Groucho schrieb:Und wenn du auf ein Thema aufmerksam machen willst, wie wäre es dann mit Informationen, statt Anklagen?
Wie sieht es denn 2021 mit dem Rassismus gegen Slawen in Deutschland aus?
Forderst du für die Berechtigung, dieses Thema zu diskutieren, in anderen Worten jetzt ernsthaft Belege?
Deren Gültigkeit zu allem Überfluss auch noch an die Prämisse gebunden werden, dass - ja, vllt etwaige Statistiken oder Ereignisse - innerhalb der letzten 3 Monate datiert sein sollten....damit niemand mit diesem ollen Nazikram oder Morden Anfang der 2000er-Jahre um die Ecke kommt?
Sollte das der Fall sein, wäre das nämlich schon ein Beispiel für Zum-aktiven-Wegreden-in-Stellung-bringen und wenn man das mal analog auf die Debatte über Rassismus gegen schwarze Menschen überträgt, würde es nicht nur Widerspruch hageln, man müsste sich auch die Frage stellen, warum unter diesen Voraussetzung noch irgendwer den Kolonialismus aufarbeiten sollte.
Dazu sei allerdings gesagt
Reden über #Antislawismus und antiöstlichen Rassismus relativiert nicht Rassismus gegen BIPOC sondern ergänzt das Bild. Es ist nicht entweder-oder, es ist sowohl-als-auch. Die Urheber sind dieselben, & wer über deutsches koloniales Erbe spricht, muss auch über Osteuropa reden.
https://twitter.com/japvie81/status/1377587916562690050?s=20Trotz obig beschriebener Unklarheiten kann ich allerdings festhalten, dass dir offenbar weder die Worte von Herrn Panagiotidis als Migrationsforscher aus dem verlinkten Artikel als Information bzw ausreichende Information taugen, noch dass es der Autorin als Kontingentgeflüchtete aus Moldawien offenbar 2021 ein Anliegen ist, das Thema zu besprechen sowie das Aufzeigen von Beispielen und historischer Kontinuität.
Ich versuche mal, weitere Informationen zu verlinken, auch auf die Gefahr hin, dass die dann ja gar nicht 2021 sind....oder sich nicht auf Deutschland beziehen...oder sich plötzlich noch ganz andere Formen des Widerspruchs auftun.
Z.B. könnte man einfach alles völlig willkürlich unter "Fremdenfeindlichkeit" verbuchen....außer das mit den Nazis vllt. Aber "12 dunkle Jahre", paast schon.
Eine der erfolgreichsten französischen Familienserien heißt »Fais pas ci, fais pas ca«. Es geht um zwei bürgerliche Familien in einem wohlhabenden Pariser Vorort: die spießigen Lepics und die etwas unkonventionelleren Bouleys. Die Serie hat eine vage linksliberale, grüne Moral. So werden auch immer wieder Vorurteile verhandelt. Einmal etwa lernen die Lepics, die Homosexualität ihrer Tochter zu akzeptieren - am Ende nimmt die bei der Stadt beschäftigte Mutter eigenhändig die erste lesbische Trauung des Ortes vor! In einer anderen Episode zieht ein Schwarzer in die Nachbarschaft. Den Bouleys macht das eine verdruckste Angst, den Lepics eine ganz offene. Doch erweist sich der Mann als nett und anständig - man schämt sich ein wenig des Vorurteils und hat verstanden.
Es gibt aber auch eine Episode, in der die Bouleys im Netz eine ukrainische Babysitterin bestellen. Es kommt nicht die junge, hübsche, sympathische Frau von den Fotos, sondern eine hässliche Person ohne Manieren, auch etwas schwer von Begriff. Ihr Körpergeruch ist quasi das Hauptthema der Folge. Betritt sie das Zimmer, verdreht die Familie den Kopf. Und weil sie kein Französisch versteht, sondern sich in rauen Kehllauten ausdrückt, lästert man in ihrer Gegenwart: Was Dusche, Zahnbürste und Shampoo sind, das versteht sie nicht, die Barbarin aus dem Osten. Sie stopft sich mit fettigem Fraß voll und rülpst durch die Wohnung. Nun erwartet man die pädagogische Wendung, dass also die Ressentiments zerplatzen und die Familie ihr Verhalten reflektiert. Doch nichts dergleichen: Am Ende setzt Vater Bouley die Frau auf der Straße aus. Alle sind erleichtert, Ende und Abspann: ein auf 50 Minuten gedehnter rassistischer Witz, ungebrochen und unkommentiert. In einer Serie, die sonst fast mit dem Holzhammer auf Demokratie, Toleranz und Verständnis pocht.
Das Seriendrehbuch erkennt also den - nicht nur - in Frankreich grassierenden Rassismus gegen Schwarze und problematisiert diesen. Es ist aber ist zugleich offenbar blind für den Rassismus gegenüber Menschen aus Osteuropa. Woher kommt diese Diskrepanz?
Die Serie arbeitet auf Basis von Rassismusdiskursen aus dem US-amerikanischen Linksliberalismus, die seit den 1970ern, besonders aber in jüngsten Jahren auch in Europa prominent geworden sind.
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In Europa sind die Verhältnisse aber anders. Gewiss ging der Kolonialismus von Europa aus, er war Bedingung wie Folge der Durchsetzung des Kapitalismus. Unübersehbar päppelte sich Europas Kapital im Kolonial- und Versklavungsgeschäft - und rechtfertigten im Imperialismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rassistische Theorien die kolonialen Raub- und Unterwerfungskriege. Doch im empirischen Massenbewusstsein spielten schwarze Menschen bis weit ins 20. Jahrhundert kaum eine Rolle, weil es in Europa sehr wenige gab.
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Schwarze und Indigene waren nicht alltagspräsent, sondern vage bekannte Fabelwesen. Nirgends war im Alltagsleben innerhalb der europäischen Kolonialmächte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts »Schwarze gegen Weiße« ein zentrales Feature des Massenbewusstseins - anders als in den USA.
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Auch in der Moderne bis 1917 - und seit 1990/91 wieder - nehmen die Länder Osteuropas gegenüber »dem Westen« die Rolle von Semikolonien ein. Ihre Menschen sind im Massenbewusstsein weiter als wild, primitiv und zurückgeblieben stigmatisiert. In der »westlichen« Literatur zumal des 19. Jahrhunderts wurden sie unablässig karikiert und verhöhnt. In Deutschland werden Menschen aus Osteuropa das erste Arbeitskraftreservoir, das der Kapitalismus anzieht. Nicht erst heute wird die saisonale Drecksarbeit auf den Feldern und werden die miesesten Fabrikjobs von Menschen »aus dem Osten« verreichtet - schon im Wilhelminismus war das so.
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Dieser Rassismus, der derzeit etwa auf eine rumänische oder bulgarische »Einwanderung in die Sozialsysteme« zielt, hat in Westeuropa und besonders in Deutschland eine jahrhundertelange Tradition. In ihm bilden sich die Grundfiguren rassistischer Ausgrenzung, die ab den 1960ern und verstärkt in jüngeren Jahren auf etwa die türkische Arbeitsimmigration übertragen werden - wobei sich hier mit der Religion noch ein zusätzlicher Aufhänger bietet.
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Gewiss soll »Black« - mit großem »B« - im US-Diskurs nicht nur beschreiben, dass jemand dunkle Haut hat, sondern allgemein sozial diskriminierte Gruppen. Man kann also »Schwarz« sein, aber nicht dunkelhäutig. Doch reicht diese Differenzierung, um jene Gegenüberstellung von »BIPoC« und »Whiteness« als rassistische Grundkonstellation sinnvoll nach Europa zu importieren?
Hiergegen lassen sich drei Einwände vorbringen. Erstens werden auf dieser Art einige besonders virulente Formen des europäischen Rassismus begrifflich verfehlt - etwa der Antisemitismus, der in den USA niemals eine derart prominente Rolle gespielt hat wie in Europa. Denn auch im Sinne des großen »B« ist das Judentum nicht »Schwarz«: Der Antisemitismus unterscheidet sich von den allermeisten anderen Formen des Rassismus dadurch, dass seinen Opfern gerade keine kulturelle Unterlegenheit oder Primitivität zugeschrieben wird, sondern im Gegenteil eine heimtückische Überlegenheit, Raffinesse, sagenhafter Reichtum und hintergründige Macht. Mit einem Konzept, das »white privilege« als den Ausgangspunkt von Rassismus setzt, ist diese Massenideologie einfach nicht zu fassen.
Zweitens lässt sich noch so oft erklären, dass »Schwarz« eine soziale Stellung beschreibe und nicht zuerst eine Hautfarbe - die Allermeisten werden es trotzdem gerade in diesem Sinn verstehen. So aber passt eine Polin, ein Rumäne oder eben jene Ukrainerin aus der französischen Serie nicht in das Raster. Diese Menschen unterscheiden sich optisch kaum oder wenig von der Mehrheit, sind aber dennoch von massiver, manchmal lebensbedrohlicher rassistischer Diskriminierung betroffen. Eine Vorstellung, die Rassismus als »Diskriminierung armer Dunkelhäutiger durch wohlhabende Hellhäutige« fasst, beschreibt in Europa nur eine bestimmte Facette des Rassismus.
Drittens scheint diese Terminologie eine ungute Naturalisierung mitzubefördern. Eine Definition des Rassismus als »Antagonismus zwischen Schwarzen und Weißen« suggeriert unterschwellig, Rassismus sei überhistorisch einfach da, wo hellhäutige und dunkelhäutige Menschen aufeinandertreffen. Es gibt Rassismus aber nur in einer Gesellschaft, in der ethnische Sortierung den Bedürfnissen einer herrschenden Klasse dient. Diese Hierarchisierung ist je nach Gegebenheit beliebig, selbst innerhalb nationalstaatlicher Grenzen. Die Rechte des italienischen Nordens lebte lange primär von rassistischer Abwertung Süditaliens. John Steinbecks »Früchte des Zorns« beschreibt, wie im Kalifornien der 1930er Rassismus gegen weiße Zugewanderte aus Oklahoma wütete.
Rassismus ist Ausdruck einer von der Barbarei der Klassengesellschaft gezüchteten Wahnvorstellung. Er folgt nicht aus Beobachtung von Wirklichkeit und braucht keine auffallenden physischen Unterschiede. Er ist ein soziales Verhältnis, das mit biologischen Unterschieden legitimiert wird - oft aber auch nicht. Der liberale Antirassismus US-amerikanischen Zuschnitts läuft Gefahr, eine bestimmte Form, die der Rassismus unter spezifischen Bedingungen angenommen hat, zu dessen Essenz zu erklären - ob »schwarz« mit großem »S« geschrieben wird oder nicht.
Diese Feststellung redet nicht den Rassismus gegen Schwarze im »Westen« und auch Deutschland seit dem späteren 20. Jahrhundert klein. Doch droht, wenn mit dem rassismuskritischen Vokabular aus den USA gleich auch deren Historie »übernommen« wird, ein Vergessen der hiesigen Geschichte der Ausgrenzungen: Die wenigsten wissen wohl zum Beispiel, was Jenische sind. Wer sich für antirassistisch belesen und sensibel hält, das aber nachschlagen muss, bewegt sich fast schon auf dem Felde derer, die jene Episode um die Babysitterin verantwortet haben.
https://www.google.com/amp/s/www.neues-deutschland.de/amp/artikel/1143799.rassismus-die-ukrainische-babysitterin.amp.htmlDie Aufhebung der Freizügigkeitsbeschränkungen für einige mittelosteuropäische EU-Beitrittsstaaten im Jahre 2011 (Polen, Ungarn, Tschechische Republik, Slowakei usw.) wurde von rassistischen Stereotypen mitbestimmt. Dabei richtete sich die Hetze vor allem gegen Polen, die ab diesem Datum in der BRD uneingeschränkt arbeiten durften. Vor allem in den strukturschwachen deutschen Grenzgebieten zu Polen mit hoher Arbeitslosigkeit agitierten die NPD und andere Neonazis gegen „Billiglöhner, die in unseres soziales Netz einwandern.“ 10
Dabei konnten sich die extremen Rechten auf einen fest verwurzelten antipolnischen Rassismus innerhalb weiter Teile der deutschen Bevölkerung stützen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung bemerkte: „So ist die Gefahr vor ‚billigerer Konkurrenz aus dem Osten‘ kein neues Bild in Deutschland. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschuldigte man polnische Beschäftigte im Ruhrgebiet und in der Landwirtschaft die Löhne zu drücken. In den 1920er Jahren und in der Zeit des Nationalsozialismus wurden polenfeindliche Stereotype politisch instrumentalisiert. 11
Ein Plakat der NPD-Mecklenburg-Vorpommern mit der Aufschrift „Polen-Invasion stoppen“ im Vorfeld der Kommunalwahlen 2009 wurde in der Folge wegen Volksverhetzung verboten.
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Im Vorfeld der Landtagswahlen im Herbst 2011 in Mecklenburg-Vorpommern machte die NPD gegen die seit Mai herrschende Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Polen mobil. Mit kleineren Parteiveranstaltungen vor allem entlang des Grenzgebietes zu Polen wollte die NPD ihre „Präsenz“ zeigen und sich als „Kümmerer“ aufspielen, die die „Sorgen“ der deutschen Bevölkerung ernst nehmen müssten.
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Dies schien offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein; mit 6% Zweitstimmen schaffte es die NPD den Einzug in den Landtag in Schwerin. In den strukturschwachen Grenzregionen zu Polen erzielte die NPD sogar mehrheitlich zweistellige Stimmenergebnisse. Die von der NPD geschürte antipolnische Hetze stieß auch auf eine breitere Resonanz in der Bevölkerung als es ihr Wahlergebnis vermuten ließ. Unter den Jugendlichen in den Grenzregionen äußerte sich laut einer Studie der Universität Potsdam ungefähr ein Drittel zustimmend zu polenfeindlichen Aussagen. 15
https://www.migazin.de/2015/07/06/antipolnischer-rassismus-in-ostdeutschland/#easy-footnote-7-83256Ich bin in den 90er Jahren und Anfang der 2000er Jahre in Österreich aufgewachsen. In dieser Zeit wurden Ex-Jugoslawen und Slawen im Allgemeinen wie Bürger der Unterschicht behandelt. Da ich halb Pole, halb Österreicher war, hatte ich mit einer Menge rassistisch motivierter Schikanen zu kämpfen. Es gab relativ harmlose Stereotypen, wie „jeder Pole ist ein Autodieb“, aber es ging weiter zu Beleidigungen wie „Halbblut“ und „Untermensch“. In vielen Fällen folgten auf verbale Angriffe wie diese körperliche Misshandlung. Ich war in mehr Raufereien verwickelt, als ich zählen kann, und viele von ihnen wurden durch eine rassistische Beleidigung gegen mich ausgelöst.
Deshalb habe ich mich immer stark mit anderen Minderheiten, wie den Schwarzen, identifiziert. Ich sah mich selbst nie als „weiß“ oder „privilegiert“. Heute habe ich ein so hohes Ansehen in der Gesellschaft erlangt, dass ich von den meisten als nur ein weiterer weißer heterosexueller Mann angesehen werde. Wie privilegiert, wie langweilig… Und ich werde auf Podiumsdiskussionen mit Aussagen und Fragen über meine koloniale Schuld konfrontiert und darüber, wie ich mein weißes Privileg nutzen kann, um denen zu helfen, die weniger Glück haben. Und ich weiß nicht, wie ich diesen Fragen begegnen soll. Weil ich mich nicht mit der Schuld Westeuropas identifizieren kann. Meine Familie wurde von Nazis und Sowjets gefoltert und in einigen Fällen ermordet. Ich habe meinen eigenen Anteil an Rassismus in meiner Jugend erlebt. Aber irgendwie gehöre ich jetzt zu den Tätern, weil die Westeuropäer in mir nur einen weiteren weißen Mann sehen?
https://euro-babble.eu/de/2020/07/10/nie-ma-czegos-takiego-jak-biala-kultura/ (Archiv-Version vom 31.12.2020)Ich möchte hier allerdings anmerken, dass ich dem Autor bzgl des Ursprungs von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht zustimme.
Hier noch eine kleine Anekdote von meiner Seite, für die man mich gerne nach Belegen anblöken kann, um es dann anschließend für irrelevant zu erklären:
Ich bin mit einem polnisch-stämmigen Jungen in die Grundschule gegangen, den lernten wir unter einem "nicht-deutsch" klingenden Namen kennen.
Noch während wir in der Grundschule waren, ließ die Familie ihren Nachnamen ändern und auch seinen Vornamen sowie den Vornamen des älteren Bruders, um ihre Herkunft zu verschleiern.
Ob die Eltern auch ihre Vornamen geändert haben, weiß ich allerdings nicht.
Natürlich konnten wir das als Kinder nicht verstehen und es war uns zudem ein völliges Rätsel, wie man einfach seinem Namen ändern könne...
An einem Tag auf dem Nachhauseweg hatten ihn 4. Klässler, das sind 9 oder 10 jährige, verprügelt und den Jungen, der bei ihm war und dessen Name überhaupt nicht polnisch klang, gleich mit. Sie wurden immer wieder gefragt, ob sie deutsch seien und anschließemd geohrfeigt, völlig egal, was sie antworteten und als "Dreckige Ausländer" beschimpft. Am nächsten Tag kam der Direktor in unsere Klasse und hat die beiden mitgenommen, um sie durch die höheren Klassen zu führen, damit sie die Täter benennen.
Und das ist nicht in irgendwelchen Grenzgebieten in Ostdeutschland so gewesen sondern in NRW.
Hier noch ein weiterer Artikel zur prinzipiellen Problemstellung bzgl der critical whiteness
Als Auszug:
Dahinter steht eine Haltung, die der Titel des neuen Buchs der britischen Journalistin Reni Eddo-Lodge Why I’m No Longer Talking to White People About Race auf den Punkt bringt. Man teilt einem potenziellen Gesprächspartner mit, dass man mit ihm überhaupt nicht sprechen will – oder nur dann, wenn er bestimmte Prämissen akzeptiert. Um als Weißer von der rassistischen Erbsünde freigesprochen zu werden, muss man sich selbst erst einmal dazu bekennen. Dabei hätte die Autorin doch gerade aus Gesprächen mit weißen Europäern, mit Iren, Balten, Slawen und Juden erfahren können, dass es kein »Privileg« farbiger Menschen ist, Rassismen ausgesetzt zu sein. Offenbar aber gibt es Rassismuserfahrungen, die, wie die Definition aus der KZ-Gedenkstätte zeigt, den empathischen Blick erweitern, und andere, die ihn auf einen Schwarz-Weiß-Konflikt verengen. So schrieb schon vor Jahren Daniel Killy in der Jüdischen Allgemeinen vom 8. August 2016 über ein »kompliziertes Verhältnis«, das jüdische Einwanderer und Afroamerikaner in den USA in den Anfängen der Bürgerrechtsbewegung erst verbunden, aber später entzweit habe. Letzteres liege »einerseits an dem seit den 60er Jahren stark gewachsenen Einfluss radikaler islamischer Stimmen auf die Bürgerrechtsbewegung, die mit der Ablehnung Israels und der Unterstützung von BDS und anderen Israelgegnern einhergeht, andererseits aber auch an einem häufig unverhohlen antisemitischen Tenor«.
Dabei zirkuliere, schreibt Killy, »die populäre Kernthese, dass das Geld der Juden zur Unterdrückung der Schwarzen geführt habe und Juden gar nicht wüssten, was Rassismus ist, denn sie genössen das Privileg der weißen Hautfarbe«. So wundert es nicht, dass man im Sachregister von Eddo-Lodge’s Buch zwar einen Harry Potter, aber keinen Antisemitismus und keine Schoah verzeichnet findet. Überhaupt herrscht darin ein seltsames Desinteresse an Formen der Diskriminierung, die nicht an Hautfarbe orientiert waren. Sie schreibt etwa: »Wenn die Hautfarbe nicht erwähnt wird, ist die Arbeiterklasse kein Objekt politischer Maßnahmen. Tatsächlich war Klasse ein politisches Tabu, bevor das Gerede von der weißen Arbeiterklasse einsetzte.« Die Geschichte der Arbeiterbewegung beschränkt sich für sie offenbar auf die Thatcher-Ära und Versuche der Rechten, die »weißen Arbeiter« gegen Migranten auszuspielen.
https://www.frankfurter-hefte.de/artikel/ein-kompliziertes-verhaeltnis-3076/