Caveira schrieb:Ich gehöre zur Garde der Leute die sich wenig bis gar keine Sorgen machen, dennoch würde ich gerne wissen:
Wenn ich jetzt durch das neue Coronavirus schwer erkranken sollte (Gott bewahre), mit Lungenentzündung und allem drum und dran, gibt es dann die Möglichkeit dieses Medikament, als Teilnehmer einer Studie, zu erhalten?
Das Medikament ist ja noch nicht zugelassen, also zumindest nicht in DE, könnte ich den behandelnden Arzt dann trotzdem sagen ich würde gerne dieses Medikament bekommen, um so dann Teil der Studie zu werden?
Prinzipiell kann man so ein Medikament im Rahmen eines Heilversuchs bekommen, sofern das Medikament vom Hersteller ausgeliefert wird und der behandelnde Arzt den Einsatz für sinnvoll hält. Heilversuche oder Compassionate-Use-Therapien sind selten, unterliegen anderen Regelungen als die Therapie mit indizierten Medikamenten, können aber an einzelnen, schwer kranken Patienten vorgenommen werden.
Ob es hier in Deutschland Studien mit Remdesivir geben wird, kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verlässlich sagen, ebenso wenig ob Du dann vor Ort sein wirst und rekrutiert werden kannst und wirst.
Bisher scheint es ein erfolgsversprechender Ansatz zu sein. :-) In China laufen zur Zeit mehrere Studien mit Remdesivir, die Ergebnisse werden voraussichtlich Anfang April veröffentlicht.
grätchen schrieb:Da habe ich mal ne Frage an Dich (und andere hier anwesende, die sich evt damit auskennen): wenn jetzt ein erheblicher Teil der Bevölkerung anfängt, sich die Pfötchen (oder anderes, zum Beispiel Oberflächen) zu desinfizieren, müssten wir dann nicht bald mit einer Verschärfung des Problems resistenter Keime rechnen?
Sofern man sich mit Desinfektionsmitteln ohne Antibiotikazusatz die Hände desinfiziert (in Deutschland üblich), ist es sehr unwahrscheinlich, dass durch vermehrte Desinfektion Antibiotikaresistenzen auftreten.
Das Phänomen, dass Desinfektionsmittel auch ohne Antibiotikazusatz sozusagen „passiv“ eine Antibiotikaresistenz fördern können, weil sie für den Transport des Desinfektionsmittels die selben Effluxtransporter nutzen wie für bestimmte Antibiotika und damit die Selektion damit ausgestatteter Keime fördern, gibt es.
Allerdings ist bisher nicht einmal klar, ob das überhaupt klinische Relevanz hat, ob also außerhalb von Laborbedingungen klinisch relevante Resistenzen auftreten (
https://www.aerzteblatt.de/treffer?jahr=2009&wo=145&typ=1&nid=39480).
Der Spiegel-Beitrag, den Du verlinkt hast, verpackt das Thema leider etwas reißerisch. Wenn er schreibt „das Problem ist gravierend“, spricht er von Antibiotikaresistenzen, und nicht vom Zusammenhang zwischen Desinfektionsmitteln und Resistenzen.
Wenn man sich überlegt, dass in Krankenhäusern weltweit seit Jahrzehnten ständig desinfiziert wird und diese Einrichtungen gleichzeitig sehr genau auf die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen und nosokomialen Infektionen hin überwacht werden, kann man vermuten, dass der Zusammenhang – den man bisher nur im Labor vereinzelt in speziellen Experimenten beobachten konnte - nicht ausschlaggebend ist, da sind andere Faktoren viel entscheidender und des Überdenkens würdig.
Auch die Entstehung von Desinfektionsmitteltoleranzen ist sehr unwahrscheinlich. Vor einigen Jahren ist da viel durch die Presse gegangen, weil es eine Studie gab, die darauf hindeutete, dass ein bestimmtes Bakterium eine Alkoholtoleranz entwickelt hat.
Anschießende Untersuchungen konnten das so aber nicht bestätigen, hier das epid. Bulletin des RKI von damals dazu:
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2018/Ausgaben/38_18.pdf?__blob=publicationFileGardeLoup schrieb:https://linkezeitung.de/2020/02/26/medizinische-fakten-zur-coronaviruspandemie/
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/32031570/
Hier nochmal die Studie dazu in Englisch.
Was haltet ihr hiervon?
Blues666 schrieb:Bis dahin würde ich die Erkenntnisse der LinkeZeitung eher mit Vorsicht betrachten.
Das würde ich genauso sehen. Der Artikel erscheint mir insgesamt sehr seltsam, die Schreibweise und Grammatik sind sehr inhomogen und zum Teil wirkt es wie eine Aneinanderreihung von Aussagen aus verschiedenen Quellen, die so wie sie zusammengetragen sind, zum Teil nicht einmal Sinn ergeben.
Auf der einen Seite gibt es überwiegend subakute und milde Verläufe, auf der anderen Seite liegt die Sterblichkeit selbst bei maximaler klinischer Versorgung bei 4,3%.Der Autor des Artikels hat die Studie und auch ihre Resultate in meinen Augen völlig missverstanden. Bei den 138 Patienten, die in der Studie beobachtet und beschrieben wurden, handelt es sich um Patienten, deren schlechter Gesundheitszustand eine Aufnahme ins Krankenhaus notwendig machte. Dass bedeutet, dass die Sterblichkeit von 4,3%, die in
dieser relativ kleinen Studie erhoben wurde, sich auf diese kleine Gruppe von schweren Verläufen bezieht.
Die Qualität der "maximalen klinischen Versorgung" kann ich hier nicht einschätzen, dementsprechend auch nicht die Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse
Die Studie zeigt das eigentliche Wesen des Virus auf, über das bislang nicht berichtet wurde. Bei 70% der Patienten wurde eine sogenannte Lymphopenie festgestellt. Eine Lymphozytopenie kann als Begleiterscheinung bei einigen Viruserkrankungen (RSV, Influenza, SARS) auftreten, ist per se also erstmal nicht außergewöhnlich.
Bei Coronavirus-Erkrankungen scheint ein schwerer Verlauf ähnlich wie bei SARS mit einer Abnahme der Lymphozyten und vielen anderen Symptomen zu korrelieren. Ob man das als diagnostischen oder prognostischen Marker verwenden kann, muss man genauer untersuchen, in wie weit das als eigenständiger Faktor relevant ist, auch.
Wobei man einschränkend einwerfen kann, dass viele der Patienten hier in dieser Studie Glucocorticoide bekommen haben, und diese die Lymphozytenzahl ebenfalls senken können.
Dabei handelt es sich um eine starke Verringerung derjenigen weißen Blutkörperchen, deren Aufgabe es ist Antikörper gegen Viren herzustellen. Darum kommt es bei einer Lymphopenie zu einer großen Anfälligkeit allgemein für Viruskrankheiten.
Das Coronavirus ist so mit dem HIV-Virus zu vergleichen, das auch das Immunsystem lahmlegt.
Das hat zur Folge, daß es zu eher milden Krankheitssymptomen kommt. Der Absatz ist in meinen Augen reißerisch und auch inhaltlich falsch.
Zu den weiße Blutkörperchen gehört eine große Vielzahl verschiedener Zelllinien, die sehr unterschiedliche Aufgaben haben. Bei den betroffenen Patienten waren laut dieser Studie nur die Lymphozyten erniedrigt.
Die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten steigt mit sinkender Lymphozytenzahl, ja, allerdings muss man sagen, dass der Zusammenhang mit der HIV-Erkrankung extrem hinkt. Nicht nur was Ursache und Mechanismen und Symptomatik angeht, sondern auch, was die Behandlungsbedürftigkeit im Zusammenhang mit den Lymphozytenzahl angeht. Von daher kann ich nur abraten, den Artikel ernst zu nehmen.
(Nur am Rande: Bei HIV-Patienten wird in Deutschland derzeit im Regelfall (es gibt natürlich einige Ausnahmen) erst ab einem Lymphozytenwert von unter 350 Zellen/µl eine Therapie zur Vermeidung eines relevanten Immundefekts empfohlen. Bei einer Zellzahl von > 500 Zellen/µl herrscht weltweiter Konsens, dass keine Therapie eingeleitet werden muss.
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_HIV_AIDS.html;jsessionid=2AC8F7867CA6ACD28242971E9822FDD1.internet061#doc2374480bodyText8)
Die Patienten in der Studie hatten alle deutlich mehr Lymphozyten; lymphocyte count, 0.8 × 109/L (interquartile range {IQR}, 0.6-1.1) entspricht 800 Zellen/µl (600 - 1100 Zellen/µl).
Lediglich die Patienten, die verstorben sind, hatten progredient sinkende Zellzahlen, doch vor dem Hintergrund des Multiorganversagens, bei dem so ziemlich alle Laborparameter aus dem Ruder laufen, wundert mich das auch nicht.
Im Falle des Coronavirus bedeutet die zunächst relativ milde Symptomatik demnach nicht, daß es sich um einen leichten grippalen Infekt handelt, sondern daß die Viren durch die von ihnen erzeugte Abwehrschwäche ohne Widerstand tief bis zur Lunge vordringen können und bei 26% eine sogenannte atypische Lungenentzündung hervorrufen, also eine solche ohne hohes Fieber und heftige Entzündungssymptome. Statt dessen zerfällt die Lunge unter zunehmender Atemnot. Diese Aussage hat mit der Studie nichts zu tun und ist einfach nur Panikmache. Allein die Wortwahl „zerfällt die Lunge“ zeigt mir, dass der Autor des Artikels hier besonders dramatisch klingen möchte, denn das hat mit der Realität nicht zu tun.
Die Studie zieht keine Rückschlüsse auf milde Symptomatiken und macht keine Aussage zu Verläufen und Prognosen milder Symptomatiken.
Was die Studie vermuten lässt ist - und das ist nichts neues - dass ältere und vorerkrankte Patienten ein größeres Risiko haben, intensivmedizinisch betreut zu werden. Sie beschreibt, zu welchen Komplikationen es bei diesen Patienten im Vergleich zu Patienten der „Normalstation“ kommen kann, was für Behandler relevant ist, weil sie bei ihren eigenen Patienten entsprechende Entwicklungen dann frühzeitig bemerken können.
Nicht mehr, nicht weniger.
Aus einer so kleinen Teilnehmergruppe ist es grundsätzlich immer schwierig, verzerrende Faktoren herauszufiltern, Stichwort repräsentativ. Wir haben zudem keine Informationen über die Ausstattung des Krankenhauses, der Labore (eine schnelle Internetrecherche hat mir gleich 2 Zellanalysatoren ausgespuckt, bei denen 0.8 × 109/L Lymphozyten noch normwertig ist), dem Personal, sodass Rückschlüsse auf deutsche Verhältnisse schwierig sind.
Dazu muss man auch bedenken, dass es keine therapeutischen Leitlinien gibt, der Erfolg oder Misserfolg der in dieser Studie angewandten Therapie ist also nicht bekannt. Andere Krankenhäuser und Studien haben andere Therapieregime. Somit sind die beschriebenen Krankheitsverläufe auch nur eingeschränkt repräsentativ und die Ergebnisse eingeschränkt übertragbar bei noch geringem Kenntnisstand über die Erkrankung, Verlauf und Therapie.
Ich würde derzeit von einer wesentlich niedrigeren Sterblichkeit ausgehen. :-) Auch lege ich Hoffnung in die verschiedenen Studien zu Therapiemöglichkeiten, die derzeit bereits laufen und in naher Zukunft weitere Ergebnisse liefern.