Wenn Söring nicht zuvor nach Abdrücken seiner Füße und nach einer Blutprobe gefragt worden wäre, dann wären Angaben, dass er geblutet habe und ohne Schuhe durch das Haus gelaufen sei, ein Hinweis auf einen Wahrheitsgehalt dieser Äußerungen gewesen. So aber könnte er sich das aber auch lediglich zusammengereimt haben.
Der Punkt ist: niemand weiß bzw 'wusste' zu diesem Zeitpunkt, wo der Täter geblutet hat. Der Täter kann auch Nasenbluten (Aufregung, Schlag ins Gesicht) gehabt und sich mit der Hand das Blut weggewischt haben, so dass dieses Blut dann an die Haustür kam. Das mit den Schnittwunden kam von Söring - das mag der Wahrheit entsprechen oder aber seiner Fantasie entsprungen sein. Wir wissen es nicht so recht. Denn erst danach konnte sich auch ein Zeuge an diese Schnittverletzungen erinnern. Und es ist anzunehmen, wenn es zuvor auch nur einen klitzekleinen Hinweis auf entsprechende Verletzungen bei Söring gegeben hätte, dann hätte Gardner nicht freundlich nach einer Blutprobe gefragt, sondern diese gerichtlich angeordnet. Vermute ich jetzt mal.
Aber letztlich können wir uns noch nicht mal 100% sicher sein, ob der Täter überhaupt geblutet hat. Denn die DNA dieser Blutspur wirft bekanntlich Fragen auf. Da sich auch Frau Burton, die das Blut analysierte, unsicher war, ob eines dieser Spuren tatsächlich Blutgruppe 0 hatte, oder vielleicht doch Blutgruppe A, könnte auch ein Fehler bei der Blutgruppen-Zuordnung vorliegen.
Moses S. Schanfield schreibt in einem Bericht, adressiert an Sörings Anwalt Rosenfield (Hervorhebung von mir):
However, Ms. Burton determined that there were five items of type O blood, four of which were on or near the front entrance door. DFS [Virginia Department of Forensic Sciences] sent you a letter dated August 26, 2016 stating that Ms. Burton’s notes showed that item 2FE was identified in Ms. Burton’s notes as a blood Type A. Yet, Ms. Burton reported this item as blood Type O on the matrix chart she prepared, and so testified under oath to it being Type O blood. I believe from my review of the DNA findings that 2FE was more likely Type O blood which I will explain later.
JENS_SOERING_PRESS_PACK.2017-09-27 (Archiv-Version vom 27.11.2019) - Seiten 96/97
Schanfied widerspricht zwar Burtons ursprünglicher Einschätzung, dass eine der Blutspuren Blutgruppe A habe und stimmt mit ihrer entgültigen Einschätzung überein, aber ich finde es durchaus erwähnenswert, dass es da gewisse Unstimmigkeiten gab bzw gibt.
Denn eine Sache hatte mich bei der Alternativerklärung (die DNA stamme nicht vom Blut sondern von Hautzellen, vermutlich von den Opfern) immer gestört: wir hätten dann fast nur DNA von Herrn Haysom, und nur sehr wenig DNA von Frau Haysom. Das entspricht zwar der Verteilung des Blutes - aber wenn beide in dem Haus gelebt haben, müsste eigentlich DNA von beiden in gleichen Mengen gefunden werden - wenn Hautpartikel Träger für die gefundene DNA sind.
Es spricht daher schon einiges dafür anzunehmen, dass die DNA vom Blut stammt. Wenn aber das "Blutgruppe 0"-Blut dieselbe DNA trägt wie die "Blutgruppe A"-Spuren, dann stimmt irgendwas mit der Blutgruppe nicht. Möglicherweise.
Das mit der fehlerhaften Blutgruppen-Zuordnung ist jetzt nicht so bescheuert wie sich das anhört. Laut einer Studie war das damals eine gar nicht so untypische Fehlerquelle. Ein Beispiel aus Virginia, ebenfalls aus den 80ern:
Burton testified in the Davidson trial, in which Davidson was wrongly identified as the rapist by the victim. Burton testified during his Norfolk trial that the perpetrator must have had type O blood, eliminating about half the male population as the attacker.
However, in that case the victim's blood type masked the rapist's blood type, meaning that any male could have been the rapist. [...]
Garrett [Autor der Studie] said that, in fairness, "there were a lot of analysts in our group of cases who made that same mistake. . . . It was by no means limited to Mary Jane Burton and that one case."
http://truthinjustice.org/VAjunkscience.htmDass da irgendwas nicht stimmte wurde dann erst durch die Analyse der DNA klar. Denn diese widersprach dem ursprünglichen Befund. - Sicherlich andere Umstände und nicht vergleichbar mit dem Fall Söring. Aber ich denke, solange die Widersprüche zwischen der wichtigen Blutspur und der DNA nicht aufgelöst sind, ist diese "Blutgruppe 0"-Spur für mich nicht ganz so zwingend wie behauptet. Und es gab ja tatsächlich auch bei Söring konkrete Zweifel, ob das Blut der 2FE-Spur wirklich Blutgruppe 0 hat.
Mit den "Blutgruppe 0"-Spuren, die Söring belasten, stimmt was nicht. Nur was?