnen in Huntingtons Modell interkultureller Kriege paßt. Häufiger als nicht fanden dieKriege der neuen Weltunordnung zwischen ethnischen Gruppen innerhalb einer vonHuntingtons Zivilisationen statt. Um genau zu sein: Von 30 größeren bewaffnetenKonflikten, die entweder noch anhalten oder kürzlich zu Ende gegangen sind, können nurzehn oder elf insoweit als solche zwischen Zivilisationen angesehen werden, als einePartei mehrheitlich moslemisch und die andere mehrheitlich nichtmoslemisch war. 14hingegen waren grundsätzlich ethnische Konflikte, die schlimmsten davon jene, dieZentralafrika immer noch heimsuchen. Und mehr noch, viele jener Konflikte, die einereligiöse Dimension aufweisen, sind auch ethnische Konflikte; religiöse Zugehörigkeit hatmehr mit dem örtlichen Erfolg von Missionaren der Vergangenheit zu tun als mit deranhaltenden Mitgliedschaft in der christlichen oder moslemischen Zivilisation.
Wahrscheinlich bringt die Zukunft also eher viele lokal begrenzte Kriege - diemeisten von ihnen ethnische Konflikte in Afrika, Südasien oder dem Nahen Osten - alseinen globalen Zusammenprall der Wertesysteme. Tatsächlich würde meine Vorhersage lauten,daß genau diese zentrifugalen Tendenzen exakt jene Zivilisationen, die Huntingtonausmachte, zunehmend auseinanderreißen. Kurzum: Kein Zusammenprall, sondern einZusammenfall der Zivilisationen. Statt "Kampf der Kulturen" lies "Krampf der Kulturen".
Der Autor ist Laurence A. Tisch-Professor für Geschichte an der HarvardUniversity Aus dem Englischen von Wieland Freund
"Es bekümmert mich nicht, wenn mein Unterdrücker mir die Flügel gebrochen hat. Hingegen stimmt mich traurig, daß mein Seufzer und Klagen von niemandem gehört wird" Heman, kurdischer Dichter