sacredheart schrieb:Es ist ja so ein bisschen das Ergebnis der Aufklärung, dass der Mensch ein freies Wesen ist. Und auf der einen Seite bedeutet das Entscheidungsfreiheit, auf der anderen aber auch. Insofern gute Idee, dass mal jeder die Verantwortung für sich trägt.
Und für diejenigen, die das nicht wollen und oder können, gibt es ja Sozialleistungen. Die haben logischerweise ihre Grenzen.
Das ist nicht das Ergebnis der Aufklärung. Die Aufklärung hat ja verstanden, dass die meisten Menschen sich eben gerade nicht ihres eigenen Verstandes bedienen und dazu erst in die Lage versetzt werden müssen.
Aufklärung bedeutet, rational nachzudenken. Prinzipienreiterei a la 'die sollen mal selber für sich sorgen', obwohl klar ist, dass das Problem so einfach nicht zu lösen ist und obwohl klar ist, dass menschen eben defacto von äußeren Faktoren in ihren Entscheidungen abhängen, ist nicht rational. Es ist das gegenteil davon.
Liberalismus ist nicht rational. LIberalismus a la FDP ist als Eigenverantwortlichkeit getarnte Menschenfeindlichkeit.
sacredheart schrieb:Niemand ignoriert vorhandene Probleme, es gibt ja ein ziemlich dichtes soziales Netz in Deutschland. Aber irgendwann ist es damit auch mal gut. Wir geben 1/3 der Staatsfinanzen für Soziales aus. Da kann man über die Verteilung im Detail sicher dikutieren, nicht aber über noch stärkere Ausweitung.
Doch, wenn du die Hartz 4 Problematik auf 'Faulheit' herunterbrichst, dann machst du das.
Es geht nicht darum, wie viel man für Soziales ausgibt, es geht darum, ob man die sozialen Problemen in unserem land vernünftig angeht und wir die Probleme wenigstens ernsthaft verstehen.
Wer mit 'Schmarotzern' angetanzt kommt, der tut das nicht. Und wer bei der Hartz 4 Problematik mit Arno Dübel angetanzt kommt auch nicht, oder sich Fantastereien hingibt, man könne doch die echten Arbeitslosen von den Faulen Schmarotzern trennen.
Eigenverantwortlichkeit, wie die FDP sie versteht, ist sowas hier:
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/intensivpfleger-ricardo-lange-trifft-wolfgang-kubicki-soll-ich-flaschen-sammeln-auf-dieser-ebene-diskutiere-ich-nicht-mit-ihnen/27387956.htmlLange: Soll ich Ihnen meine Meinung sagen, wie sich der Pflegenotstand bessert? Also auf jeden Fall durch ein angemesseneres Gehalt für die Verantwortung, die man hat.
Kubicki: Da bin ich voll auf Ihrer Seite.
Lange: Welche Bezahlung finden Sie angemessen?
Kubicki: Ja also …
Lange: Na? Das müssen Sie mir sagen können. Ich muss Sie ja in einem halben Jahr dran erinnern können.
Kubicki: Als Einstiegsgehalt etwas zwischen 2800 und 3500, je nachdem.
Lange: Brutto, netto?
Kubicki: Brutto! Sie können sich gerne mal mit Menschen unterhalten, die mit 22 irgendwo anfangen: Für die ist das eine Menge Holz. Ich bin ja Anwalt. Angestellte Anwälte bekommen, wenn sie nicht in Großkanzleien gehen, zu Beginn 4500 Euro brutto.
Lange: Man verdient bereits so viel als Einstiegsgehalt auf Intensivstationen, wie Sie vorschlagen: 2200 netto. Reicht anscheinend nicht. Sonst würden ja mehr Leute sagen: Mann, mache ich jetzt immer! Ist ja wahnsinnig viel Geld für Nachtdienst, Spätdienst, die hohe Verantwortung, den Riesenstress. Jetzt wird sogar vorgeschlagen, dass bis 68 gearbeitet werden muss, auch als Pflegekraft oder Dachdecker oder sonst wer. Das ist doch nicht normal!
Kubicki: Einen Dachdecker mit 65 aufs Dach zu schicken, ist unverantwortlich. Aber ihn beispielsweise Nachwuchskräfte ausbilden zu lassen, ist möglich. Unsere Überlegung ist, dass jeder selbst entscheiden kann, wann er aufhören will zu arbeiten: zwischen 60 und 70. Das ist das schwedische Modell ...
Lange: … bei vollem Lohnausgleich?
Kubicki: Nein, nein, nein. Sie müssen dann schon Abschläge hinnehmen, können aber dazuverdienen.
Lange: Was heißt das für mich als Pflegekraft?
Kubicki: Ich würde raten, dass man seine individuelle Lebensplanung darauf ausrichtet ab 60 oder 55 aus seinem Beruf auszuscheiden, reduzierte Rentenleistungen in Anspruch zu nehmen und gleichzeitig die Möglichkeit zu nutzen, in anderen Bereichen, wenn man das will, noch was hinzuzuverdienen.
Lange: Also ich soll jetzt als Vollzeit-Mitarbeiter zusätzlich irgendwo etwas erlernen, was mir später ein zweites Standbein ermöglicht. Das ist Ihr Konzept für die Zukunft?
Kubicki: Sie sollen keinen zweiten Beruf lernen, sondern sich mit der Frage beschäftigen, was Sie noch machen können. Das kann ja sehr kreativ sein.
Lange: Ich hab’ mal gehört, es gibt Leute, die sammeln Flaschen. Meinen Sie so was?
Kubicki: Auf dieser Ebene macht’s für mich keinen Sinn, mit ihnen zu diskutieren. Ich meine, dass man sich möglicherweise um Kinder kümmert. Ich kenne eine Reihe von Menschen, die so etwas tun, weil es ihr Leben erfüllt. Ich kenne auch Menschen, die wollen mit 60 aus ihrem jetzigen Beruf Vollzeit raus, aber Teilzeit weiterarbeiten. Das ist eine Lebensentscheidung.
Dieses Interview zeigt, dass das Gerede von 'Eigenverantwortlichkeit' einfach nur bedeutet, "deine Probleme interessieren mich einen Scheiß. Ich behaupte, ich wisse, wie man sie löst, rede aber nur blöd daher, damit ich mich aus der Verantwortlichkeit für andere in meiner Gesellschaft herausziehen kann".