mumm schrieb:Wie ich allerdings anschließend damit weiterleben kann, könnte: ???
DAS lässt sich nicht vorhersagen...
Das ist aber eine Frage die ich grundsätzlich sehr interessant finde.
Auch ich bin der Ansicht, dass nahezu jeder Mensch in gewissen (individuell sicher sehr unterschiedlichen) Situationen einen Artgenossen töten könnte, das halte ich also für "normal" und es macht mir deswegen auch grundsätzlich keine Sorge, wenn jemand die Frage mit einem "Ja" beantwortet.
Sorgen bereitet mir allerdings, wenn ich einen Grund zur Annahme habe, dass derjenige sich die Frage, was sein "Gewissen" (oder wie man es nennen will) danach damit anstellt.
Ich bin mir sehr sicher, dass ich zu einem Mord nicht fähig bin, da die üblichen Mordmerkmale gegen alles verstoßen was ich an mir selbst erkenne.
Trotzdem bin ich ohne Frage in der Lage einen Menschen zu töten.
Aus Liebe, also in Form von Sterbehilfe, Tötung auf Verlangen, meinen Mann ins Jenseits verbringen, weil er sich in einer gesundheitlichen Lage befindet bei der Patientenfügung nicht greift, ich aber nicht nur weiß, das er das so nie wollen würde, sondern dass er für mich das Gleiche täte..
Hier würde ich aber auch so überzeugt handeln, dass ich in dem Fall, dass ich in den Bereich einer möglichen Strafbarkeit falle nicht mal einen Anwalt rufen sondern mich den rechtlichen Konsequenzen aus der gleichen Überzeugung erhobenen Hauptes stellen würde.
Aber das sich in einem solchen Fall ein schlechtes Gewissen oder gar "Reue" einstellt vermute ich eher nicht.
Hier spielt allerdings vermutlich mein tiermedizinischer Hintergrund eine gravierende Rolle.
Ich habe es zu oft erlebt, dass Tiere von absolut unzumutbaren Leiden erlöst werden.
Da wurde mir schon ab und an etwas anders, wenn sich der Gedanke einschlich:
"Sch.. einem Menschen könnte man jetzt nur mitteilen, dass die Sache tödlich verlaufen wird und kein noch so gutes Palliativteam verhindern kann, dass es ein absoluter Höllenritt wird."
Mir stehen sowieso nur wenige Menschen so nah, dass mir das Wissen was sie in welcher Lage wollen würden überhaupt in dem Ausmaß das ein entsprechendes Handeln rechtfertigt zur Verfügung steht und hätten mich nicht ein paar Freunde mit denen das Thema drauf kam nicht explizit gebeten "Kann ich da nicht angeben, dass Du das machst? im Gegensatz zu meinem Partner/Eltern/Geschwistern/... hab ich bei Dir eher das Gefühl, dass Du das könntest ohne dabei selbst zu zerbrechen."
würden wir hier über vielleicht 3 oder 4 Menschen sprechen bei denen sowas je ein Thema werden könnte.
Solange ich mir also sicher bin, dass
wirklich jeder vernünftige und sinnvolle Versuch ausgeschöpft wurde ein lebenswertes Dasein zu erhalten/wieder herzustellen würde ich mich mit keinem schlechten Gewissen plagen, einfach weil ich das Leid das noch gefolgt wäre viel präsenter im Kopf habe als das ein Leben geendet hat.
Bei Tieren kann man ja bei aller Liebe und Fachkompetenz am Ende doch immer nur "raten" wann es der richtige Schritt ist während ein Mensch mir im Idealfall ein sehr deutliches Bild davon was er will und was auf keinen Fall kommunizieren kann.
Es handelt sich zwar ohne Frage um eine Situation auf die ich nur zu gern verzichten würde, aber ich sehe kein Risiko damit nicht gut weiterleben zu können.
Anders ist das interessanter Weise bei Notwehr.
Ich bin mir nicht nur sicher, dass ich in einer Notwehrsituation bereit wäre zu töten, sondern weiß auch, dass ich dazu mehr als nur in der Lage wäre.
Mein Vater war im Nahkampf ausgebildet und er hat mich seit ich recht klein war gut unterrichtet (war Teil unserer "Vater-Tochter-Qualitätszeit").
Ich habe schon in Alpträumen "erleben" dürfen wir "mechanisch" ich ein Leben auslöschen könnte, würde ich Meins oder das Anderer als bedroht ansehen und kann mich nach dem Aufwachen dann eine ganze Weile selbst nicht wirklich leiden.
Mein Vater war zum Glück ein Mensch mit einem fast nicht vorhandenen Aggressionspotential.
Sein Hauptgrund mich derart "auszubilden" war keineswegs mich in einen potentiellen Killer zu verwandeln, sondern weil es schon damals recht gute Belege dafür gab, dass Menschen, die die Gewissheit in sich tragen sich im Fall der Fälle durchaus verteidigen zu können grundsätzlich sehr viel seltener als Opfer "ausgesucht" werden und in tatsächlichen Konfliktfällen öfter erfolgreich sind eine gewalttätige Eskalation doch noch abzuwenden.
Mein Vater hat mir also im Grunde beigebracht wie ich mich verteidigen kann um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ich es niemals tun muss.
Tatsächlich bin ich bisher auch nur einmal in eine Lage gekommen, die als "brenzlig" einzustufen ist und in der konnte ich mit den psychologischen "Tricks" die mein Vater mich lehrte erreichen, dass das kleine Grüppchen "Krawallblagen" um mich herum verschwand, weil der "Alpha" auf meine Handlungen und Worte mit einem "Lasst uns gehen Männer!" reagierte (sehr gute Entscheidung).
Ich hoffe, dass es mein Leben lang so bleibt, denn auch wenn ich das als Teenager noch anders beurteilt habe, nehme ich jetzt die Worte meines Vaters sehr ernst, der mir ziemlich konsequent eingetrichtert hat, dass ich auf gar keinen Fall davon ausgehen darf, dass ich mit einer Tötung aus Notwehr einfach so "unbeschwert" weiterleben kann.
Ich bin sehr klein, zierlich und schwer gehbehindert; deswegen habe ich mir lange Zeit eingeredet, dass jemand der sich ein so schwach anmutendes "Opfer" wie mich für einen Angriff aussucht, der heftig genug ist, dass ich zu Verteidigungsmethoden greifen müsste, die auch tödlich enden könnten, seine Wahl dann eben getroffen hat und mich das nicht weiter belasten würde.
Ich fand es fast schon ein bisschen lächerlich, dass mein Vater mir zwar beigebracht hat:
"Wenn Du ein Messer ziehst, musst Du es umgehend einsetzen und das ist nur dann eine Option, wenn Du Dir hinreichend sicher bist, dass es wirklich um Dein Leben geht."
Und es im gleichem Atemzug als selbstverständlich ansah, dass bis zum Eintreffen eines Krankenwagens alle Register der ersten Hilfe ziehe, sobald hinreichend sicher ist, dass der Angreifer keine Gefahr mehr darstellt.
Heute weiß ich, dass es genau so sein muss.
Ich bin einfach ein bekennender "Rechtsstaatfan" und ohne jede Ausnahme Gegner der Todesstrafe.
Solange es also eine Alternative gibt obliegt es nicht mir über den Angreifer zu bestimmen, sondern ihn wenn möglich so zusammenzuflicken, dass ein Gericht diese Entscheidungen trifft.
Ich bin mir sehr sicher, dass ich schwer zu tragen hätte, würde sowas für einen Angreifer tödlich enden und zwar selbst dann, wenn ich alles getan hätte, was die erste Hilfe so hergibt.
Würde ich jemanden in Notwehr direkt töten oder tödlich verletzen und dann sterben lassen ohne alles mir Mögliche und Zumutbare zu versuchen das zu verhindern.. puh. Ich wäre immer noch froh, dass es nicht meine Leiche ist die da liegt, aber das wär auch schon Alles.
Es würde ohne Frage sehr lange dauern, bis ich mich wieder im Spiegel anschauen könnte und ob ich mir jemals vollständig vergeben könnte kann ich überhaupt nicht einschätzen.
Sicher, ich muss mich nicht angreifen, ausrauben, verletzen, vergewaltigen oder töten lassen und auch nicht zuschauen wie das jemand anderem geschieht.
Aber ich strebe eben auch danach ein guter Mensch zu sein und deswegen hoffe ich doch mal stark, dass sollte ich je in so eine Lage kommen direkt nach dem:
"Ich verteidige mich mit allem was Nötig ist - Reflex"
genauso automatisch der
"Nu halt den Rand und bleib da brav liegen, damit ich die Blutung stillen kann bis der Krankenwagen eintrudelt - Reflex"
aufkreuzt und mich "das Richtige" tun lässt.
Wie ist das bei den Anderen hier, die schreiben
"Ja könnte ich unter den und den Bedingungen"?
Wie glaubt ihr würdet ihr das tragen, wenn wirklich ein Leben unwiderruflich beendet wird aufgrund einer Entscheidung die ihr getroffen oder einer Handlung die ihr ausgeführt habt?
Welchen Unterschied würde es für Euch machen ob es um Sterbehilfe, Notwehr oder Rache weil jemand Euren Apfel-Zimt-Kuchen mit den Schokoplätzlich weggefressen hat geht?