@tudirnixNatürlich habe ich den Eingangspost des TEs gelesen und um mich mal darauf zu beziehen:
"Ich kanns langsam nicht mehr hören. Was hab ich denn zu tun mit der Schuld unserer Vorfahren? Muss ich mich schämen für Taten, die ich nicht begangen habe? Muss man als Deutscher als solcher permanent sich dafür rechtfertigen, dass man nichts dafür kann, weil man damals noch nicht gelebt hat? Irgendwann muss doch auch mal Schluss sein."
Schon mal daran gedacht, dass ich auch nicht immer Opfer spielen möchte? Wenn ich über das Judentum spreche, dann ist das erste Bild im Kopf meines Gesprächspartners ein sehr, sehr grausames. Bekennt man sich zur jüdischen Kultur dann wird das seltsam belächelt, fast so als ob es eine rebellische Haltung wäre. Ist es aber nicht. Uns wird auch immer nachgesagt, dass wir uns 'missverstanden' geben uns das aber selbst zuzuschreiben haben, weil wir ja so 'exklusiv' sind. Stimmt auch nicht. Ja, Konvertierte werden auf Herz und Nieren geprüft und ja, wenn man Teil der orthodoxen Gemeinde sein möchte, dann wird das leider immer Wunschdenken bleiben. Ich gehöre zur reformierten, der liberalen Generation und wir versuchen auch allen zu gefallen. Von orthodoxer Seite bekommt man allerlei Anschuldigungen zu hören, man sei ein Verräter und hätte keinen Stolz, Außenstehende können gar nicht richtig verstehen.
Und wenn man sie dan daran erinnert, dass man als Teil der Ntion – wir sind nun mal laut Pass Deutsche und keine Holländer, Franzosen oder Engländer – auch Verantwortung trägt für die Vergangenheit der Nation – die etwas früher begann als mit der eigenen Geburt, wird der Holocaust relativiert
Heute lässt sich das nicht mehr so pauschal sagen. Was ist mit Einwanderern? Was ist mit deren Kindern? Was ist mit den Deutschen, die woanders geboren wurden, aber hier aufgewachsen sind? Leid ist kein Wettbewerb. Man stellt sich nicht hin und sagt »Der da, der macht das!«. Wenn allerdings jemand einen Gewinner krönen will, dann lege ich durchaus los und prangere alles an, was mir einfällt. Damit relativiere ich aber nicht meine Geschichte, damit will ich zeigen dass Menschen schlecht sind und dass jede Gruppe zum Opfer eines Feindbilds werden kann. Gleichzeitig will ich damit aber auch sagen, dass jeder die Wahl hat und man sich auch gegen Hass entscheiden kann. Verharmlost wird dadurch gar nichts.
die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken
Das entspricht absolut der Wahrheit und trifft – wie immer – auf alle Länder dieser Welt zu. Wenn ich etwas will und weiß, dass meine Chancen schlecht stehen, dann manipuliere ich. Wenn es sein muss streue ich auch Missgunst und Schuldgefühle – mir egal und einem Politiker schon zweimal egal. Ich bin auch sehr vorsichtig beim Thema Palästina. Deutschland lässt sich manipulieren, weil man noch immer nicht weiß wie man mit dem Kapitel Shoah umzugehen hat. Das macht mir das Leben aber auch schwer, weil ich zwar viel und gerne erkläre, sich aber niemand wirklich traut zu fragen. Man gibt sich verhalten und wechselt das Thema, obwohl ganz klar Interesse besteht. In meiner alten Synagoge gab es die Gruppe für junge Nazis – Jugendliche die bereits straffällig geworden sind und sich auch offen dazu bekannt haben. Dort hat man über unsere Geschichte gesprochen, über Bräuche und Tagesabläufe und was die Unterschiede zum – Bayern ist sehr christlich – Christentum sind. Ich bin nicht so naiv und behaupte, dass alle einsichtig waren, aber so geht man meiner Meinung nach am besten gegen diese Einstellung vor. Die Hemmungen sind für freie Beteiligung aber viel zu groß.
Schuld verjährt nicht, sie kann nur vergeben werden
Sehr schön formuliert und richtig, aber wer soll das vergeben? Es ist 2016 und Opfer sowie Täter sterben bzw. sind bereits verstorben. Jetzt rücken also Kinder und Enkel an, aber was sollen die machen? Ich kenne auch Geschichten von meiner Großmutter und mütterlicherseits habe ich auch Vorfahren, die zu den Opfern zählen, aber ich kann das nicht beurteilen. Ich möchte das auch gar nicht beurteilen. Natürlich ist es sehr belastend mit einer 'Erbschuld' zu leben. Genauso belastend ist es aber auch mit der Verantwortung zu leben und ständig zwischen Mahnung und Vergebung balancieren zu müssen. Ich wurde aufgrund meiner Herkunft und des Glaubens (Ich sage Kultur, weil ich eben nicht aktiv glaube) diskriminiert, aber ich bin kein Shoah Opfer und kann nichts über das, was damals passiert ist sagen. Deshalb kann ich auch niemandem irgendwas vergeben, auch wenn die andere Seite das zu erwarten scheint. Überhaupt würde mich mal interessieren, wie diese Vergebung auszusehen hat? Ein Rundschreiben des Rates? Ich bin mit vielen Dingen die der Rat so verkündet nicht einverstanden und würde auch nicht sagen, dass er meine Überzeugungen vertritt.
"Ist die Schuld verjährt?" fragt der Spiegel auf seinem jüngsten Titel. Verjähren kann nur ein staatlicher Strafanspruch. Schuld verjährt niemals, sie kann allenfalls vergeben werden. Aber es werden in diesem Lande eines Tages keine Menschen mehr leben, die an den Nazi-Verbrechen schuldig oder mit-schuldig geworden sind - und auch keine überlebenden Opfer mehr.
Soll man dazu vielleicht seinen Stammbaum vorlegen?
Geschichtslos sein wollen heißt: Die Verantwortung los sein wollen
Genau das möchte ich. Weniger Verantwortung. Ich soll Leidensgeschichten erzählen die nicht meine eigenen sind und gleichzeitig empathisch genug sein, um den 'Verbrechern' nicht zu viel aufzulasten? Danke, nein.
(A) Darf man als Deutscher die Verbrechen des Holocaust mit den Verbrechen anderer Nationen und/oder Regierungen vergleichen?
Wann ist man Deutscher? Laut Afd Wahlprogramm hätte ich – sollte ich straffällig werden – weniger Rechte als jemand der hier in Deutschland geboren wurde. Man würde mich 'zurück schicken'. Ich bin aber im Kleinkindalter hergekommen und würde mich 'dort' gar nicht zurecht finden. Was heißt das jetzt für mich? Vergleichen darf man immer, nur sinnvoll muss es sein. Ein Vergleich setzt auch nicht absolute Gleichstellung voraus.
(B) Muss man als junger Deutscher für die Verbrechen unserer Vorväter quasi in "Geiselhaft" genommen werden und sich schuldig führen für Verbrechen, die man gar nicht begangen hat, weil man zu der Zeit noch gar nicht lebte? Hat man als Deutscher überhaupt die Möglichkeit, aus diesen circulus vitiosus auszubrechen und normal wie jeder andere Weltbürger zu leben ohne permanent an unsere dunkle Vergangenheit erinnert zu werden. Einmal muss doch auch Schluss sein damit, oder?
Noch einmal: Wann ist man Deutscher? Zu fragen warum andere Nationen nicht mit der gleichen Intensität gemahnt werden ist natürlich und berechtigt. Es ist sogar vertretbar, denn nur so kann man anderen Völkern unter die Arme greifen. Es gibt noch immer Menschen die glauben, dass das Wort 'Genozid' ausschließlich zur jüdischen Geschichte gehört. Gleichzeitig glaubt man auch, dass Ghettos ein Konstrukt der afro-amerikanischen Kultur sind. Stimmt nicht, denn beides wurde lange vorher etabliert. (Letzteres tatsächlich von Juden, allerdings lange vor dem 20. Jahrhundert.)
Nein, Deutschland hat kein Recht auf einen Schlussstrich. Geschichte ist prägend und Prägung ist wichtig, weil dadurch der Grundstein für ein neues Kapitel in der kulturellen Denkweise gelegt wird. Diese Denkweise darf allerdings nicht von negativen Aspekten überschattet werden und eine mögliche Zusammenführung verschiedener Kulturen verhindern z.B. Ein Deutscher würde gerne dem Judentum beitreten, traut sich aber nicht erste Schritte einzuleiten, weil ihm die 'Erbschuld' anerzogen wurde.